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10 2006

Die Grenze überqueren?

Hybridität als spätkapitalistische Logik der kulturellen Übersetzung und der nationalen Modernisierung.

Kien Nghi Ha

Übersetzt von Hito Steyerl

Eine der gefeiertsten Eigenschaften der Hybridität ist ihre angebliche Fähigkeit, kulturelle und nationale Grenzen zu überschreiten und oppositionelle kulturelle Bereiche in innovative Ausdrücke der sogenannten postmodernen Ära des Spätkapitalismus zu übersetzen. Diese Ära basiert anscheinend auf der freien Zirkulation und dem Austausch von Ideen und Bedeutungen in einer Welt, die mehr und mehr durch verschiedene Kräfte und Bedeutungen von Globalisierung und Migration gestaltet und neugestaltet wird. Eine solche Perspektive betont Hybridität als einen zentralen Begriff des andauernden Prozesses der interkulturellen Transgression und erlangte in letzter Zeit Prominenz im akademischen Diskurs des Mainstream. Sogar in den fortgeschritteneren Teilen der multikulturellen Integrationsindustrie, die durch den Staat gefördert wird, gibt es offensichtliche Bestrebungen, die nationale Repräsentation durch die Inklusion und Aneignung kultureller Ressourcen marginalisierter Gruppen in der Einwanderungsgesellschaft zu erneuern. Zur selben Zeit existiert auch ein bedeutendes Begehren innerhalb der Mainstreamgesellschaft, neue Formen kulturellen Konsums zu erforschen, die nicht nur auf der Konstruktion antagonistischer Differenzen und fixierter Stereotypen beruhen, sondern eher auf der kulturalistischen Produktion “einer Hybridisierung, durch die Neuheit entstehen kann” – um einen Spruch zu verwenden, der von Salman Rushdie geprägt wurde.

In diesem Text möchte ich die Effekte der kulturellen Hybridisierung auf die nationale ebenso wie auf die kulturelle Sphäre diskutieren. Beide Prozesse zielen darauf, die marginalisierten Kulturpraktiken diskriminierter Minderheiten in nationale Ressourcen zu übersetzen, während die andauernden Vermächtnisse und Dynamiken der kolonialen und rassistischen Muster in nahezu allen westlichen Gesellschaft unangetastet gelassen werden.

Diese Formen der Hybridität erweisen sich als Formen politischer Nutzbarmachung und erweitern die ökonomische Ausbeutung durch kulturelle Unterordnung. Ich schlage vor, kulturelle Hybridität und nationale Identität nicht als begriffliche Gegensätze zu lesen, sondern als eine funktionale Beziehung, die es der Nation erlaubt, sich zu erweitern und das symbolische Feld ihrer Selbstrepräsentation zu modernisieren, in dem sie ein farbiges, fröhliches und attraktives Bild ihrer selbst entwirft. Im globalen Wettbewerb nationaler Ökonomien und Kulturen ist es sogar für die Nation eine Aufgabe mit wachsender Bedeutung, kosmopolitisch und offen für produktive Flüsse von migrierendem Kapital, kreativen Subjekten und mächtigen Symbolen zu erscheinen. Währenddessen haben die Kulturindustrien die Hybridität entdeckt um neue Massenmärkte in der Mainstreamgesellschaft einzuführen, indem sie innovative transkulturelle Produkte entwickeln. Die Tatsache, dass kulturelle Übersetzungen sehr hilfreich sind, um materielle Profite zu generieren ist nichts neues, aber ich denke, dass Hybridität sehr viel mehr bedeutet. Ich nenne sie einen neuen Produktionsmodus in einer globalisierten Ökonomie, die immer mehr mit dem Konsum kultureller Zeichen und Bedeutungen befasst ist. Mit interkultureller Kompetenz und Diversitätstraining als neue Managementrichtlinien für das 21. Jahrhundert ist Hybridität mehr als nur ein Modetrend, sondern auch eine wichtige Methode, um neue Arten der Kommodifizierung zu kreieren.

 
Hybridität als kulturelle Dominante im postmodernen Spätkapitalismus

In den letzten Jahren sind wir auf globaler Ebene mit dem Auftauchen hybrider Konstellationen eines Weltsystems konfrontiert, in dem historische Dynamiken und geopolitische Überlegenheit die schreckenerregende Wiederkehr eines spätkolonialen Empire hervorrufen. Ironischerweise wird zur selben Zeit oft vorhergesagt, dass die global überlappenden kulturellen Landschaften und ökonomischen Zusammenhänge sich in postmoderne Bewegungen verwandeln. Wie einige optimistische Kommentatoren erwarten, wird der Ort der ungebundenen Kultur innerhalb dieser Bewegung transglobal. Kultur selbst wird darin sowohl zu einem Verhandlungsort des kreativen Patchworks wie des gegenseitigen Austauschs transformiert. In diesem Kontext dient der Begriff der Hybridität zur Benennung einer Hoffnung auf gesellschaftliche Überschreitung ebenso wie für die Verfügbarkeit neuer kultureller Formen, die nicht länger durch modernistische Exklusion und fixierter Zugehörigkeit zu Identitäten determiniert sind. Aber die Sehnsucht nach heterogenen und transnationalen Kulturen ist nicht nur in kritischen künstlerischen oder akademischen Artikulationen wahrzunehmen, sondern auch in grenzüberschreitenden Formationen der Populärkultur innerhalb spätkapitalistischer Ökonomien.

In der Diskussion dieser Themen müssen wir die grundsätzliche Frage stellen, wie Kultur in der Ära der Globalisierung definiert wird und wie ihre Bedeutung sich in den letzten Jahren rapide verändert hat. Wir leben heute in Gesellschaften, in denen die kulturelle Sphäre immer wichtiger wird und überlastet ist mit Bedeutungen, die sich auf unbeantwortbare Fragen nach Identität und kultureller Differenz beziehen. Diese Entwicklung wird in Begriffen beschrieben wie “linguistic turn” in den Geisteswissenschaften oder “cultural turn” in den Sozialwissenschaften. All diese Wendungen fordern eine dynamisches, interaktives, plurales und immer veränderliches Verständnis von Kultur. Steven Best und Douglas Kellner, zwei führende Figuren der US-amerikanischen Cultural Studies schlugen vor, diese epistemologische Veränderung als “postmodern turn” zu bezeichnen, um die Suche nach einem neuen Paradigma auszudrücken, in dem hybride Repräsentationen der Intermedialität und des Transkulturalismus am Horizont erscheinen.[1]

Trotz der Tatsache, dass Crossover, Patchwork und organische Hybridisierung Michail Bachtin zufolge für jede kulturelle Entwicklung fundamental und unvermeidlich sind, müssen wir uns klar darüber sein, dass diese Denkweise eine für die westliche Moderne einzigartige Erfahrung ist, die obsessiv auf der Anerkennung des Entweder-Oder-Prinzips und ihren gewalttätigen Resultaten begründet ist. Zum ersten Mal in der Kulturgeschichte des Westens ist die Idee der Vermischung nicht mit Angst, Abwertung, Minderwertigkeit, Sünde oder kultureller Krise besetzt. In der griechischen Antike leitete sich der Begriff hybrid vom hybris (Vermessenheit) ab, der die religiöse Beleidigung beschreibt, die hierarchische Grenze zwischen dem Göttlichen und dem Menschlichen aufzuheben. Sie wurde mit mythologischer Monstrosität in Verbindung gebracht (Chimären, Sphinxen, Gorgonen) und in Platos Philosophie mit soziokultureller und ethnischer Krankhaftigkeit. In modernen Zeiten entwickelte sich diese Denkweise zu einem begrifflichen Rahmenwerk kolonial-rassistischer Theorien europäischer Meisterdenkern über “rassische Bastardisierung” und kulturelle Kreolisierung.[2]

Angesichts dieser historischen Bedingungen scheint es, dass Hybridität uns nun einen anderen Zugang zu Kultur und Gesellschaft anbietet, da sie die Sehnsucht nach Homogenität in der kolonialen Moderne unterbricht und Differenz auf andere Weise neu denkt. Hybridität verweist auf eine andere kulturelle Kartographie der Welt, die auf Unreinheit und Zwischenkategorien beruht. Dies ist der Grund, warum Hybridität als vielschichtiges Schema in postmodernen Ansätzen fungiert. Als Alternative zu traditionellen Ideen der Singularität und Totalität, betont die Hybridität die irreduziblen Positionen der Differenz und Diversität. Statt auf binären Mustern bezieht sie sich auf die liminalen Konzepte der Dritten Räume und der Grenzüberschreitung. Sie zelebriert auf diese Weise die Dynamik der Mischung und Durchdringung. Gleichzeitig sind wir jetzt in eine Situation angelangt, in der die postmoderne spätkapitalistische Ökonomie ästhetische und technologische Innovationen durch Mischung und unaufhörliche (Re-)Kompositionen fördert. In dieser schönen neuen Welt ist kulturelle Hybridität anscheinend der Slogan der postmodernen Epoche für technologischen Optimismus und Fortschrittstelos. Sie bietet einen neuen Modus der ästhetischen Produktion an, die – anders als die Moderne – nicht auf Homogenisierung, Standardisierung oder dem Mythos des isolierten Genies bei der Arbeit beruht, sondern auf der Inklusion und Überschreitung von Bildern, Sprachen, Sounds und Subjektivitäten. Die Vermischung soll einen kulturellen Flow bereichern, der eine transglobale Populärkultur und einen dramatischen Wertewandel verspricht.

Angesichts der andauernden westlichen Kulturtradition der Homogenisierung ist es verblüffend der neuen epistemologischen Hypertransformation im Denken über Hybridität nachzugehen. Obwohl sie durch die westliche kulturelle Moderne hindurch vernachlässigt und abgelehnt wurde, verwandelte sich das Bild des Hybriden innerhalb weniger Dekaden von einem negativen Fetisch in einen Wunschzustand und eine begehrenswerte Obsession. Kritische Diskurse müssen sich eines Trends gewahr werden, in dem Hybridität zur kulturellen Dominante wird. Dem neo-marxistischen Ansatz Frederic Jamesons zufolge sind kulturelle Dynamiken und technologischer Fortschritt als Effekte dominanter Kräfte nicht die Hauptursachen, sondern die Resultate von Kapitalentwicklungen. In seinem Buch "Postmodernism, or, The Cultural Logic of Late Capitalism" beharrt er auf einer genealogischen Beziehung zwischen Spätkapitalismus und Postmoderne.[3] In diesem Sinne wäre es nicht übertrieben zu sagen, dass Hybridität als fortgeschrittenste Form der transnationalen Postmoderne verstanden werden kann, die unter den Bedingungen der ökonomischen und kulturellen Globalisierung stattfindet. Der britische Soziologe Barry Smart hat die Postmoderne wie folgt charakterisiert: “(i) zukunftsorientierte, innovative zeitliche Imagination; (ii) ikonoklastischer Angriff auf die Institution, Organisation und Ideologie der Kunst; (iii) technologischer Optimismus, der manchmal an Euphorie grenzt; und (iv) Aufwertung der 'Populärkultur' als Infragestellung der 'Hochkultur'”.[4] Es ist nicht schwer, all diese Eigenschaften auf das Konzept der Hybridität anzuwenden. Postmoderne und Hybridität teilen darüber hinaus auch eine revolutionäre Haltung, die auf der Überwindung der Moderne und den Einzug einer neuen historischen Epoche mit ihrer eigenen Metaerzählung beruhen.

Aber was sind die Konsequenzen dieser epistemologischen Veränderung in der realen Welt? Es gibt zunehmend Anzeichen, die auf komplexe Verschiebungen in den gegenwärtigen Machtverhältnissen hinweisen, aber wenige Indizien, die auf die Abschaffung der westlichen Hegemonie oder der Dominanz als solches deuten. Diese Veränderungen verweisen auf eine Modernisierung der kapitalistischen Kommodifizierung und einer neuen Konfiguration des Nationalstaats. Vergessen wir nicht, dass die Geschichte der Wissensproduktion auch immer eine Geschichte sich verschiebender Machtverhältnisse und der ihnen zugrundeliegenden Kräfte war. Obgleich es richtig ist anzunehmen, dass die Hybridisierung sich auf die Prozesse der “Andersmachung” (Othering) und den dominanten kulturalistischen Ansichten der Welt auswirken wird, wäre es naiv zu glauben, dass Hybridität die Formel einer allumfassenden Lösung darstellt. Es ist viel realistischer, Hybridität als Mittel zu verstehen, um fortgeschrittenere kulturelle Grammatiken und Idiome zu produzieren. Es gibt keinen Zweifel daran, dass diese kulturellen Formen sehr schnell durch eine nachfragende Kulturindustrie angeeignet werden, die immer auf der Jagd nach kulturellen Innovationen ist, welche für das Marketing neuer Trends und Modelinien unverzichtbar sind.

Ohne wirksame Umschlüsselung, machtvolle Fehlcodierung oder radikale Interventionen wird Hybridität zu einem kulturellen Werkzeug um moderne Machtstrukturen zu rekonfigurieren. Denn “das Hybride bildet nicht den Gegenbegriff zum Hierarchischen und Hegemonialen, sondern zum Binären und Dichotomischen”.[5] Schon vor fast zehn Jahre schrieb Douglas Kellner: "Die Formen hybrider Kultur und Identität die durch postmoderne Kulturwissenschaften beschrieben werden, korrespondieren mit einem globalisierten Kapitalismus, mit einem intensiven Strom von Produkten, Kultur, Menschen und Identitäten mit neuen Konfigurationen des Globalen und Lokalen und neuen Formen des Kampfes und Widerstands".[6]

Wenn wir wirklich Machtverhältnisse in ihrer produktiven postmodernen Erscheinungsform herausfordern wollen, ist es notwendig, die seltenen Momente hybrider Konstellationen nicht unkritisch zu feiern, die anscheinend befreiende Potentiale und widerständige Brüche versprechen, sondern sich auf ihre Fallstricke und Fehler zu konzentrieren. Es lohnt sich in Erwägung zu ziehen, wie Hybridität als Trope der postmodernen Ästhetik und als Kulturkonzeption mit einer spätkapitalistischen Logik der Verwertung verbunden ist. Das hybride state of the art verspricht Effizienz, Faszination, Innovation und Aneignung. Als Nebeneffekt hat dies natürlich neue Geschmackshierarchien und den Ausschluss derjenigen zur Folge, die als unwillig oder unfähig gelten, diese begehrten Dienstleistungen zu vollbringen. Aber für diejenigen von uns, die es sich leisten und diese kulturelle Ökonomie geniessen können, erscheint alles ungewöhnlich, frisch und aufregend.

Eine notwendige Bedingung des zeitgenössischen Hybriditätsbooms ist die Aufwertung der Differenz, die in der Geschichte der westlichen Moderne relativ exklusiv – wie Michel Foucault und andere in ihren Arbeiten gezeigt haben – der elenden und inakzeptablen Gestalt der Andersheit zugewiesen wurde. Diese vorherrschende Entwicklung ist inzwischen jedoch ambivalenter und diskontinuierlicher geworden. In der heutigen Kulturökonomie wird die Hipness globaler Akteure durch ihre Fähigkeit definiert, aussergewöhnliche Designs zu schaffen, die “wirklich einen Unterschied machen”. Seit dem Ende der 1990er Jahre haben trendige Global Players wie Apple (“Think different”) und Braun (“Designed to make a difference”) grosse Investitionen in Werbekampagnen getätigt, um ein zeitgemässes Image ihrer selbst zu entwerfen, das Differenz als Ressource der Einzigartigkeit, des Genusses, der Anziehung und der Kreativität privilegiert. In solchen Kontexten ist Differenz kein Ort von Marginalität und Ausschliessung mehr, sondern etwas nach dem wir uns sehnen und für das wir bezahlen sollten. Differenz-Verkaufsslogans ziehen jung-dynamische, hochgebildete und reiche soziale Gruppen an. Diese KonsumentInnen sind die Kerngruppe von Marketingstrategien, die an das wachsende Begehren appellieren, “anders zu sein” – “be different” wie Loewe, eine der letzten deutschen Marken für hochwertige Unterhaltungselektronik es als ihr Image formulierte. Die Slogans der folgenden Werbekampagnen sind nur illustrativ und sollten einen detaillierteren Überblick geben: Schmuckhersteller wie Rado “A different world” (“Eine andere Welt”) oder Alfex “Dare to be different” (“Trau dich, anders zu sein”), Tourismusunternehmen wie die Schweizer Kuoni Gruppe “A world of difference” (“Eine Welt der Differenz”) oder die australische Touristenbehörde “A different light” (“Ein anderes Licht”), Energieproduzenten wie Mobil “Feel the difference” (Fühl die Differenz”), Hightech-Textilfirmen wie Dupont Lycra “Enjoy the difference” (“Geniess die Differenz”) oder als letztes Beispiel der deutsche Champagnerproduzent Geldermann “Viva la difference” (“Es lebe die Differenz”) haben sich von der politischen Ökonomie der kulturellen Differenz verlocken lassen. Ihr Geschäft ist es, die “Differenz zu verkaufen”, wie es die internationale Marketingfirma Dorland in ihrer eigenen Werbekampagne formulierte. Eines der besten Verkaufsargumente auf dem Markt der kulturellen Kommodifizierung ist die Fähigkeit, das dominante Selbst durch den Gebrauch von Differenz und dem durch das erwünschte Produkt repräsentierte Begehren zu erneuern und zu erweitern. Die Botschaft lautet: Verschieden zu sein ist profitabel, weil es als entscheidendes Zeichen für Kreativität angesehen wird und mit sozialer Mobilität nach oben in Verbindung gebracht wird.

Obwohl die Populärkultur und Marketingstrategien sicherlich nicht die gesamte soziale Realität als Ganzes reflektieren können, repräsentieren sie nichts desto trotz eine spürbare Veränderung in der kulturellen Vorstellungskraft der Mainstreamgesellschaft und ihrer Begrifflichkeit von Differenz und Andersheit. Diese “positive” Diskriminierung von Differenz ist keineswegs ein Weg zu voller und bedingungsloser Anerkennung oder zur affirmative action und führt zu weiterer Fehlrepräsentation durch unterhaltsame und ornamentale Vorstellungen. Die Aneignung von Differenz ermöglicht die Kreation und Beibehaltung eines positiv aufgeladenen Images der kulturellen Hybridität, welches Kulturen einander vorstellt und ineinander zu übersetzen scheint, und so eine globale Kultur ohne Grenzen und Konflikte imaginiert. In dieser simplen, aber weitverbreiteten Perspektive kann Hybridität am besten als intensive Kulmination der kulturellen Übersetzung verstanden werden, die an ihren Höhepunkt getrieben wird. Hybridität als kulturellen Verkehr zu verstehen, mag seltsam klingen, aber man muss zugeben, dass die öffentliche Zelebrierung von kulturellem Dialog und wirklich internationalen Ereignissen als einem wundervollen und bezauberndem Spektakel bis zu einem gewissen Grade pornographische Nebenwirkungen des Exotismus und der Sexualisierung erzeugen.

In Kate Nashs Beschreibung wird “globale Kultur oft als postmodern gesehen: als schnell veränderlich, fragmentiert, pluralistisch und synkretistisch”[7] und John Hutnyk fragt “Ist der Kapitalismus jetzt hybrid?”[8] Eine der wichtigsten Eigenschaften der postmodernen Situation sind die Transformationen innerhalb der Produktionsweise. Verglichen mit früheren Stadien ist der Spätkapitalismus durch eine bemerkenswerte Verschiebung von materieller zu kultureller Produktion gekennzeichnet. In diesem Prozess wird der materielle Gebrauch der meisten Waren weniger wichtig. Mehr noch, der materielle Wert der Produkte und ihres Gebrauchs wird immer mehr durch die Fetischeigenschaften der postmodernen Kulturware ersetzt. Mike Featherstone beschreibt in seinem Buch “Consumer Culture & Postmodernism” wie Produkte und Repräsentationen sich in einen Ort der Erschaffung und des Transfers von Bedeutungen, Images, Gefühlen verwandeln, die eine andere Art des Konsums ermöglichen.[9] Während materielle Produktion und Konsumption prinzipiell auf viele Weisen, zum Beispiel durch natürliche Ressourcen und einige menschliche Bedürfnisse wie Hunger limitiert werden, sind diese Parameter in der kulturellen Sphäre virtueller Symbole und Zeichen weniger restriktiv. Daher werden die Produktions- und Konsumzyklen – wie wir etwa an der Populärkultur sehen – dramatisch beschleunigt. Kulturelle Hybridität spielt eine zentrale Rolle in der ästhetischen Produktion neuer Formen. Sie kann als Technologie verwendet werden, um unbeschränkt neue kulturelle Artikulationen zu erschaffen, um Märkte auszudifferenzieren und durch die wiederholte Mischung von Differenzen bislang unbekanntes Begehren zu produzieren.

Es ist schliesslich nicht übertrieben zu sagen, dass sowohl die Massen- als auch die Elitekulturkonsummärkte auf verschiedenen Ebenen und in verschiedenen Geschwindigkeiten durch diesen sich entwickelnden Trend fasziniert werden, der die Auflösung und offene Komposition kultureller Artefakte fordert. Während die postkoloniale Hybridität sich noch mit Parodie, Mimikry und dem Karneval und deren Subversionspotential beschäftigte, scheinen spätkapitalistische Formen nur noch die neueste Version eines postmodernen Spiels darzustellen, das “anything goes” heisst.

Um es anders zu formulieren: Im Kontext einer politischen Ökonomie der Kulturalisierung ist der einst stark politisch aufgeladene Slogan der “Grenzüberschreitung” in eine entpolitisierte Haltung der Mainstreamgesellschaft verwandelt worden, die auf ein Phänomen verweist, das stark mit der farbigen und unterhaltsamen Oberfläche der Verwertung von Populärkultur verbunden ist und nicht unbedingt grundsätzliche Fragen bezüglich des Zugangs zu Institutionen, Gruppeninteressen, der Verteilung des Profits, dem Prozess der Entscheidungsfindung, politische Rechte und so weiter umfasst.

Mehr noch, das Prinzip der Hybridität scheint sich in eine allumfassende Lösung für neoliberale Konzepte der permanenten Flexibilität, Innovation und Transformation zu verwandeln. Zusammenfassend: Hybridität verkauft sich gut, weil sie für sexy gehalten wird. Wenn man diesen Hype bedenkt, sieht es aus, als befänden wir uns am Beginn einer Ökonomie, die fundamental auf der Industrialisierung von Modellen der Hybridität beruht. Ihr Potential ist das Versprechen, strukturelle Grenzen und Barrieren zu überschreiten, und Erneuerung und verbesserte Anpassung durch mehr Effizienz, Funktionalität und ästhetische Gewinne zu ermöglichen. Hybride Technologien beuten Offenheit und Transgression als Arbeitsweisen aus, um kulturelle Bedeutungen in profitable Waren zu übersetzen. Michael Hardt und Toni Negri schreiben daher in Empire: “Hybridisierung wird zum zentralen Merkmal und zur Bedingung für den Kreislauf von Produktion und Zirkulation”.[10]

 
Hybridisierung als Produktionsweise in der Kulturindustrie

Das Bedürfnis, Märkte zu schaffen und zu erweitern, gilt auch für die Kulturindustrie, die bis vor kurzem stark von der linguistischen Übersetzung und der Adaption eines Produkts angewiesen war, um es in verschiedenen kulturellen Kontexten profitabel zu machen. Im Zeitalter der digitalen Reproduktion und der schnellen Produktrotation innerhalb einer wachsenden Kulturindustrie, die immer hungrig nach frischen Bildern und Sounds ist, ist es mit dem nötigen Wissen und der notwendigen technischen Ausrüstung ziemlich leicht, neue Remixe zu erschaffen. All diese Massnahmen sind wichtig, um die Produktionszyklen zu beschleunigen und den Output zu maximieren. Sie tragen auch zu wachsenden Zyklen der Produktion und des Konsums bei, was für die Erfindung neuer und die Erweiterung existierender Märkte wichtig ist. Sie sind notwendig, um das sozio-ökonomische Wachstum im globalen Spätkapitalismus zu intensivieren.

Die Förderung der Hybridität als Produktionstechnologie um kulturelle Diversität zu erzeugen, erweitert die Bandbreite der Optionen. Die Technologien des Sampling, des Mixes und Remixes sind kostengünstige Methoden in der Musikindustrie, die extensiv dazu genutzt werden, um alte Songs ebenso wie Archivmaterial, bekannte Rhythmen und Soundmuster durch endlose Variationen derselben alten Stücke zu recyceln, so dass sie anders und neu erscheinen. Sie sind brauchbare Werkzeuge, um Kompositionen und musikalische Werke durch Wiederholungen zu generieren und mit sich verschiebenden Veränderungen zu erneuern. Ein ähnlicher Prozess geschieht in der Mischung verschiedener Musikstile und Genres aus verschiedenen Epochen, Kulturen oder Subkulturen.

Heutzutage nimmt die kulturelle Übersetzung immer mehr die Form musikalischer Mischungen an. Einer der erfolgreichsten und radikalsten Repräsentanten dieser Form der Weltmusik ist das Londoner multiethnische Musikkollektiv Transglobal Underground, das komplexe Arrangements komponiert, die neben anderen arabische Singstile, Rap- und Reggae-Einlagen, Technomusik, westliche Klassik, lateinamerikanische und afrikanische Rhythmen umfassen. Ihr eklektisches und bewegendes Musikkonzept ist in den Namen ihrer Alben gut dokumentiert: “Dream of 100 Nation” (“Traum von 100 Nation”), “International Times” (“Internationale Zeiten”) and “Interplanetary Meltdown” (“Interplanetares Zusammenschmelzen”). Aber diese sympathische und liebevolle Haltung zur kulturellen Synthese hilft wenig, um die Kulturindustrie und ihre machtvollen Interessen aus diesen kulturellen Kontaktzonen herauszuhalten.

Gegenwärtig ist die Musikindustrie wahrscheinlich das beste Beispiel für eine kulturelle Produktion, die schon weitgehend auf Hybridisierung beruht. Wenn das postmoderne “anything goes” einige formale Evidenz beanspruchen kann, dann ist das Feld des zeitgenössischen musikalischen Ausdrucks ihre Referenz. In den Zitaten und Neuarrangements sich verschiebender Sounds und Rhythmen scheinen soziale Klassenkonflikte und kulturelle Zeit-Raum-Barrieren verschwunden zu sein. Alles erscheint gut und glücklich im Mix der fruchtbaren kulturellen Kontaktzone.

Nach den Wellen von afrikanisch-amerikanischen Musikstilen wie R&B, Soul und Rap oder der Weltmusik mit KünstlerInnen aus der Dritten Welt, wird die westliche Popkultur jetzt durch die jüngsten Crossover namens Bhangra-Pop, Latin Soul und Oriental House bereichert. Diese neuen Musikstile mögen Weisse Mainstreamgesellschaften für eine oder zwei Saisons unterhalten bis sie langweilig werden und dann durch andere heisse, exotische und lebendige Hybridmusikstile ersetzt werden müssen. Die Synthesen verschiedener musikalischer Stile werden zusätzlich durch die Verkörperung ethnischer Differenz und “rassischer” Vermischung verstärkt. Wenn es um die Zelebration des Kosmopolitismus und modischer Pop-Massenkultur geht, dann werden bislang unerwünschte menschliche Ressourcen marginalisierter Einwanderercommunities jetzt als heisse und lebhafte Ingredienzen begehrt.

Die Mischung vergeschlechtlichter und rassifizierter Körper, Sounds und Images aus verschiedenen nationalen, ethnischen und lokalen Kontexten als konsumierbare Produkte ist heutzutage eine weit verbreitete Marketingstrategie, um innovative Produkte zu konstruieren und ihre kulturelle Attraktivität zu erhöhen. Es ist kein Zufall, dass jüngere Hollywood-Produktionen interkulturelle Situationen verwenden ebenso wie “rassische” Stereotypen um die kinematographische Atmosphäre anzureichern und den Humor zu lenken. Die Bandbreite dieser Körper- und Identitätspolitik in filmischen Blockbuster-Sequels beginnt ganz simpel mit gemischten Heldenduos wie in "Men in Black" (Will Smith/Tommy Lee Jones) oder "Rush Hour" (Jackie Chan/Chris Tucker).

Am anderen Ende dieser Skala steht die perfekt designte Philosophie der "Matrix"-Trilogie, die eine im Mainstreamkino bislang unbekannten Masse hybrider Ornamente und transkultureller Settings ausstellt. Obwohl es stimulierend ist, den Einfluss und die Logik der globalisierten spätkapitalistischen Kulturindustrie nicht zu überdramatisieren, lohnt es sich, die rassifizierte Produktphilosophie postmoderner Waren wie der “Matrix”-Serie genauer zu untersuchen. Die Repräsentation von Andersheit und der Missbrauch von People of Color zum Zweck der Förderung eines progressiven Images und Sexappeals der Filmindustrie ist verzerrend. Paradoxerweise dient ihre kontrollierte Diversität, der geschmackvoller Sinn für die richtige Balance an geniessbarer Andersheit dazu, die dominanten Repräsentationen maskuliner Weissheit zu bestätigen, indem sie eine bestimmte Art von Andersheit an Stelle des Anderen aufgewertet wird. Dies ist der Grund, warum Keanu Reeves hybride und übersetzbare Andersheit in den Augen des Weissen Publikums akzeptabel erscheint. Auf der anderen Seite disqualifizieren Lawrence Fishburns unbestreitbare Blackness und Anthony Wongs starkes chinesisches Aussehen sie aus einer Mainstreamperspektive für die Rolle des ultimativen Helden, der die Menschheit am Ende der Geschichte rettet. Es ist eher Keanu Reeves Fähigkeit als Weiss durchzugehen, die dem Weissem Publikum die Wahl lässt, sich mit ihm zu identifizieren, ohne sich entfremdet zu fühlen. Innerhalb dieser Konstellation erlangt das Weisse Subjekt die Freiheit, die kulturellen und rassifizierten Grenzen seiner oder ihrer eigenen Selbstdefinition zu erweitern, während es immer noch die Privilegien, die mit Whiteness assoziiert sind, innehält. Diese Kartographierung kultureller Kreuzungen destabilisiert keine Machtverhältnisse in den verschiedenen Konstruktionen und Verortungen von Identitäten. Sie befreit vielmehr die dominanten Subjektpositionen von erzwungenen Trennungen um eine übergeordnete Identität zu erlangen. Durch die Integration von Differenz wird der kulturelle Eisenkäfig der Identität erweitert; und indem auf spielerische Weise Nicht-Weisse Kontexte erschlossen und angeeignet werden, erlangen Weisse Identitäten ein farbigeres, befriedigenderes und wertvolleres Selbstbild.
Sich das dominante Selbst als Anderes vorzustellen erlaubt historische Einschreibungen und strukturelle Unterschiede in der Konstruktion kultureller Identitäten zu verleugnen. Das Problem der Amnesie erscheint und legt das Fundament für einen entspannten kulturellen Konsum ohne die Bürde der kolonialen Vergangenheit.

Während die postkoloniale Theorie dazu neigt, Hybridität innerhalb einer kritischen Analyse kolonialer Diskurse als Möglichkeit der Artikulation subversiver Effekte durch Wiederholungen und Verschiebungen der Bedeutung dominanter Zeichen in den Äusserungen marginalisierter Subjekte zu diskutieren, scheinen die Kulturindustrie und ihre Einschreibungen des Dominanten in den Diskursen marginalisierter Minderheiten genau am Gegenteil interessiert zu sein. Es ist schliesslich notwendig, zwischen Hybridität als einem Prozess kultureller Subversion und des subalternen Widerstands – wie bei Homi Bhabha – und Hybridität als einem industriellen Modell für die “Vermarktung der Ränder” zu unterscheiden, um einen Begriff von Graham Huggan zu verwenden.[11] Die kommerzielle kulturelle Hybridität erscheint oft als Exotismus, der zur kulturellen Verwertung gewisser schicker Images von Schwarzen und MigrantInnen führt. Während das erste Verständnis von Hybridität auf Alltagspraxen beruht, auf ambivalenten Weisen des künstlerischen Ausdrucks und den anhaltenden Identifikationsprozessen marginalisierter Gruppen erlaubt die zweite Version der Hybridität dem dominanten Weissen Selbst, das Spektrum seiner Selbstbeschreibungen durch den Konsum und die Aneignung modischer und erlaubter Formen der Andersheit zu erweitern. Währenddessen werden ausgeschlossene und unerwünschte Andere, die als traditionell oder fundamentalistisch wahrgenommen werden, dazu gezwungen, still und unsichtbar zu bleiben. Es gibt daher die Notwendigkeit zu fragen, ob Transgressionen frei von Interessen sind, von gesellschaftlichen Hierarchien und kulturellen Ausschlüssen und ob sie von Kulturindustrien und nationalen Behörden zum Zweck des Genusses und einer verbesserten Effizienz ausgebeutet werden. Es ist wichtig anzuerkennen, dass dominante Subjekte und nationale Projekte bis zu einem gewissen Grade willens und interessiert daran sind, die Vorteile auszunutzen, die kulturelle Diversität und interkulturelles Management ihnen bieten.


Hybridität als nationale Modernisierung

Die anhaltende Faszination mit kultureller Hybridität ist auf dem Weg eine neue Metaerzählung Dritter Räume zu eröffnen, die für eine wachsende Ökonomie des Begehrens entdeckt und kartographiert werden. Diese Entwicklung ermutigt transnationale ImmigrantInnen sich selbst als besonders hybrid zu konstruieren, weil es eines der wenigen Wege der Selbstvermarktung und der sozialen Mobilität nach oben darstellt.

Diese interkulturelle Version der Hybridität kann jedoch auch als postmoderne Neuauflage eines überkommenen Multikulturalismus analysiert werden. Wie sein Vorgänger ist auch dieser Diskurs der Hybridität nicht frei von essentialistischen Grundlagen und ethnisierenden Stereotypen. Hybridität wird oft als ein kultureller Mix beschreiben, der auf stabilen und holistischen nationalen Kulturen beruht, die keine internen Differenzen kennen. Die Externalisierung kultureller Differenz und sozialer Antagonismen konstruiert ein unterdrückerisches Modell kultureller Identität und transzendiert keine nationalen und ethnischen Formationen. Hybridisierung als neues Paradigma dialogischer Imagination und kultureller Harmonie kann zudem die gewalttätige Gegenwart von Rassismus und strukturellen Ungleichheiten qua Geschlechts-, Klassen-, sexuellen und kulturellen Identitäten verschleiern. Hybridität kann bestenfalls im Widerspruch zu kulturellen Binarismen und Dichotomien stehen und sie im schlimmsten Fall verstärken, aber in den meisten Begriffsbildungen hat kulturelle Hybridität nur wenig mit Machtverhältnissen und Hegemonien zu tun.[12] Während die Grenzen des Wohlstands und die sogenannte Innere Sicherheit in westlichen Gesellschaften zunehmend bewacht werden, werden wir auf wenig überraschende Weise mit den unleugbaren Effekten von Globalisierung und Migration konfrontiert.

Diese Kräfte haben eine mobile Ökonomie von Körpern, Zeichen und Sprachen geformt, die sich durch Kombination und Rekombination verschiedener kultureller Elemente artikuliert. Anstatt den Raum zu feiern, der für kulturelle Freiheit und Durchlässigkeit gewonnen wurde, sollten wir vorsichtig damit sein, wenn es darum geht, die politischen Potentiale kultureller Transgressionen zu denken.

Mit der Blüte von Cultural und Postcolonial Studies sind hybride Konstellationen und Zwischenkategorien in den letzten Jahren zum prominenten und modischen Stil geworden. Nach den gefährlichen Verbindungen der Moderne mit Ideologien wie dem Kolonialismus, Rassismus, Nationalismus und Faschismus,[13] die alle auf der Gewalt der eingebildeten Reinheit und Nähe beruhen, war die Erforschung lang vernachlässigter Möglichkeiten der Grenzüberschreitung im ersten Moment eine erleichternde kulturelle und politische Aufgabe. Heute müssen wir jedoch zugeben, dass bereits die Untersuchung und Ausstellung kultureller Differenzen und wie sie ineinander aufgehen und sich verschränken politisch ambivalent bleibt. Dies ist der Fall seitdem die zweifelhafte Zelebrierung einer gerade entdeckten (und später ausgebeuteten) “Neuheit” und transkulturellen Dynamik migrantischer und Schwarzer Diasporakulturen durch öffentliche Institutionen und multinationale Unternehmen begrüsst wird. Migrantische Communities als nützliches Werkzeug wahrzunehmen, um nationale Wettbewerbsfähigkeit zu steigern oder sie als mittlerweile notwendiges transnationales Netzwerk von Human- und Kulturkapital zu verwenden, ist eine Form der Objektivierung. Diese Praxen tendieren dazu, Andersheit als etwas auszustellen, das dem Geschmack und den Interessen der Mainstreamgesellschaft dienlich ist, die im dominanten Nationalstaat eingebettet ist.[14] Ein solcher Prozess erschafft neue Hierarchien und Grenzen der Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, aber auch neue Formen der Anerkennung und des Ausschlusses unter Marginalisierten.

Es ist offensichtlich, dass gerade Immigrierte, die im Weissen Blick als “traditionell” wahrgenommen werden, unter dem Druck stehen, als gute, integrierbare und dabei immer noch unterhaltsame Andere zu funktionieren. Jene ImmigrantInnen, die in das erwünschte Bild des integrierten Anderen hineinpassen werden gefeiert, während diejenigen, die nicht hineinpassen, auf die eine oder andere Weise dafür bestraft werden. Letztlich werden dadurch die etablierten Positionen in der anhaltenden Auseinandersetzung über die Subjekt-Objekt Beziehung nicht hinterfragt, sondern verstärkt.

Darüber hinaus werden hybride EinwanderInnen und ihre diasporischen Kulturen auch gebraucht, um die alternde und absteigende Nation zu modernisieren. Selbst ein Land wie Deutschland, das für sein politisches Versagen bekannt ist, seinen Wandel in eine moderne Einwanderungsgesellschaft anzuerkennen, ist jetzt von der Idee migrantischer Newcomer besessen. Der Zweck dieser Neubewertung ist es, die Weisse Nation ins Zentrum einer farbenfrohen Andersheit zu stellen. Vorher abgelehnte kulturelle Ressourcen von Einwanderer-Communities werden jetzt als produktive und exotische Zutaten begehrt, wenn es darum geht, das Kosmopolitische und die Potenz der Nationalkultur zu feiern. Nach einer selektiven Prozedur werden bestimmte migrantische und Schwarze Stimmen, die in die vorgeschriebenen Schönheitskategorien passen, als dazugehörig, unterhaltsam und repräsentativ wahrgenommen. Die deutsche Vorauswahl für den europäischen Schlagerwettbewerb "Grand Prix Eurovision 2004" während eines deutschlandweit ausgestrahlten Fernsehereignisses namens "Germany 12 Points!" ist ein gutes Beispiel. Wie das Ausrufezeichen im Titel anzeigt, fordert die imperative Form des Titels kompromisslos die führende Rolle für Deutschland in Europa. Offensichtlich wird die Teilnahme von MigrantInnen und Deutschen of Color begrüsst, um die Spitzenposition für Deutschland zu sichern. Dem Trend der letzten Jahre folgend präsentierte diese nationale Vorausscheidung überdurchschnittlich viele Performer mit migrantischen oder anderen deutschen Hintergründen, wie den arabisch-deutschen Laith Al-Deen, die indisch-deutsche Sabrina Setlur und die “multirassische” Boygroup "Overground". Overground wurde durch eine Fernseh-Casting-Show produziert, die von einem internationalen Musikkonzern gesponsert wurde und repräsentiert zusammen mit anderen Reagenzglas-Newcomern wie "Become One" und der Mädchenband "Preluders" (alle drei Bands wurden im November 2003 zusammengestellt) nur das letzte Ergebnis einer extrem erfolgreichen Pop-Produktlinie, die 2000 mit "No Angels" und 2001 mit "Bro’Sis" begann. All diese industriell zusammengesetzten Bands teilen in verschiedenen Schattierungen das Bestreben, eine “multirassische” und attraktive Erscheinung abzugeben. Die Mädchenband "Preluders", ein Name der offensichtlich mit sexueller Verfügbarkeit und Erregungen verbunden ist, ist am konsequentesten in der Ausführung dieses Konzepts: Die Preluders stellen eine weibliche Mischung aus albanischen-deutschen-italienischen-südafrikanischen-vietnamesichen Eigenschaften dar. Diese Form der Bevorzugung hybrider “Andersheit” (Otherness) in selektiven kulturellen Kontexten mit kulturindustriell definierten Rollenmodellen ist reduktiv und kann rassistische und sexistische Stereotypen verstärken. Sie zeigt, dass Deutschland die Anwesenheit ethnisierter Minderheiten nur aushalten kann, wenn sie in der Form der Komödie oder als Sing- und Tanzeinlagen erscheinen.

Sich Kultur als monolithische und reine Essenz der Nation vorzustellen, scheint heutzutage eine altmodische Denkweise zu sein. Aber Tatsache ist, dass die politische Bedeutung des Nationalstaats nicht unterbrochen ist und er eine unübersetzbare, machtvolle und bestimmende Kraft bleibt.

Dieser Text ist ein gekürzter und überarbeiteter Auszug aus dem Buch Hype um Hybridität. Kultureller Differenzkonsum und postmoderne Verwertungstechniken im Spätkapitalismus (Bielefeld: transcript Verlag 2005).



[1] Best, Steven/Kellner, Douglas (1991): Postmodern Theory. Critical Interrogations, Houndmills - London: MacMillian Education.

[2] Vgl. ausführlicher Ha, Kien Nghi (2003): Hybride Bastarde. Identitätskonstruktionen in kolonial-rassistischen Wissenschaftskontexten, In: Eva Kimminich (Hg.): Kulturelle Identität. Konstruktion und Krise, Frankfurt a. M.: Peter Lang, S. 107-160.

[3] Jameson, Frederic (1991): Postmodernism, or, The Cultural Logic of Late Capitalism, London - New York: Verso.

[4] Smart, Barry (1993): Postmodernity. Key Ideas, London - New York: Routledge, S. 19, (eigene Übersetzung).

[5] Schneider, Irmela (1997): Von der Vielsprachigkeit zur "Kunst der Hybridation". Diskurse des Hybriden, In: Dies./Christian W. Thomsen (Hg.): Hybridkultur: Medien, Netze, Künste, Köln: Wienand, S. 13 – 66, hier S. 43.

[6] Kellner, Douglas (1997): "Critical Theory and Cultural Studies", In: Jim McGuigan (Hg): Cultural Methodologies, London: Sage, S. 12-41, hier S. 23, (eigene Übersetzung).

[7] Nash, Kate (2000): Contemporary Political Sociology. Globalization, Politics, and Power, Oxford-Malden/Mass.: Blackwell, S. 71, (eigene Übersetzung).

[8] Hutnyk, John (1997): Adorno at Womad. South Asian Crossovers and the Limits of Hybridity-Talk, In: Pnina Werbner/Tariq Modood (Hg.): Debating Cultural Hybridity, London: Zed Books, p. 106-136, S. 128 (eigene Übersetzung).

[9] Featherstone, Mike (1991): Consumer Culture & Postmodernism, London: Sage.

[10] Hardt, Michael/Negri, Toni (2002): Empire, Frankfurt am Main, S. 328.

[11] Bhabha, Homi (1994): The Location of Culture, London – New York: Routledge; Huggan, Graham (2001): The Postcolonial Exotic. Marketing the Margins, London – New York: Routledge.

[12] Ha, Kien Nghi (2004): Ethnizität und Migration Reloaded. Kulturelle Identität, Differenz und Hybridität im postkolonialen Diskurs, Berlin: Wissenschaftlicher Verlag Berlin.

[13] Broeck, Sabine (2006): Das Subjekt der Aufklärung – Sklaverei – Gender Studies. Zu einer notwendigen Relektüre der Moderne, In: Gabriele Dietze/Sabine Hark (Hg.): Gender kontrovers. Genealogien und Grenzen einer Kategorie, Königstein: Ulrike Helmer Verlag, S. 152-180.

[14] Steyerl, Hito (2004): "Gaps and Potentials. The Exhibition 'Heimat Kunst' - Migrant Culture as an Allegory of the Global Market", In: New German Critique 92 (Spring/Summer 2004), Special Edition: Multicultural Germany: Arts, Performance, and Media: Cornell UP.