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02 2007

Immanente Effekte

Notizen zur Kre-aktivität

Stefan Nowotny

Im 1925 verfassten Vorwort zur ersten Ausgabe seines Zyklus Monsieur Teste erinnert sich Paul Valéry an die Niederschrift des ersten Textes, den er der Figur des Teste dreißig Jahre zuvor gewidmet hatte:

 „Es schien mir, die Empfindung der Anstrengung müsse angestrebt werden, und ich schätzte die glücklichen Ergebnisse nicht, welche bloß die natürlichen Früchte unserer angeborenen Fähigkeiten sind. Das will sagen, dass die Ergebnisse im Allgemeinen – und folglich die Werke – mir weit weniger wichtig waren als die Energie des Schaffenden – der Wesenskern jener Dinge, auf die er hofft. Dies beweist, dass die Theologie sich ein bisschen überall wiederfindet.“[1]

Ich habe hier nicht viel mehr vor, als von diesen Sätzen aus, oder mich jedenfalls in ihrem Resonanzfeld haltend, die Frage nach einer möglichen Kritik der Kreativität zu umkreisen. An der Theologie führt dabei, wie sich zeigen wird, kein einfacher Weg vorbei: Kaum spricht man von so etwas wie der „Energie des Schaffenden“ – Chiffre für so viele Bennenungen dessen, was in der Kreativität am Werk vermutet wird –, schon findet sich eine Wirklichkeit angerufen, die sich über alle sonstige Wirklichkeit hinaushebt; eine Wirklichkeit, die die „natürlichen Früchte“, wie Valéry mit einer gewissen Ironie sagt, ja die Ergebnisse und Werke im Allgemeinen übersteigt. Es ist nicht zu übersehen, dass Valéry diese Übersteigung zugleich einem gewissen jugendlichen Überschwang, einer jugendlichen Verstiegenheit zuordnet, die die Anstrengung sucht, von den Ergebnissen ihrer Anstrengungen jedoch noch nicht eingeholt ist. Genau dies aber – von den Ergebnissen der eigenen Anstrengung eingeholt zu werden – beschreibt die Situation eines Autors, der sich von einer in jungen Jahren geschaffenen Figur (Monsieur Teste) zeit seines Lebens begleitet sieht und über diese Figur dreißig Jahre nach ihrer Erfindung reflektiert. Und genau dies beschreibt auch, so scheint es zunächst, die Situation und Perspektive einer Kritik der Kreativität, wie sie hier verhandelt werden soll.


1. Die Frage einer Kritik der Kreativität und ihre Nicht-Beantwortung durch Boltanski/Chiapello

Eine „Kritik der Kreativität“ hat – im Vergleich zu kritischen Untersuchungen einer Reihe von anderen Gegenständen – zweifellos die Besonderheit, dass sie ihrem Gegenstand selbst eine gewisse Kritikfähigkeit zutraut. Sie zielt, als Kritik des Gegenstands „Kreativität“ („Kritik der Kreativität“ als genitivus obiectivus), auf die unterscheidende Untersuchung der Möglichkeiten und Grenzen einer Kreativität, die nicht zuletzt durch die in ihr selbst liegende Kritik oder Kritikfähigkeit („Kritik der Kreativität“ als genitivus subiectivus) gekennzeichnet ist. Wir haben es also mit einer Kritik zu tun, die weniger auf die Verwerfung ihres Gegenstandes (als Idole, Ideologien, Götzen etc.) abzielt als vielmehr auf eine (auf)klärende Verständigung über ihn, die allenfalls das, was an diesem Gegenstand idolatrisch, ideologisch, götzenhaft sein mag, von dem zu scheiden versucht, was an ihm möglicherweise als umso legitimer erscheinen muss, je mehr es durch die Kritik von allem Idolatrischen etc. gereinigt wird. In diesem Sinn ließe sich die Aufgabe einer Kritik der Kreativität darüber hinaus sogar in einer gewissen Analogie zum Kant’schen Projekt einer Vernunftkritik auffassen: So wie in Kants Kritik der verschiedenen Vernunftvermögen die Vernunft nicht nur Gegenstand der Kritik ist, sondern sich zugleich im Vollzug dieser Kritik in bestimmten ihrer Vermögen aktualisiert, so wäre es möglich, dass sich im Verfahren einer Kritik der Kreativität ein bestimmtes Vermögen der Kreativität aktualisiert, das in einer unaufhebbaren Differenz zu dem steht, was als „Gegenstand“ der Kreativität jemals in den Blick kommen kann – und jeder Gegenstand mit dem Namen „Kreativität“ wäre umgekehrt immer schon immanenter Effekt einer bestimmten kreativen Tätigkeit.

Betrachten wir zunächst eine Argumentation, die auf den ersten Blick als mögliche Ausgestaltung einer solchen Betrachtungsweise, zumindest in ihrem ersten Aspekt, erscheinen muss: Dass eine Kritik der Kreativität es mit einer in der Kreativität selbst angelegten Kritik und Kritikfähigkeit zu tun hat, scheint auch für die in den letzten Jahren viel diskutierte Studie Der neue Geist des Kapitalismus von Luc Boltanski und Eve Chiapello ein leitender Ansatzpunkt zu sein. Eines der zentralen Motive dieses Buches ist die in ihm enthaltene Kritik dessen, was die AutorInnen als „Künstlerkritik“[2] bezeichnen, mithin einer Kritik, die sich – so könnte man vermuten – aus Kreativität oder zumindest aus einem besonderen Bezug zur Kreativität speist. Diese „Künstlerkritik“ habe sich vor allem gegen die „Entzauberung“, die „fehlende Authentizität“, den „Sinnverlust“ sowie die „Unterdrückung“ gewendet, die von der Hohlheit und den Normierungen der bürgerlichen Warengesellschaft ausgingen, und dagegen Forderungen der „Freiheit“, der „Ungebundenheit“ und der „Mobilität“ erhoben.[3] Vor allem im Kontext des Pariser Mai ’68 geschichtsmächtig geworden, habe diese Form der Kritik jedoch – und hier setzt Boltanski/Chiapellos „Kritik der Kreativität“ unter der Form einer Kritik der „Künstlerkritik“ an – neue Strategien des Unternehmensmanagements inspiriert und auf diesem Wege letztlich Effekte gezeitigt, die mit neuen Formen der Ausbeutung und der Prekarisierung einhergingen und damit nicht zuletzt die Gleichheits- und Sicherheitsforderungen des anderen Hauptstrangs der Kritik, den die AutorInnen „Sozialkritik“ nennen (und mit dem sich die „Künstlerkritik“ im Mai ’68 in davor ungekannter Weise verbunden habe), konterkariert.

Zwei Punkte springen angesichts dieser Argumentation ins Auge: zum einen der vermeintliche Bezug der Kritik der Kreativität (gen. obiectivus) auf eine unter dem Namen „Künstlerkritik“ gefasste Kreativität der Kritik (bzw. „Kritik der Kreativität“ als gen. subiectivus); sowie zum anderen das Thema eines Effekts der Kritik, der zum eigentlichen Gegenstand von Boltanski/Chiapellos „Kritik der Kritik“ wird, weil er die (kapitalismuskritischen) Anliegen und Absichten der Kritik, die ihn hervorbringt, letztlich unterminiert, teils aufgrund einer gewissen Blindheit, mit der ihre Motive geschlagen sind, teils aufgrund der Aneignung und Vereinnahmung dieser Motive durch kapitalistische Verwertungsinteressen. Was den ersten Punkt angeht, so zeigt sich schnell, dass er wider Erwarten in Boltanski/Chiapellos Buch gar nicht wirklich zur Sprache kommt: Kreativität oder die spezifische Erfahrung einer Kreativität spielen dort, wo das Konzept der Künstlerkritik eingeführt wird, keinerlei Rolle; die Künstlerkritik wurzle vielmehr „in der Lebensform der Boheme“, teile mit der bürgerlichen Moderne von vornherein den „Individualismus“ und habe ihren „Inbegriff in Gestalt des dandy Mitte des 19. Jahrhunderts“[4]. Der einzige – und zwar durchaus signifikante – Hinweis, den Boltanski/Chiapello in diesem Zusammenhang auf so etwas wie eine Frage der Kreativität geben, findet sich in einem Einschub, der immerhin einräumt, dass die dandyeske Stilisierung der „Nicht-Produktion“ eine spezifische Ausnahme kenne: die „Ausnahme der Selbstproduktion“[5] – also eine Form der Selbsthervorbringung im Sinne der Hervorbringung einer bestimmten Lebensform.

Hinsichtlich des zweiten Punktes – der Frage nach der Effektivität der Kritik – ist es lohnend, den Kritikbegriff von Boltanski/Chiapello einer näheren Betrachtung zu unterziehen:

 „Die Idee der Kritik hat […] nur Sinn, wenn eine Diskrepanz zwischen einem wünschenswerten und einem tatsächlichen Stand der Dinge besteht. Um der Kritik den Platz zu geben, der ihr in der sozialen Welt zukommt, dürfen Gerechtigkeitsbelange nicht einfach nur auf Macht reduziert werden. Man darf sich allerdings auch nicht von der Gerechtigkeitsnorm derart blenden lassen, dass die eigentlichen Kräfteverhältnisse dabei aus dem Blick geraten. Um Geltung zu beanspruchen, muss die Kritik in der Lage sein, sich zu rechtfertigen. D. h., sie muss ihr normatives Bezugssystem verdeutlichen, besonders wenn sie auf Rechtfertigungen zu reagieren hat, die die Kritisierten für ihr Handeln vorbringen.“[6]

So häufig die Verknüpfung des Begriffs der Kritik mit der Notwendigkeit der Verdeutlichung eines „normativen Bezugssystems“ auch anzutreffen sein mag[7], so wenig Selbstverständlichkeit kann sie doch für sich in Anspruch nehmen. Sie geht von einer grundlegenden Distanz des Kritik übenden Subjekts gegenüber dem Kritisierten aus, oder genauer: von einer beweglichen Fähigkeit zur Distanznahme, die sich in dem von der Diskrepanz zwischen „tatsächlichem“ und „wünschenswertem“ Zustand eröffneten Raum vollzieht. Die Idee einer solchen Distanznahme läuft jedoch nicht nur Gefahr, die Involvierung in die bestehenden Kräfteverhältnisse zu verkennen, der das kritisierende Subjekt selbst in seiner Tätigkeit unterliegt (und die mit einem bloßen Im-Blick-Behalten der „eigentlichen Kräfteverhältnisse“ noch keineswegs eingeholt ist). Sie droht auch – verknüpft mit der Forderung nach der Angabe eines „normativen Bezugssystems“ – einen Ausschluss zu wiederholen, der geradezu als Leitmotiv in der Geschichte der Politikkonzeptionen bezeichnet werden kann und der bereits mit Aristoteles zu einer deutlichen Formulierung gelangt. Ich spreche von der Abspaltung eines Sprechens, das „nur das Angenehme und Unangenehme“ auszudrücken vermag, von einem Sprechen, das dazu bestimmt ist, „das Nützliche und Schädliche deutlich kundzutun und also auch das Gerechte und Ungerechte“[8]. Die an die Kritik gestellte Anforderung nach Verdeutlichung einer „Gerechtigkeitsnorm“ ist daher nicht nur mit einer so impliziten wie prinzipiellen Privilegierung der sprachlichen Äußerung verbunden, sie etabliert darüber hinaus eine Hierarchie unterschiedlicher Sprechweisen und schneidet damit den Zugang zur – wenn auch nie ungebrochen zum Ausdruck gelangenden – Herkunft der Kritik aus dem Affektiven (Gewalterfahrungen, Überanstrengung, Unlust etc., aber auch Begehren, Lusterfahrungen etc.) weitgehend ab.[9]

Die zuerst angesprochene Betonung der Distanz bestimmt indessen nicht allein Boltanski/Chiapellos Perspektive auf das Kritik übende Subjekt. Sie legt letztlich auch die Frage nach den Effekten der Kritik auf ein Denken der Äußerlichkeit fest und verfehlt damit jenen zweiten Aspekt der oben skizzierten Implikationen einer Kritik der Kreativität, der die Frage der Effekte als Frage immanenter Effekte erscheinen lässt. Dieses Denken der Äußerlichkeit manifestiert sich bei Boltanski/Chiapello auf mehreren Ebenen: Äußerlichkeit (Distanz), die das Verhältnis Kritik übender Subjekte in Bezug auf „tatsächliche“ und „wünschenswerte“ Zustände bestimmt; wechselseitige Äußerlichkeit (grundsätzliche Unverbundenheit und sogar Unvereinbarkeit) von „Künstlerkritik“ und „Sozialkritik“; Äußerlichkeit der Intentionen der Kritik in Bezug auf ihre Effekte (so gründet das von Boltanski/Chiapello beanstandete Elend der Künstlerkritik zwar in einer gewisser Blindheit gegenüber Gleichheitsforderungen, die ihren kritischen Intentionen eingeschrieben ist; die eigentlichen Effekte dieser Kritik werden aber erst an einem von ganz anderen Interessen und Legitimationsbestrebungen angetriebenen Netzwerkkapitalismus greifbar).

 
2. Kritik als Kre-aktivität

Eine Kritik der Kreativität im oben genannten Sinn ist dem dargestellten Ansatz also schwerlich zu entnehmen. Dennoch erscheint es mir wichtig, zwei Missverständnisse zu vermeiden: Zum einen geht es mir hier keineswegs darum, die in dem Buch von Boltanski/Chiapello angestellten Analysen, die ich in vielen Punkten für wichtig halte, grundsätzlich abzuwerten oder zu diskreditieren. Und zum anderen geht es mir noch weniger darum, irgendeine „Künstlerkritik“ – eine Kategorie, die mir in sozialanalytischen Zusammenhängen im Übrigen von zweifelhafter Nützlichkeit zu sein scheint – zu verteidigen und darüber ins Fahrwasser wohlbekannter Kunstemphasen zu geraten. Aus diesem Grund sei die Frage nach dem Zusammenhang von Kritik und Kreativität im Folgenden auch zunächst nicht unter dem Blickwinkel einer wie auch immer gearteten „Künstlerkritik“ behandelt, sondern mit Blick auf das, was bei Boltanski/Chiapello „Sozialkritik“ heißt und als „sozialistischer und später marxistischer Provenienz“[10] qualifiziert wird.

Bringt Kants kritische Philosophie, wie oben angesprochen, die theoretischen Implikationen von Kritik als theoretischem Verfahren auf den Punkt (deren Ex-plikation in vielerlei Hinsicht das Projekt der nachkantischen Idealisten bildet), so lässt sich Ähnliches über Marx sagen, soweit es um die Verständigung über Kritik als praktische Tätigkeit in einem politisch-sozial verändernden Sinn geht. Schon die erste von Marx’ „Thesen über Feuerbach“ spricht von der „Bedeutung der ‚revolutionären‘, der ‚praktisch-kritischen‘ Tätigkeit“[11] und siedelt das Problem gewissermaßen zwischen Idealismus und Materialismus an: Während Ersterer „die wirkliche, sinnliche Tätigkeit als solche nicht kennt“ und daher einen abstrakten Begriff von Praxis habe, habe der bisherige Materialismus (also primär jener Feuerbachs) noch zu gar keinem Verständnis von Praxis gefunden und betrachte die Wirklichkeit „nur unter der Form des Objekts oder der Anschauung“. Marx’ zentrales Beispiel, ausgeführt in der vierten seiner Thesen, betrifft die Feuerbach’sche Religionskritik: Ist die Religion, wie Feuerbach schreibt, nichts anderes als eine Projektion irdisch-menschlicher Verhältnisse, so genügt es nicht, diese Projektion auf rein theoretischer Ebene zu entlarven, um die Kritik wirksam werden zu lassen; „die weltliche Grundlage“ dieser Projektion muss vielmehr „in ihrem Widerspruch [oder sagen wir, um Marx’ Gedanken seiner dialektischen Grundierung zu entwinden: in ihren Kräfteverhältnissen] verstanden“ und zugleich „praktisch revolutioniert werden“. Und diese Revolutionierung lässt sich im Übrigen nicht, wie bereits die dritte These festhält, auf die allgemeine Formel einer „Veränderung der Umstände“ reduzieren, sondern impliziert ein „Zusammenfallen des Ändern[s] der Umstände und der menschlichen Tätigkeit oder Selbstveränderung“.

Das Bemerkenswerte an dem Kritikbegriff, den die Marx’schen Feuerbach-Thesen formulieren, ist zunächst, dass sie das Bild einer grundsätzlichen Involvierung in eine operative Struktur („Verhältnisse“) zeichnen, der die Vorstellung äußerer „Umstände“ nur unzureichend Rechnung trägt und die letztlich kritische wie auch unkritische Subjekte gleichermaßen angeht. Kurz: Es genügt nicht, kritikwürdige „Objekte“ zu fixieren oder ihre „Veränderung“ anzustreben, wenn man gleichzeitig eine operative Struktur reproduziert, die genau diese Objekte in ihrer Wirklichkeit beständig hervorbringt. Eine solche Form der Kritik gleicht einem Rennhund, der dem Dummy eines mit einer Stabvorrichtung am eigenen Hals befestigten Hasen nachjagt: Sie hält sich am Laufen, kommt aber deswegen ihrem Ziel um keinen Deut näher. Eben darum kann es keine Veränderung ohne Selbstveränderung geben, einer Selbstveränderung, die in keinster Weise individuelle Privatangelegenheit ist, sondern am subjektiven (mit Marx: sinnlich-praktischen) Reproduktionsmodus der Struktur ansetzt. Der Begriff der Selbstveränderung besetzt daher die Schnittstelle zwischen dem zuerst genannten Aspekt der Marx’schen Betonung der Involvierung in die kritisierten Verhältnisse und einem dritten Charakteristikum des in den Feuerbach-Thesen artikulierten Kritikbegriffs: Entgegen einer verbreiteten Auffassung in Bezug auf Marx (und ebenso, wie an Boltanski/Chiapello zu sehen war, in Bezug auf die Frage der Kritik im Allgemeineren) bedarf dieser Kritikbegriff keiner Verdeutlichung seiner „Normbezüge“ und keiner Ausrichtung an einem „wünschenswerten Zustand“; er bedarf überhaupt keiner Zweckorientierung, mit der spezifischen Ausnahme vielleicht des destitutiven Zwecks einer „Entmachtung“ der kritisierten operativen Struktur, der aber seinerseits letztlich nur über eine selbstverändernde Praxis einzulösen ist – und dieser Praxis daher nicht äußerlich ist.

Ein deutliches Echo dieses von Marx formulierten praktischen Kritikbegriffs findet sich in Walter Benjamins Aufsatz „Zur Kritik der Gewalt“ aus dem Jahr 1921, und zwar vor allem dort, wo Benjamin „politischen“ und „proletarischen Generalstreik“ einander gegenüberstellt: Während die erste Form des Generalstreiks lediglich die Durchsetzung bestimmter Zwecke betreibe, die dem Handeln selbst äußerlich bleiben, und daher auch nur äußerliche Modifikationen der Umstände des Handelns (bzw. der Arbeit) bewirke, komme die zweite Form einem „Umsturz“ gleich, „den diese Art des Streiks nicht sowohl veranlasst als vielmehr vollzieht“[12] – einem Umsturz also, der den Streik letztlich nicht nur abstrakt als Arbeitsaussetzung erscheinen lässt, sondern als Freisetzung einer anderen, sich selbst verändernden sozialen Tätigkeit (Versammlungen, Austauschprozesse abseits der Arbeitsfunktionalität etc.). Und in eine ähnliche Richtung weist, auf Kunsttätigkeiten bezogen, auch Benjamins Verschiebung der Frage „Wie steht eine Dichtung zu den Produktionsverhältnissen der Epoche?“ in Richtung der Frage: „Wie steht sie in ihnen?“, wie sie in „Der Autor als Produzent“[13] formuliert wird. Involvierung, Selbstveränderung, das Fehlen einer Zweckbestimmung – diese drei Aspekte bestimmen Benjamins Überlegungen zu einer praktischen Kritik so gut wie diejenigen von Marx.

Gerade der letzte dieser drei Aspekte lässt schließlich auch eine unverkennbare Verknüpfung mit der Frage der Kreativität zutage treten. Nicht primär in dem Sinn, den die zumeist vage und unbestimmt bleibende Rede von Kunst als nicht-verzweckter oder als „Zweck in sich selbst“ nahe legt – eine Idee, die zwar nicht außerhalb jeglichen Zusammenhangs mit dem hier gestellten Problem betrachtet werden kann, aber doch vor allem in die Geschichte der künstlerischen Autonomie-Ideen des 19. Jahrhunderts gehört. Entscheidender ist, dass das Fehlen eines Zwecks auf eine bestimmte Verschiebung der Frage der Kreation bzw. der Kreativität verweist, in der sich diese Frage aus jenem onto-theologischen Schema zu lösen beginnt, auf welches das Eingangszitat von Paul Valéry anspielt und in dem sie über Jahrhunderte oder sogar Jahrtausende gehalten war. Dieses Schema hat den „Zweck“ (Finalursache) einer Schöpfung stets an eine vorgängige, souveräne, dem Kausalzusammenhang der Welt enthobene und ihn begründende erste Realität gebunden, an eine jeder Möglichkeit ontologisch überlegene Wirklichkeit, deren Prototyp der aristotelische „unbewegte Beweger“ abgibt: Demiurg, Erstursache und Schöpfer der Welt[14], den sich die christlich-scholastische Theologie in ihrem Begriff von Gott als „actus purus“ anverwandeln sollte. Valérys Anspielung auf die „Energie des Schaffenden“ (der aristotelische Begriff enérgeia wird, gemäß einer langen Übersetzungstradition, ins Deutsche mit „Wirklichkeit“ übersetzt; seine lateinische Entsprechung findet er im Wort „actus“) ist vor diesem Hintergrund insbesondere als Hinweis darauf zu verstehen, dass diese Konstruktion durch die modernen, auf das „Kunstschaffen“ bezogenen Kreativitätsideen weniger abgelöst wurde als vielmehr in sie eingegangen ist – zumindest in eine gewisse, noch heute wirksame Verstiegenheit dieser Ideen, die das künstlerische Subjekt partout als eine der Welt enthobene, „aus sich selbst schöpfende“ Schaffensrealität haben will.

Die Welt erscheint in einer solchen Konstruktion immer als sekundäre Wirklichkeit, und zugleich findet sie sich darauf festgelegt, „Wirklichkeit“ zu sein, die in einem mehr oder weniger ausgeprägten Gegensatz zur Möglichkeit steht (die „Ergebnisse im Allgemeinen“, die „natürlichen Früchte“ oder auch die „angeborenen Fähigkeiten“ bei Valéry). Genau an diesem Punkt aber beginnt sich in jener Bewegung, die zur Moderne und nicht zuletzt etwa zum Denken eines Karl Marx führt, eine Verschiebung abzuzeichnen, die Jean-Luc Nancy in einem Text mit dem Titel „Über die Schöpfung“[15] vor allem in den Werken Descartes’, Spinozas sowie besonders Leibniz’ zum Ausdruck gelangen sieht: Gemäß dieser Verschiebung ist die Welt „ein Mögliches, bevor sie ein Wirkliches ist“[16], oder anders: sie ist wirklich genau darin, dass sie möglich ist, auf dem Spiel steht, „vervollkommnungsfähig“ (Leibniz) oder „revolutionierbar“ (so die Marx’sche Konsequenz) ist. Und diese wirkliche Möglichkeit, in der das Feld der Möglichkeiten weder auf eine bestehende noch auch auf eine vorausgesetzte Wirklichkeit beschränkt ist, verweist zugleich immer auf eine unveräußerliche Involvierung in die Welt (eine andere Welt ist nur kraft Veränderung dieser Welt möglich, und nicht als Wolkenkuckucksheim) sowie auf die Notwendigkeit einer Selbstveränderung, die neue Möglichkeitsfelder eröffnet (die vormaligen „Geschöpfe“ werden selbst zu potenziellen „SchöpferInnen“, und zwar nicht zuletzt – und nicht nur unter Dandys – zu SchöpferInnen ihrer selbst).[17]

„Dass es in der Welt oder gar als die Welt (unter dem Namen ‚Mensch‘ oder aber ‚Geschichte‘, ‚Technik‘, ‚Kunst‘, ‚Existenz‘) einen Einsatz ihres Ursprungs und ihres Endes, ihres Möglich-Seins und somit ihres Seins sowie des Seins im Allgemeinen gibt“[18] – hierin zeichnet sich nach Nancy eine „noch nie dagewesene Problematik der ‚Schöpfung‘“ ab, die sich weder auf die Register der „Produktion“ herunterbrechen lässt noch auch auf ein vorgängiges Subjekt der Schöpfung verweist, sondern vielmehr auf eine „Mannigfaltigkeit der Existenzen“, die in diese Problematik involviert sind. Wir sollten Nancys Aufzählung der verschiedenen Namen, unter denen sich diese Problematik zu erkennen gibt, nicht nur dahingehend ernst nehmen, dass die „Kunst“ sich in ihr nur als ein Element einer Serie darstellt; wir sollten dieser Aufzählung auch den Namen „Kritik“ hinzufügen, insbesondere im Sinne jener praktischen Kritik, die sich beispielsweise bei Marx oder Benjamin artikuliert findet. Kritik ist in diesem Sinn eine Weise (nicht die einzige), eine Tätigkeit auszuüben, die ich hier – um den problematischen und beladenen Namen der „Kreativität“ nicht ungebrochen fortzuschreiben – als Kre-aktivität bezeichnen möchte. Die Effekte der Kritik sind entsprechend als immanente Effekte dieser Kre-aktivität zu betrachten, das heißt die „Ursache“ dieser Effekte ist ihnen nicht äußerlich, sondern aktualisiert sich in ihnen, insbesondere in Gestalt der Subjektivierungsweisen, die die kre-aktive Tätigkeit (bzw. die kre-aktive Kritik als eine ihrer Ausformungen) hervorbringt. Dementsprechend ließe sich auch die Pointe Walter Benjamins erneut, dieses Mal in Bezug auf die Frage der Kritik, aufgreifen: Die Frage ist nicht, wie man zu den Effekten der Kritik steht, sondern wie man in ihnen steht.

 
3. Die Perspektive einer Genealogie der Kre-aktivität

Der „Kunst“ kommt vor diesem Hintergrund keinerlei Privileg in Bezug auf die Frage der Kre-aktivität zu. Dennoch ist sie einer ihrer modernen Namen, eine der Formen, unter denen sich Kre-aktivität vollzieht. Gleichzeitig ist, um noch einmal an die Anspielung Valérys zu erinnern, die Geschichte der modernen Verständigungsformen über „Kunst“ nicht frei von Fortschreibungen, gewissermaßen säkularisierten Anverwandlungen der onto-theologischen Schöpfungskonstruktion, von der oben die Rede war. Der Reservierung der „säkularen“ Krea(k)tivität für Kunstbelange entspricht dabei zumeist eine isoliert-isolierende Betrachtung des künstlerischen Subjekts, die dessen Situierung in einer Mannigfaltigkeit der kre-aktiven Existenzen allenfalls in bestimmten Biographiestilen Rechnung trägt, die erst recht wieder mit der Abhebung eines Sondersubjekts von der es umgebenden Wirklichkeit beschäftigt sind. Als Gegenentwurf dazu lässt sich indes etwa Robert Walsers Text „Poetenleben“ lesen, dessen humorvoll-prägnante Prosa von lauter Kontingenzen und ebenso vielen „prosaischen“ historisch-sozialen Verortungen des Poetenlebens spricht und das Schaffen des Dichters nicht besser geadelt sieht als jede andere „mit festem Willen weitergetragene Arbeit“[19]; diese Prosa klingt schließlich in Sätzen aus, die die Frage nach dem Geheimnis des Poeten mit sanfter Ironie zu Grabe legen, weil sie von einem Leben – und das heißt nun: einem beliebigen Leben inmitten einer Mannigfaltigkeit von Leben – zu sprechen begonnen haben:

 „Derart lebte er hin.
Was aus ihm wurde, wie es ihm später ergangen sein mag, entzieht sich unserer Kenntnis. Weitere Spuren vermochten wir einstweilen nicht zu entdecken. Vielleicht wird uns das ein anderes Mal gelingen. Was noch irgendwie zu unternehmen sein kann, wird sich zeigen. Wir wollen sehen, und sobald etwas Neues ausfindig zu machen gewesen sein wird, soll es, falls nur auch dafür schon wieder genügend neues gütiges Interesse voraussetzen zu dürfen freundlich gestattet worden wäre, mit Vergnügen mitgeteilt sein.“[20]

Walsers Text reiht sich in eine Vielzahl von Dokumenten ein, die in der modernen Geschichte der Künste selbst einer Enttheologisierung der „Kreativität“ entgegenarbeiten und somit gewissermaßen eine kre-aktive Kritik der Kreativität artikulieren. Antonin Artauds Auflehnung gegen das „europäische Kunstideal“, das darauf abziele, „den Geist auf eine von der Kraft geschiedene Haltung zu verweisen, die deren Überschwang zuschaut“[21], gehört ebenso in diese Geschichte wie beispielsweise die Anarchismen des Dada, die situationistischen Interventionspraxen, die von Augusto Boal lancierten Techniken eines „Theaters der Unterdrückten“ und vieles mehr. Der Einsatz dieser kre-aktiven Kritiken lässt sich auf theoretischer Ebene nicht zuletzt an der Romantheorie Michail Bachtins nachvollziehen, die der herkömmlichen Gattungsstilistik vorwirft, sie übersehe „das gesellschaftliche Leben des Wortes außerhalb der Künstlerwerkstatt, auf den Plätzen und Straßen, in Städten und Dörfern, in den Gruppen, Generationen und Epochen“, und den sich aus diesem vielfachen Leben speisenden Roman im Gegenzug als „künstlerisch organisierte Redevielfalt“[22] bestimmt: Es geht in all diesen Kritiken, wie im „Poetenleben“ Robert Walsers, darum, den „entscheidenden sozialen Ton“ (Bachtin) zu Gehör zu bringen, der die Frage der „Kreativität“ als Problematik der Kre-aktivität in einer Mannigfaltigkeit von Existenzen zu verstehen gibt (anstatt sie wie Boltanski/Chiapello handstreichartig dem Individualismus einer Boheme zu- und unterzuordnen, was im Endeffekt – ja, im Effekt dieser Kritik – nur darauf hinausläuft, die Geschichte der kre-aktiven Kritik der „Kreativität“ einmal mehr zu verschütten).

Es wäre daher auch wenig damit gewonnen, ausgehend von den genannten und anderen Namen den bestehenden Kanonisierungen eine weitere hinzuzufügen, die eine bestimmte „Strömung“ der Kunstgeschichte(n) festhält. Vielmehr wäre daran gelegen, die Perspektive einer notwendig unabschließbaren Genealogie der Kre-aktivität zu entfalten, und dies im Übrigen nicht als neue kunstspezifische Disziplin, sondern ebenso gut in Bezug auf die Geschichte der sozialen Protestformen, der Hervorbringung und verschiedenen Gebrauchsweisen von Technologien etc.

Zwei Elemente, die eine solche Genealogie der Kre-aktivität unausweichlich zu berücksichtigen hat, seien hier abschließend angesprochen:

1) Die Geschichte dessen, was hier Kre-aktivität heißt, kann nicht unabhängig von den institutionellen und gouvernementalen Formen betrachtet werden, in denen sie sich vollzieht und die sie sich gibt. Dies betrifft, auf die Kunst bezogen, nicht nur offenkundig institutionelle Gebilde wie etwa Museen, sondern auch beispielsweise die Ideen künstlerischer Autonomie, die historisch gesehen – weit entfernt davon, einer tatsächlichen „Selbstgesetzgebung“ Ausdruck zu verleihen – im Grunde wenig anderes widerspiegeln als den Kampf um ein bestimmtes kulturpolitisches Modell in der Formierungsphase von so etwas wie Kulturpolitik überhaupt als eigenständigem Bereich der Politikadministration.[23] Und es betrifft nicht nur die Formen der Regierung und Selbstregierung, in denen „Kunst“, „Kultur“ so wie andere Bereiche des sozialen Lebens situiert sind[24], sondern natürlich auch ihre Umformungen in Zeiten des Neoliberalismus sowie die entsprechenden individuellen und kollektiven Selbstpraxen in projektbasierten Zusammenhängen. Diese Umformungen generieren im Übrigen auch einen neuen Institutionstypus, nämlich den der Projektinstitution, die über keinerlei stabile institutionelle Struktur verfügt, was ihr gewisse Beweglichkeiten ermöglicht, auf der anderen Seite aber mit neuen Verzweckungsformen ebenso einhergeht wie mit dem Umstand, dass dieser Institutionstyp der gegenwärtigen Ausbreitung der individuellen wie auch sozialen Prekarität wenig entgegenzusetzen hat.

2) Mit dem letzten Punkt finden wir uns ein letztes Mal auf die eingangs zitierten Sätze Paul Valérys zurückverwiesen: Denn die „Anstrengung“, von der Valéry spricht und deren „Empfindung“ seine jugendlich-theologische Verstiegenheit gesucht hat, stellt sich auch in der Distanzierungsgeste Valérys noch als die Anstrengung eines isolierten Künstlersubjekts dar, das über seine Kreationstechniken „autonom“ entscheiden kann. Dieses Subjekt aber ist so wenig neutral und allgemein, oder umgekehrt, es ist so vorausgesetzt und im Voraus determiniert wie seine Vorgänger der theologischen Tradition und ihre säkularen Anverwandten. Wir brauchen nur die knappe Aussage einer anderen Stimme, der Stimme Virginia Woolfs, neben Valérys Sätze zu stellen, um dies zu sehen, einen Satz, der übrigens nur drei Jahre nach Valérys Vorwort ausgesprochen wurde, nämlich 1928: „[…] eine Frau muss Geld und eigenes Zimmer haben, um schreiben zu können“[25]. Nicht von ungefähr taucht dieser Satz an zentraler Stelle in einem der programmatischen Texte wieder auf, die aus den Kämpfen und Solidarisierungen der französischen Intermittents hervorgegangen sind.[26] Er verweist auf eine diskriminierende Politik und gesellschaftliche Praxis, die bestimmten Tätigkeiten (zumal symbolisch aufgewerteten wie der „Kreativität“) nach wie vor vorzugsweise einen bestimmten Typus von vorausgesetzten (gegenderten, rassifizierten etc.) Subjekten zuordnet und die in der Perspektive einer Genealogie der Kre-aktivität ebenso wie jeder aktuellen kre-aktiven Kritik im Blick zu behalten ist. Denn die Kre-aktivität im hier entwickelten Sinn hat es nicht mit einer Ordnung der Subjekte zu tun, sondern mit einer Mannigfaltigkeit der Existenzen und den in ihr stattfindenden Subjektivierungsprozessen.



[1] Paul Valéry, Monsieur Teste, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1995, S. 7.

[2] Vgl. zur Diskussion um eine „Künstlerkritik“ auch den Text Maurizio Lazzaratos in dieser Ausgabe: /transversal/0207/lazzarato/de.

[3] Vgl. Luc Boltanski / Eve Chiapello, Der neue Geist des Kapitalismus, Konstanz: UVK 2003, S. 81 f.

[4] Vgl. ebd., S. 81 ff.

[5] Ebd., S. 82.

[6] Ebd., S. 68.

[7] Vgl. z. B. die Kritik von Habermas an Foucault in Jürgen Habermas, Der Diskurs der philosophischen Moderne, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1988, bes. S. 333 (samt Bezugnahme auf eine ähnliche Kritik Nancy Frasers).

[8] Vgl. Aristoteles, Politik, 1253a, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1994, S. 47.

[9] Die Rede von „Empörungsquellen“ oder „Empörungsmotiven“ bei Boltanski/Chiapello bildet einen nur schwachen Reflex dieser Herkunft, bleibt ihre Geltung als Kritik doch stets an das Vorhandensein von „Normbezügen“ geknüpft.

[10] Ebd., S. 82.

[11] Vgl. (auch für die folgenden Zitate) Karl Marx, „Thesen über Feuerbach“, in: Marx-Engels-Werke, Bd. 3, S. 5–7.

[12] Vgl. Walter Benjamin, „Zur Kritik der Gewalt“, in: Gesammelte Schriften, Bd. II.1, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1991, S. 179–203, hier S. 194.

[13] Vgl. Walter Benjamin, „Der Autor als Produzent“, in: Gesammelte Schriften, Bd. II.2, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1991, S. 683–701, hier S. 686.

[14] Vgl. Aristoteles, Metaphysik, Buch XII, Hamburg: Meiner 1991, zweiter Halbband, S. 235–275.

[15] Jean-Luc Nancy, „Über die Schöpfung“, in: Die Erschaffung der Welt oder Die Globalisierung, Zürich/Berlin: Diaphanes 2003, S. 57–88.

[16] Ebd., S. 70.

[17] Schon in Leibniz’ letztlich noch in einer theologischen Rahmung verharrendem „monadologischem“ Denken finden sich die oben herausgearbeiteten drei Aspekte des Marx’schen Kritikbegriffs sehr klar vorgezeichnet: Involvierung – jede Monade ist eingelassen in ein Monadenall und daher „Spiegelung der Welt“ (sie braucht daher auch keine „Fenster“, weil sie in sich perceptio dieser Eingelassenheit ist); Selbstveränderung – Veränderung ist undenkbar ohne ein „inneres Prinzip der Veränderung“, also ohne die Selbstveränderung der Monaden; Fehlen eines bestimmten Zwecks – die Welt ist nicht deshalb die „beste aller Welten“, weil sie perfekt (Finalursache) wäre, sondern weil sie perfectibile (vervollkommnungsfähig) ist.

[18] Vgl. (auch für die folgenden Zitate) Jean-Luc Nancy, „Über die Schöpfung“, op. cit., S. 72 f.

[19] Robert Walser, „Poetenleben“, in: Poetenleben (Original 1918), Frankfurt/M.: Suhrkamp 1986, S. 120–130, hier S. 121.

[20] Ebd., S. 130.

[21] Antonin Artaud, Das Theater und sein Double (frz. Original: 1938), München: Matthes & Seitz 1996, S. 13.

[22] Michail Bachtin, „Das Wort im Roman“, in: Die Ästhetik des Wortes, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1979, S. 154–300, hier S. 154 u. 157.

[23] Vgl dazu die treffende Bemerkung Georg Bollenbecks über jene „Schicht [gemeint ist das deutsche Bildungsbürgertum des 19. Jahrhunderts], die […] dem autoritären Obrigkeitsstaat unter Berufung auf den ‚Kulturstaat‘ jegliche Einmischung in die Kultur untersagte und ihm zugleich die materielle Verantwortung zur Förderung der ‚Kultur‘ zusprach“ (G. Bollenbeck, Tradition, Avantgarde, Reaktion. Deutsche Kontroversen um die kulturelle Moderne. 1880–1945, Frankfurt/M.: Fischer 1999, S. 16) .

[24] Es gehört zu den unglücklichen Verkürzungen so mancher neuerer Diskurse im kulturellen Feld, die „Gouvernementalisierung“ erst mit dem Neoliberalismus einsetzen zu lassen; es genügt, und zwar nicht erst neuerdings, in ein beliebiges Museum zu gehen und die eigenen Selbstverhaltungen zu analysieren, um sich einen Begriff von der – in spezifische historisch-politische Formationen eingebetteten – Gouvernementalität zu machen, die der „Kultur“ bzw. dem kulturellen Feld von Anfang an eingeschrieben ist. Dass die politische Ökonomie, wie es bei Foucault heißt, die „wichtigste Wissensform“ der Gouvernementalität ist (vgl. Geschichte der Gouvernementalität I. Sicherheit, Territorium, Bevölkerung, Frankfurt/M.: Suhrkamp 2004, S. 162), bedeutet noch nicht, dass sie deren einzige Wissensform ist und die historisch unter dem Begriff der „Kultur“ firmierenden Formen der symbolischen Vergesellschaftung keiner eigenen Aufmerksamkeit bedürfen. Vgl. dazu v. a. eine Reihe von Arbeiten Tony Bennetts, z. B. The Birth of the Museum. History, Theory, Politics, London / New York: Routledge 1995. Zur Ausdifferenzierung von liberaler und neoliberaler Gouvernementalität auf ökonomischer Ebene vgl. außerdem Isabell Lorey, "Gouvernementalität und Selbst-Prekarisierung", /transversal/1106/lorey/de.

[25] Virginia Woolf, Ein eigenes Zimmer, Frankfurt/M.: Fischer 2001, S. 7.

[26] Vgl. Précaires Associés de Paris, „Vorschlagselemente für ein solidarisches Arbeitslosenversicherungssystem für LohnempfängerInnen in diskontinuierlichen Beschäftigungsverhältnissen“, /transversal/0704/precaires/de (abgerufen am 3. Feb. 2007); vgl. zur Intermittents-Bewegung auch den Text von Maurizio Lazzarato in dieser Ausgabe: /transversal/0207/lazzarato/de.