10 2004
Repräsentation, Anfechtung und Macht: KünstlerInnen als öffentliche Intellektuelle
Übersetzt von Therese Kaufmann
Ein zentrales Element
für kritische KünstlerInnen ist heute die Frage der
Interaktion mit dem die Kunstproduktion umgebenden System,
mit den Parametern der Rezeption (Institution, Publiken,
Communities, WählerInnenschaften, etc.), mit den Potenzialen
und Grenzen der Kommunikation in den verschiedenen Bereichen
(Kunstwelt, Medien, öffentlicher Raum, politisches Feld,
etc.) und damit, wie Verbindungen hergestellt und auch
wieder unterbrochen werden. Dies kann auf verschiedene
Arten diskutiert werden, die von einem praktisch-methodologischen
Ansatz, das heißt, der Auseinandersetzungen mit dem
Gebrauch von Zeichen und Räumen, über die Konzeption
von Repräsentationsinstrumenten und -politiken bis zur
Rolle oder Funktion von KünstlerInnen/AutorInnen für
die Konstruktion alternativer Räume und Subjektivitäten
wie alternativer Netzwerke oder Gegenöffentlichkeiten
reichen. Der Fokus solcher Auseinandersetzungen muss
- sowohl politisch als auch künstlerisch - nicht nur
auf der Schnittstelle zwischen der Kunstinstitution
und einzelnen KünstlerInnen liegen, sondern auch auf
den physischen Beziehungen in politischen Räumen, den
neuen Technologien und schließlich der Schaffung von
Netzwerken und Kommunikationslinien ebenso wie den Versuchen,
daraus auszubrechen.
KünstlerInnen als ProduzentInnen
sind demzufolge abhängig von dem System, in das sie
verwoben sind und von den spezifischen, historisch kontingenten
Formen der Adressierung und Rezeption. In anderen
Worten sind KünstlerInnen spezifische öffentliche Figuren,
die natürlich unterschiedlich formuliert werden können,
gleichzeitig aber immer schon innerhalb einer bestimmten
Gesellschaft platziert oder situiert sind und denen
eine bestimmte Funktion zugeteilt ist. Selbstverständlich
zielte Michel Foucault genau darauf ab, als er in seinem
Aufsatz "Was ist ein Autor?" von der "Autor-Funktion"
sprach.[1]
"Was ist ein Autor" ist eine institutionelle,
epistemologische Analyse der Figur des Autors, die sich
ebenso als Problematisierung von Benjamins politisch
motivierter Vorstellung des Autors als Produzent, wie
von Roland Barthes' ebenso polemischem wie aufschlussreichem
Aufsatz "Der Tod des Autors" lesen lässt.[2]
Statt diesen zu eliminieren oder zu transformieren,
will Foucault den Autor als spezifische Funktion, Erfindung,
Intervention im bzw. in den Diskurs suspendieren oder
einklammern:
"Es geht darum, das
traditionelle Problem umzukehren. Nicht mehr die Frage
zu stellen: wie lässt sich die Freiheit eines Subjekts
in die Kompaktheit der Dinge einfügen und ihr einen
Sinne verleihen, wie kann sie von innen die Regeln einer
Sprache beleben und so ihre eigenen Ziele an den Tag
bringen? Vielmehr sollten wir fragen: wie, aufgrund
welcher Bedingungen und in welchen Formen kann so etwas
wie ein Subjekt in der Ordnung des Diskurses erscheinen?
Welchen Platz kann es in jedem Diskurstyp einnehmen,
welche Funktionen kann es ausüben, indem es welchen
Regeln folgt? Kurzum, es geht darum, dem Subjekt (oder
seinem Substitut) seine Rolle als ursprüngliche Begründung
zu nehmen und es als variable und komplexe Funktion
des Diskurses zu analysieren."[3]
Foucault zufolge
ist die Autor-Funktion eine Maßnahme, die den Text oder
die Arbeit differenziert und klassifiziert, sowohl mit
rechtlichen als auch mit kulturellen Konsequenzen. Das
bedeutet auch, dass jede mögliche Umgestaltung dieser
Funktion einer Umgestaltung der sie umgebenden diskursiven
Institutionen bedarf. Sowohl Benjamins Auffassung des
Autors als politisch involvierte Figur, die die Produktionsverhältnisse
moderner Industriegesellschaften alias Fordismus in
Frage stellt, wie auch Barthes' postindustrieller Kampfruf
nach dem Tod des Autors, der zur Geburt des Lesers führen
soll, und durch den ein radikal verändertes Verständnis
einer aktivierten Öffentlichkeit und möglicherweise
vertieften Demokratie bezeichnet wird, stellen eigentlich
Versuche einer Neuformulierung der Funktion des Autors
dar. Diese Neuformulierung der Autor/Künstler-Funktion
müsste erfolgen durch neue Formen der Adressierung,
welche wiederum neue Rezeptions- oder Betrachtungsmodi
insofern bedingen würde, als eine Adressierungsform
immer eine imaginäre Verhältnismäßigkeit zu Unbekannten
darstellt. Sie ist der Versuch, ein Publikum, eine WählerInnenschaft
oder Community herauszubilden. Wenn wir also KünstlerInnen
als öffentlichen Intellektuelle begreifen sollen, müssen
wir auch verstehen, wie diese potenzielle Öffentlichkeit
hergestellt und neuzusammengesetzt wird durch die historische
und kontingente Platzierung oder Funktion von KünstlerInnen,
durch ihre spezifischen Öffentlichkeiten - wie sich
das System, in das sie verwoben sind, bezeichnen ließe.
Die klassische Konzeption von
KünstlerInnen oder öffentlichen Intellektuellen als
Figuren der Aufklärung in einer bürgerlichen Öffentlichkeit
scheint zunehmend an Aktualität zu verlieren und von
rein historischer Relevanz. Eine heute ebenso verschwindende
Perspektive ist die Vorstellung von einer bürgerlichen
Öffentlichkeit als ein Raum, der von rational-kritischen,
mit gleichen Rechten und Möglichkeiten ausgestatteten
Subjekten betreten werden soll - und als solcher natürlich
immer nur eine Projektion darstellt. Es gibt "die"
Öffentlichkeit nicht mehr, sondern entweder überhaupt
keine Öffentlichkeit (im Sinne eines freien Austauschs)
oder eine Reihe verschiedener fragmentierter, spezifischer
Öffentlichkeiten. Das in der Tradition der Aufklärung
stehende Modell des Westens, das bis zu einem gewissen
Grad Toleranz gegenüber der Avantgarde und der Repräsentation
nicht-bürgerlicher Verhaltens-, Ordnungs- und Produktivitätsnormen
übte, wird nun durch einen vollkommen kommerziellen
Kommunikationsmodus ersetzt, nämlich die Kulturindustrien.
Wo das Modell der Aufklärung versuchte, sein Publikum
durch Disziplinierung und durch Präsentationsformen,
die Subjekte als BetrachterInnen identifizieren, zu
erziehen und zu situieren, begründen die Kulturindustrien
ein anderes kommunikatives Modell von Austausch und
Interaktion in Warenform, das Subjekte als KonsumentInnen
identifiziert. Die Kulturindustrien ersetzen den Begriff
der "Öffentlichkeit" mit seinen kontingenten
Zugangs- und der Artikulationsformen durch den Begriff
des "Markts" und interpretieren Warentausch
und Konsum als Formen des Zugang und der Interaktion.
Das bedeutet auch, dass die Idee der Aufklärung und
damit die Idee rational-kritischer Subjekte und einer
disziplinargesellschaftlichen Ordnung durch die Vorstellung
von Unterhaltung als Kommunikation ersetzt wird, als
sozialer Kontrollmechanismus und Produzentin von Subjektivität.
Gleichfalls werden klassische bürgerliche Repräsentationsräume
entweder durch Märkte ersetzt, wie der öffentliche Platz
durch das Einkaufszentrum, oder in Konsum- und Unterhaltungsräume
umgewandelt, wie es der Fall ist in den aktuellen Museumsindustrien.
Ähnlich wurde die ehemalige kommunistische Öffentlichkeit,
die keine Öffentlichkeit als solche, sondern eine Sache
zwischen Staat und Partei war, nicht durch das frühere
westliche BürgerInnenschaftsmodell ersetzt, sondern
durch die eben beschriebene Formierung von Märkten und
von KonsumentInnenzielgruppen.
So müssen wir auch
die Rolle der öffentlichen Intellektuellen als rational-kritische
und universale Subjekte neu definieren, und zwar nicht
als totale Einzelsubjekte, was meiner Meinung nach nur
das KonsumentInnenzielgruppen-Modell bestätigen würde,
sondern als involvierte, statt vereinzelter Figuren:
Gleichzeitig mit Benjamins These über die künstlerischen
Produktionsformen entwarf Antonio Gramsci ein anderes
Intellektuellen-Modell, den so genannten "organischen"
Intellektuellen, eine Figur, die nicht nur in politische
Kämpfe und Anliegen involviert ist, sondern auch in
die Produktion selbst.[4]
Gramsci zufolge waren alle Menschen, selbst wenn nicht
alle diese Rolle übernahmen, Intellektuelle (das Potenzial
der Massen-Intellektualität). Diese Rolle hatte mit
Involvierung und der Organisation von Bewegungen zu
tun. Die in Marketing und Werbung Tätigen würden ebenso
wie JournalistInnen die neuen Intellektuellen des Kapitalismus
repräsentieren, während LehrerInnen und Priester aufgrund
ihrer repetitiven Arbeit nicht als solche betrachtet
werden könnten. Heute wären natürlich die prekarisierte
ArbeiterInnen als diese Art von Intellektuellen zu sehen,
obwohl zu diskutieren bliebe, ob sie im Dienst des Kapitals
und der Kulturindustrien stehen oder den Gegenbewegungen
dazu angehören, dem Kampf für die Multitude... Wir müssen
deshalb beginnen, KünstlerInnen und Intellektuelle nicht
nur in ihrem Engagement in der Öffentlichkeit zu sehen,
sondern in der Herstellung von Öffentlichkeiten durch
Addressierungsformen und
die Schaffung von Plattformen oder Gegenöffentlichkeiten.
Dies hat sowohl im Westen als auch im Osten, wenn auch
klandestin oder im Untergrund, aber jedenfalls in Oppostition
zur herrschenden kulturellen und politischen Hegemonie
der jeweiligen Gesellschaft bereits existiert.
Gegenöffentlichkeiten können
verstanden werden als spezifische, eher kleine oder
sogar untergeordnete Parallelformationen, in denen andere
oder oppositionelle Diskurse und Praxen formuliert und
verbreitet werden können. Während das klassisch bürgerliche
Verständnis von Öffentlichkeit Universalität und Rationalität
für sich in Anspruch nahm, wollen Gegenöffentlichkeiten
oft das Gegenteil und beinhalten ganz konkret oft eine
Umkehrung existierender Räume in andere Identitäten
und Praxen. Eines der bekanntesten Beispiele dafür wäre
die Benützung öffentlicher Parks als Cruising Areas
in der Schwulenkultur. Hier bleibt zwar der architektonische
Rahmen, der für bestimmte Verhaltensmuster gestaltet
wurde, unverändert, doch die Benützung dieses Rahmens
wird drastisch verändert, indem private Handlungen in
der Öffentlichkeit vollzogen werden.
Michael
Warner zufolge haben Gegenöffentlichkeiten viele Charakteristika
normativer oder dominanter Öffentlichkeiten - als imaginäre
Anrede, ein bestimmter Diskurs und/oder Ort sowie in
Verbindung mit Zirkularität und Reflexivität - und sind
immer ebenso relational
wie oppositionell.
Der Begriff der "Selbstorganisation" wird
zum Beispiel in der jüngeren Kunstgeschichte meist als
oppositioneller, und sicherlich mit "credibility"
ausgestatteter Begriff gehandelt, aber er stellt selbst
keine Gegenöffentlichkeit dar. Tatsächlich ist
Selbstorganisation eine besondere Eigenschaft jeder
öffentlichen Formation, sie konstruiert und positioniert
sich selbst als Öffentlichkeit durch ihre spezifische
Form der Adressierung. Eine Gegenöffentlichkeit spiegelt
eher bewusst die Modalitäten und Institutionen normativer
Öffentlichkeit wider, wenn auch mit dem Bemühen, andere
Subjekte und vor allem andere Formen des Imaginären
anzusprechen:
Gegenöffentlichkeiten
sind [nur] "gegen" in dem Maße, in dem sie
versuchen, andere Formen der Vorstellung einer Gemeinsamkeit
von Unbekannten und deren Reflexivität zu leisten; als
Öffentlichkeiten bleiben sie orientiert an der Verbreitung
unter Unbekannten in einer Art, die nicht nur strategisch
ist, sondern konstitutiv für die Mitgliedschaft und
ihre Affekte.[5]
Von besonderem Interesse
ist in diesem Kontext nicht nur die Transformation "bürgerlichen"
Kunstinstitutionen durch bestimmte Personen, sondern
auch die aktuelle Bewegung gewollter Selbstinstitutionalisierung
in einzelnen Plattformen innerhalb des Kunstkontexts
wie 16 Beaver Group in New York, b_books in Berlin,
das Center for Land Use Interpretation in Los Angeles,
das Center for Urban Pedagogy in New York, die Copenhagen
Free University, die Community Art School in Zagreb,
das Institute of Applied Autonomy in Boston, The Invisible
Academy in Bangkok, die School of Missing Studies in
NY, Belgrade und Amsterdam, die University of Openess
in London oder die Université Tangente in Paris, die
alle in gewisser Weise Bildungseinrichtungen widerspiegeln
und umkehren. Hier werden Diskurse nicht durch eine
Negierung des Öffentlichen produziert und verbreitet,
sondern durch bewusste und taktische Selbstinstitutionalisierung.
Aus gesellschaftlichen werden subjektive Maschinen der
Wissensproduktion, die eher durch Identität produziert
werden, als sie selbst Identität produzieren, wie von
einer dieser Selbst-Institutionen dargelegt:
"Die Copenhagen Free
University ist eine Stimme im Gewirr von Stimmen. Wir
sind nicht zwei oder drei Personen, sondern eine Institution,
die in einem Prozess des Produziert-Werdens und Produzierens
durch verschiedene soziale Verhältnisse treibt. Wir
geben den Ton an. Diese Position stellt eine sich ständig
verändernde Anordnung neuer Kontexte, Plattformen, Stimmen,
Aktionen, aber auch durch Inaktivität, Verweigerung,
Räumungen, Rückzieher und Auszug her. Wie der Situationist
Asger Jorn sagt, ist Subjektivität eine Innenperspektive,
'eine Interessensphäre', die nicht notwendigerweise
mit dem individualisierten Ego gleichgesetzt werden
kann. (…) Die Copenhagen Free University ist eine 'Interessensphäre',
die aus dem von uns erlebten realen Leben hervorgeht
und die immer politisiert sein wird vor jeder BürgerInnenschaft.
Unser Handlungsraum ist ebenso lokal wie global, aufmerksam
auf andere Reisenden ganz in der Nähe und in der ganzen
Welt.[6]
Es
geht hier um ein Verständnis des Alltäglichen mit dem
Versuch, mit den Lebensbedingungen in der postfordistischen
Wissensökonomie umzugehen, was eine Taktik der Doppelbewegung,
die Kampf und Rückzug in einem ist, darstellt. Wir können
diese Bewegung auch als eine Politik
des Alltags statt der Repräsentationen, der Beratungen
und/oder allgemeine Zustände bezeichnen. Dies schließt
eine andere Bedeutung des "Politischen" ein,
bei dem es nicht nur um die Bewegung geht, sondern auch
um den Moment, das Hier und Jetzt, wie es ein weiterer
Autor-Produzent, Stephan Geene, ausgedrückt:
"Was b_books machen will
(obwohl es darüber in der Gruppe keinen Konsens gibt),
ist meiner Meinung nach, eine bestimmte Form einer "Option"
für "das Politische" aufrechtzuerhalten, und
zwar eine Option, die explizit in keiner Weise utopisch
ist. Sie basiert auf der Voraussetzung, dass das Politische
nicht bedeutet, für ein bestimmtes politisches Ziel
zu arbeiten + dass es nichts damit zu tun hat, seine
(Lebens)Zeit dafür zu opfern, sondern damit, in die
"Maschine" zu investieren, die "das eigene
Leben" in einem politischen Prozess hervorbringt."[7]
Dem Ansatz der Gegenöffentlichkeiten folgend möchte ich deshalb eine andere Definition vorschlagen: Worum es hier geht, ist die Artikulation von Erfahrung. Diese ist eher Assemblage als Performance. Während die Institutionen der Kulturindustrien nur "neue Erfahrungen" ohne Ende anbieten, wirkt die Organisation von Erfahrung in der Produktion selbstinstitutionalisierter Einrichtungen langweilig und unspektakulär.
In Zeiten des expansiven
globalen Kapitalismus, der Vermarktung von Kultur durch
internationale Konzerne und der Kriminalisierung einer
kritischen Linken, ist es nicht nur angemessen, sondern
wirklich wichtig, Formen der Kritik, Partizipation und
des Widerstands in der belasteten Zone zwischen kulturellem
Feld und politischer Sphäre zu diskutieren und zu bewerten.
In anderen Worten, die belastete Zone zwischen politischer
Repräsentation und repräsentativer Politik, zwischen
Präsentation und Partizipation. Wir sind fest davon überzeugt, dass das kulturelle Feld ein wirksames Instrument für die Schaffung politischer Plattformen und neuer politischer Anordnungen und weniger eine ursächliche Plattform in sich selbst darstellt, dass Kunst etwas bewirkt oder dies zumindest tun und nicht nur als Spielplatz für Selbstdarstellung und/oder Beobachtung dienen sollte. Doch verlangt ein solches Projekt nach Reflexion, Analyse und nicht zuletzt nach einer Auseinandersetzung damit, was die Begriffe Politik und Kultur in der aktuellen Situation implizieren. Erstens ist klar, dass beide Bereiche eine
Pluralisierung und Fragmentierung erfahren haben, wenn
sie nicht während der postmodernen Ära aufgelöst und
versprengt wurden. Wir können nicht länger von homogenen
Kategorien im Singular sprechen, sondern müssen von
verschiedenen politischen und kulturellen Feldern sprechen,
die manchmal verbunden sind und/oder sich überschneiden
und manchmal nach Autonomie und/oder Isolation streben.
Beide Felder schließen vielfältige Aufteilungen in verschiedene
Netzwerke, AkteurInnen und Institutionen ein.
In den westlichen Wohlfahrtsstaaten
wurde das kulturelle Feld traditionell als im Idealfall
autonom von der politischen Sphäre betrachtet, und deshalb
als separate Einheit strukturiert, finanziert und institutionalisiert.
Merkwürdigerweise ist es diese relative Autonomie, die
dem kulturellen Feld das Potenzial für politische Kritik
und Diskussion gegeben hat. Dass es von direkter politischer
Repräsentation und Kontrolle ferngehalten wurde, hat
alternative Wissensproduktion und reflexive Prozesse
ermöglicht hat. Leider hat diese relative Autonomie
aber auch zu einer Entpolitisierung kultureller Produktion
geführt und zur Konstruktion der Kunstwelt als einen
elitären, exklusiven Klub. Mit dem aktuellen neoliberalen
Angriff im gesamten Westen wird Kultur aber zunehmend
privatisiert und transnationalen Konzernen unterworfen,
sowohl hinsichtlich der Finanzierung als auch der Produktion.
Statt der so genannten Alternativ- oder Gegenkultur
erzeugt die Kultur der großen Konzerne dominante Bilder
und Subjektivitäten, und der Neoliberalismus wird nahtlos
in eine Linie gebracht mit der aktuellen Welle der "samtenen"
europäischen Faschismen in den demokratisch gewählten
Regierungen in Österreich, Dänemark oder den Niederlanden.
Dies führte zu einer Herabwürdigung des linken Intellektualismus
und politischen Aktivismus und in manchen Fällen sogar
einer Kriminalisierung von AktivistInnen in der Folge
von 9-11.
Diese derzeitige Situation im
kulturellen und auch im politischen Feld führt zu einer
möglichen - manchmal strategischen, manchmal eher unwillkürlichen
- Radikalisierung statt des Mainstreamings kritischer
Praxen in Kunst und Aktivismus. Es ist ein Kampf an
zwei Fronten, der sich gegen den aktuellen politischen
Mainstream ebenso richtet wie nach innen, indem er politische
Identitäten und Plattformen schafft: Was können wir
für uns selbst tun? Solche Bemühungen benötigen ein
Mehr an Reflexion über die Begriffe Kultur und Politik,
aber auch über Identitätskonstruktionen und Verständnisse
von Lokalität, oder auch über die Vermittlung zwischen
Partikularität und Universalität, öffentlichen Räumen
und aktivistischen Strategien, Netzwerken und WählerInnenschaften.
In der Schaffung von Entsprechungen und Übersetzung
können wir vom AIDS-Aktivismus lernen, wie der Künstler
und Aktivist Gregg Bordowich vorgeschlagen hat: MEDICINE
INTO MY BODY NOW. Dazu ist die permanente Verhandlung,
Übersetzung und Artikulation zwischen interessierten
Einzelnen und Gruppen notwendig. Netzwerke müssen entwickelt
werden, um Praxen und Theorien zu vergleichen und zu
vermitteln. Kunst bewirkt natürlich etwas, aber Kunst
ist nicht genug ...
[1] Michel Foucault, Was ist ein Autor, Vortrag 1969, in: Schriften, Bd. 1, Suhrkamp: Frankfurt am Main 2001, S. 1003-1041
[2] Walter Benjamin, Der Autor als Produzent, in: Gesammelte Schriften, Bd. II.2, Suhrkamp Frankfurt/Main 1980, S. 683-701; Roland Barthes: Der Tod des Autors, in: Jannidis, Fotis (Hg.): Texte zur Theorie der Autorenschaft, Reclam: Stuttgart, 2000, S. 185-193
[3] Michel Foucault, Was ist ein Autor, Vortrag 1969, in: Schriften, Bd. 1, Suhrkamp: Frankfurt am Main 2001, S. 1029
[4] Antonio Gramsci, Die Herausbildugn der Intellektuellen, Aufzeichnungen aus den Jahren 1930-1932, Aus den Gefängnisheften, in: A.G.: Zu Politik, Geschichte und Kultur, Ausgewählte Schriften, Reclam: Leipzig 1986, S. 222-230
[5] Michael Warner, Publics and Counterpublics, New York: Zone Books, 2002, pp. 121-22.
[6] Copenhagen Free University, 'All Power to the Copenhagen Free University', in: Katya Sander and Simon Sheikh (Eds.), We are All Normal (and we want our freedom), Black Dog Publishing: London, 2001, pp. 394-395.