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09 2002

Die neuen Leiden des jungen CW [Cultural Worker]

Oder: Kulturpolitische Verantwortung im Zeitalter des globalisierten Neoliberalismus

Elisabeth Mayerhofer / Monika Mokre / Paul Stepan

Seit Jahrzehnten werden radikale Änderungen des KünstlerInnenbildes mit großer Emphase prophezeit. Unzählige Tode ist "der Autor" schon gestorben, zahlreiche Legenden vom "Künstler" wurden von nicht weniger frommen Erzählungen vom Ende desselben abgelöst. (Zobl/Schneider 2001, 28) Als zeitgemäßer Prototyp wird zur Zeit in vielen Diskursen der "Cultural Worker" gehandelt, sozusagen die proletarische Form des verarmten Aristokraten"Geniekünstler", die indes durchaus Raum lässt für neue Überhöhungen - etwa im Stil sowjetischer ArbeiterInnendenkmäler.

Seine Entstehung verdankt der Cultural Worker (im folgenden CW genannt) der Behauptung weitreichender gesellschaftlicher Veränderungen, die unter den Schlagworten Globalisierung - Ökonomisierung der Kultur - Kulturalisierung der Ökonomie gehandelt werden. Was ist unter diesen Entwicklungen zu verstehen, wie neuartig sind sie wirklich und wie wirken sie sich auf KünstlerInnen aus? Diesen Fragen widmet sich dieser Text.

 
Globalisierung

Das "Empire etabliert (...) kein territoriales Zentrum der Macht, noch beruht es auf von vornherein festgelegten Grenzziehungen und Schranken. Es ist dezentriert und deterritorialisierend, ein Herrschaftsapparat, der Schritt für Schritt den globalen Raum in seiner Gesamtheit aufnimmt, ihn seinem offenen und sich weitenden Horizont einverleibt. Das Empire arrangiert und organisiert hybride Identitäten, flexible Hierarchien und eine Vielzahl von Austauschverhältnissen durch abgestimmte Netzwerke des Kommandos. Die unterschiedlichen Nationalfarben der imperialistischen Landkarte fließen zusammen und münden in den weltumspannenden Regenbogen des Empire." (Hardt/Negri 2000, 10)

Soweit in Kürze die These, die Hardt und Negri in ihrem Bestseller "Empire" über die gegenwärtige Weltordnung und zu erwartende künftige Entwicklungslinien aufstellen: Der Kapitalismus hat seine eigentliche Bestimmung erreicht. Der Nationalstaat, der in einer bestimmten Entwicklungsphase für den ökonomischen Fortschritt nötig war, diesen aber nichtsdestotrotz in seinen tendenziell globalen Aktivitäten behinderte, ist überwunden. Die politische Sphäre hat sich endgültig in der ökonomischen aufgelöst; Kapital fließt ungehindert von räumlichen und politischen Grenzen. Ebenso wie in der Marxschen Version der Kapitalismusanalyse fungiert der Kapitalismus auch bei Hardt und Negri als Totengräber seiner selbst, indem er die Klasse hervorbringt, die ihn abschaffen wird: die industrielle Arbeiterklasse bei Marx, die gesellschaftlichen ArbeiterInnen bei Hardt und Negri - beide in ihrer revolutionären Funktion Proletariat genannt.

Ganz offensichtlich handelt es sich dabei entweder um ein sehr stark auf seine neuartigen Züge reduziertes Modell der Welt oder um eine Extrapolierung gegenwärtiger Entwicklungen in die Zukunft. Denn bisher sind die Nationalfarben der Weltkarte sogar im vereinigten Europa noch durchaus trennscharf voneinander abgegrenzt. Auch wenn Nationalstaaten vor allem in Westeuropa innerhalb der letzten Jahrzehnte Kompetenzen an inter- und supranationale Ebenen übertragen haben, sind doch Schlüsselbereiche wie insbesondere innere und äußere Sicherheit und/oder Integrationspolitik auch innerhalb der EU-Mitgliedstaaten fest in nationaler Hand. In Mittel- und Osteuropa andererseits, ebenso wie in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion, wurde die nationalstaatliche Idee erst nach 1989 voll entwickelt und befindet sich derzeit in voller Blüte. Gab es je Zweifel am ungebrochenen US-Patriotismus, so haben sich diese spätestens nach dem 11. September 2001 zerstreut. Auch in der so genannten "Dritten Welt" spricht kaum etwas dafür, dass sich nationale politische Identitäten hybridisieren. Und die Beziehungen zwischen der "Ersten" und der "Dritten Welt" lassen sich bisher in politischer wie in ökonomischer Hinsicht noch durchaus adäquat mit differenzierten Zentrum-Peripherie-Modellen beschreiben. Es lässt sich also wenig empirische Evidenz dafür erbringen, dass sich Kollektividentitäten nicht mehr national bestimmen oder gar insgesamt fragiler, hybrider werden, als es psychologische Konstruktionen dieser Art ohnehin stets sind. Im Gegenteil, vieles spricht für ein erfolgreiches Comeback des Nationalbewusstseins - etwa die Wahlerfolge rechtsextremer Parteien in Österreich, Italien, Dänemark, Frankreich und den Niederlanden, die sicherlich zum Teil als Ablehnung der europäischen Integration wie auch der Globalisierung aus nationalistischen Gründen zu verstehen sind, oder auch die österreichischen Reaktionen auf die EU-Sanktionen, die Erfindung heimatlicher Traditionen durch Zuwandererkinder in Westeuropa, das (Wieder-)Erstarken moslemischer und christlicher Fundamentalismen, etc.

Modellbildungen, wie von Hardt und Negri vorgenommen, sind unabdingbar, um eine politisch-theoretische Diskussion zu befördern, gerade auch durch den Widerspruch, den sie herausfordern. Sie sind indes problematisch, wenn sie als praktische politische Handlungsanweisungen oder als maßstabgetreue Abbildungen verstanden werden. Denn der große und schwammige Begriff des Empire und der hinter ihm stehende noch unklarere Terminus der Ökonomie oder des freien Marktes, der das Weltgeschehen bestimmt, anonymisieren gesellschaftliche Realitäten und klammern konkrete AkteurInnen und ihre Interessen aus. Damit wird aber auch die Analyse des politischen Widerstandspotenzials nur auf sehr abstrakter Ebene möglich. Der korrekten Diagnose von Marchart[1], dass die Identifikation einer völlig unorganisierten Multitude intellektueller DienstleisterInnen als potenzielles politisches Subjekt die Problemdiagnose als Lösung verkauft, ist hinzuzufügen, dass diesem politischen Subjekt bei Hardt und Negri kein Gegenüber angeboten wird, keine AkteurInnen, gegen die sich ihr politischer Kampf richten könnte. "Der Markt" oder "das Empire" sind Ordnungsstrukturen der Welt oder von Teilen der Welt; sollen sie verändert oder durch andere Strukturen ersetzt werden, so gilt es, diejenigen zu identifizieren, die einer solchen Veränderung entgegenstehen.

Dass dies aufgrund zahlreicher Verflechtungen zwischen Ökonomie und Politik einerseits, und zwischen MachthaberInnen in verschiedenen Teilen der Welt andererseits, Probleme aufwirft, ist eine sicherlich richtige, wenn auch nicht unbedingt neue Diagnose von Hardt und Negri. Schon in den 60er Jahren fand Raoul Vaneigem im "International Situationist Bulletin" auf die Frage "wo sind die Verantwortlichen, diejenigen, die niederzuschießen sind?" nur die Antwort: "Ein System, eine abstrakte Form beherrscht uns." (Vaneigem 1963) Diese abstrakte Form, der Kapitalismus in den Worten von Marx, die Gesellschaft des Spektakels in der Definition der Situationisten und das Empire nach Hardt und Negri, wird angetrieben von den Erfordernissen des "totalen Marktsystems" (Kurz 1999, passim), dessen Erfordernissen sich alles Gesellschaftliche unterzuordnen hat, um nicht die Ökonomie und damit die allgemeine Wohlfahrt zu stören.

 
Ökonomisierung der Kultur

"Die fortwährende Umwälzung der Produktion, die ununterbrochene Erschütterung aller gesellschaftlichen Zustände, die ewige Unsicherheit und Bewegung zeichnet die Bourgeoisieepoche vor allen anderen aus. Alle fest eingerosteten Verhältnisse mit ihrem Gefolge von altehrwürdigen Vorstellungen und Anschauungen werden aufgelöst, alle neu gebildeten veralten, ehe sie verknöchern können. Alles Ständische und Stehende verdampft, alles heilige wird entweiht, und die Menschen sind endlich gezwungen, ihre Lebensstellung, ihre gegenseitigen Beziehungen mit nüchternen Augen anzusehen." (Marx/Engels 1848/1995, 5)

Diese Beschreibung einer allumfassenden Ökonomisierung der Kultur stammt nicht aus dem neuen Polit-Bestseller von Hardt und Negri, sondern aus dem "Kommunistischen Manifest", das bekanntlich erstmals im Jahr 1848 veröffentlicht wurde. Die Ökonomisierung des gesamten gesellschaftlichen Lebens ist ein wesentlicher Teil des Kapitalismusverständnisses von Marx - er kritisiert die ihr innewohnende Entfremdung des Menschen von der lebendigen Arbeit und versteht sie zugleich als zentrale Grundlage der Rationalisierung des menschlichen Lebens und damit des gesellschaftlichen Fortschritts, der Bedingung nicht nur des Kapitalismus, sondern auch des Kommunismus ist.

Marx hatte nicht viel Bedauern für verschwindende kulturelle Widerständigkeiten übrig; die MaschinenstürmerInnen und andere, die versuchten, ihren Lebensstil gegen den Kapitalismus aufrechtzuerhalten, verachtete er als RomantikerInnen. Seine ambivalente Faszination galt dem alles umfassenden neuen Wirtschaftssystem und seiner enormen Definitionsmacht - einer Faszination, die Hardt und Negri mehr als 150 Jahre später offensichtlich immer noch unterliegen.

Von einem grundsätzlich anderen persönlichen Standpunkt aus beurteilten Horkheimer und Adorno die Kommerzialisierung des Kulturellen in den 40 Seiten der "Dialektik der Aufklärung" (1994/1944), die sie der Kulturindustrie widmeten. Die beiden linken Intellektuellen, die es auf der Flucht vor dem Nationalsozialismus nach Los Angeles, in das Zentrum der kapitalistischen Traumfabriken verschlagen hatte, sahen dort mit Entsetzen, wie die Bereiche des Privaten, Zwischenmenschlichen, des Genusses und des Denkens, wie also weite Teile dessen, was sie unter Kultur verstanden, vom Kapitalismus in der Form der Kulturindustrie vereinnahmt und vereinheitlicht wurden, wie Gefühle und tief empfundene menschliche Bedürfnisse beliebig erregt und gedämpft wurden, wie die Muße als Freizeit zur Parallelwelt der entfremdeten Arbeit degenerierte. "Amusement ist die Verlängerung der Arbeit im Spätkapitalismus" (ebd., 145), heißt es da, "immerwährend betrügt die Kulturindustrie ihre Konsumenten um das, was sie immerwährend verspricht." ( ebd., 148) Denn: Freiheit in der Warengesellschaft ist "die Freiheit zum Immergleichen." (ebd., 176.) Das zur Zeit von "Cultural Studies"-ProponentInnen bis zu Franz Morak bejubelte Zueinanderfinden von Wirtschaft und Kultur in Form von "Cultural Industries" wurde also bereits vor knapp 60 Jahren konstatiert, allerdings gänzlich anders beurteilt.

Der Zorn und die Enttäuschung, die aus dem Duktus dieses Textes sprechen, erklären sich aus der Hoffnung, die die Autoren in das Widerstandspotenzial der Kultur setzten. Allerdings ging es ihnen dabei nicht um die Volkskultur, die der Übernahme in die industrielle Fertigung entgehen sollte - ihre Nostalgie galt der autonomen Elitenkunst, von deren Unabhängigkeit von der Effizienzlogik der bürgerlichen Gesellschaft sie potenzielle Widerständigkeit erwarteten.

Horkheimer und Adorno zogen also einen scharfen - und heuristisch kaum haltbaren -Trennstrich zwischen der Kultur, die "zur Bändigung der revolutionären wie der barbarischen Instinkte seit je beitrug" und der autonomen Kunst. Dieser normative Standpunkt ist wohl eher aus ihrer persönlichen Stellung und Geschichte, denn aus einer stringenten wissenschaftlichen Ableitung heraus zu verstehen. Denn Kultur, verstanden als die Normen und Werte von Gemeinschaften, dient durchaus nicht notwendigerweise nur "der Bändigung der revolutionären Instinkte", sondern setzt in spezifischen Situationen den ökonomischen Anforderungen des herrschenden politischen Systems Widerstand entgegen. Der undialektischen und statischen Beschreibung des Verhältnisses zwischen ökonomisch-technologischem Unterbau und gesellschaftlich-politisch-kulturellem Überbau bei Marx und noch stärker bei Lenin (Sozialismus = Verstaatlichung + Elektrifizierung) setzte Antonio Gramsci eine differenzierte Analyse des Zusammenhangs zwischen Ökonomie und Kultur entgegen. Weder Machterhalt noch Machtwechsel ist laut Gramsci ohne kulturelle Hegemonie möglich, Revolutionen entstehen nicht quasi zwangsläufig aufgrund des ökonomischen und technologischen Fortschritts, sondern bedürfen einer adäquaten "Ideologie", die wiederum nicht - wie zumindest in manchen Schriften von Marx dargestellt - automatischer Ausfluss der Klassenposition des Subjekts ist, sondern der Vermittlung bedarf. (Gramsci 1980, passim, z.B. 219) Denn kulturelle Prägungen sind langlebig und von vielfältigen Faktoren bestimmt, ihre Veränderung erfolgt folglich auch nicht durch den bloßen Ersatz eines Ideologiegebäudes durch ein anderes, sondern durch Umgewichtungen, neue Erzählformen, die Aufbringung neuer Ideen, die an alte Ideen anschlussfähig sind.

Gramscis Überlegungen waren und sind von erheblicher Bedeutung für die Vertiefung des marxistischen Gesellschaftsverständnisses und wurden auch von der "Neuen Rechten" mit Interesse aufgegriffen; PolitikerInnen im Mainstream des Kapitalismus hingegen hatten diese theoretischen Erörterungen nie nötig, denn seit frühkapitalistischen Zeiten gelang es diesem Wirtschaftssystem, sich auf allen Ebenen menschlicher Existenz durchzusetzen. Unterbau und Überbau, Ökonomie und Kultur, Markt und Ideologie waren im kapitalistischen Alltag nie so scharf getrennt wie in der marxistischen Analyse. Seit Adam Smith werden die adäquaten Bilder und Diskursformen parallel zur Wirtschaftsentwicklung mitgeliefert.[2] Die Ökonomisierung der Kultur setzte daher ebenso wie die Kulturalisierung der Ökonomie im 18. Jahrhundert ein - tradierte kulturelle Formen galt es den neuen ökonomischen Erfordernissen anzupassen, während zugleich diese ökonomischen Erfordernisse in die Sinnwelt der Menschen eingehen mussten, also kulturalisiert wurden. Indes hat die Kulturalisierung der Ökonomie in den letzten Jahrzehnten durch den sukzessiven Ersatz der Warenproduktion durch die Sinn/Symbol-Produktion einen qualitativen Sprung erfahren.

 
Kulturalisierung der Ökonomie

"Having from the workshop to the laboratory emptied productive activity of all meaning for itself, capitalism strives to place the meaning of life in leisure activities and to reorient productive activity on that basis. Since production is hell in the prevailing moral schema, real life must be found in consumption, in the use of goods. (...) The world of consumption is in reality the world of mutual spectacularization of everyone, the world of everyone’s separation, estrangement and nonparticipation." (Debord 1994/ 1960, 698)

Ebenso wie Gramsci entwickelte die Situationistische Internationale das von Marx beschriebene Verhältnis zwischen Ökonomie und Ideologie in ihrer Gesellschaftskritik weiter. Essenzialistischer als Gramsci bezieht sie sich zentral auf den Begriff des "falschen Bewusstseins", dem durch die kapitalistische Durchdringung aller gesellschaftlichen Bereiche und auch aller Klassen nicht nur die VerliererInnen, sondern auch die GewinnerInnen des Systems unterliegen. Alle Formen gesellschaftlichen Lebens, alle kulturellen Äußerungen, alle politischen Organisationsformen werden als Teil des Spektakels begriffen, das dazu dient, die Menschen von ihren wirklichen, unmittelbaren, gegenwärtigen Interessen abzulenken.

Zweifellos spielt das Spektakel eine immer größere Rolle, je eher vitale Basisbedürfnisse der (kaufkräftigen) Bevölkerung (der "Ersten Welt") abgedeckt sind und je mehr sich die Bewegungen des Finanzkapitals von der Produktion realer Güter entfernen. Nicht die Abdeckung bestehender Nachfrage durch Produktion von Angebot, sondern die Schaffung von Nachfrage steht im Mittelpunkt der Ökonomie. Wie Hardt und Negri keinesfalls als erste, dafür aber sehr konzis, darlegen, kommt der immateriellen und kommunikativen Arbeit heute jene Bedeutung bei der Produktion des Mehrwerts zu, die im Frühkapitalismus die Massenarbeit in den Fabriken hatte. Zugleich spielen Kommunikationsforen und -möglichkeiten in ihren erweiterten und vertieften Anwendungsbereichen eine zentrale Rolle bei der Entwicklung von der Disziplinar- zur Kontrollgesellschaft, in der äußere Zwänge durch internalisierte Disziplinierungsmechanismen ersetzt werden. Menschen funktionieren im ständigen Bemühen um Optimierung als ihre eigenen Dompteure.

Zusammengefasst: seit seinen Frühzeiten hat das Wirtschaftssystem des Kapitalismus sukzessive alle Lebensbereiche und alle geographischen Regionen durchdrungen und tendenziell vereinheitlicht. In unterschiedlichen Epochen war ihm dies in unterschiedlichem Maße möglich; neuere ökonomische und politische Entwicklungen haben hier einen beschleunigenden Effekt gehabt, der nicht nur Hardt und Negri zu der Annahme führt, wir befänden uns in der Epoche einer grundlegend neuen Weltordnung. Weite Teile des kunst- und kulturpolitischen und -theoretischen Diskurses gehen davon aus, dass diese neue Weltordnung auch eine grundsätzliche Neupositionierung von Kulturschaffenden nach sich zieht. Stichworte: Cultural Workers und Cultural Industries (CI).

Doch die Subsumierung all jener, die im Kultur- und Mediensektor, bzw. in den mit Symbolproduktion beschäftigten Teilen anderer Wirtschaftssektoren arbeiten, unter den Header "Cultural Industries" erscheint nicht nur in keiner Weise zwingend, sondern auch heuristisch nicht hilfreich. Weder ist empirisch evident, dass diejenigen, die bisher im Kultursektor im engeren Sinn arbeiteten, nunmehr die CI bevölkern, noch haben all die in den internationalen CI-Definitionen aufgezählten Berufsgruppen ausreichend gemeinsame Merkmale, um eine solche Klassifikation zu rechtfertigen. Und eine Zusammenfassung all der Bereiche, deren gemeinsamer Nenner darin besteht, zum einen nicht mehr in die gewohnten Schemata zu passen und zum anderen vage mit dem "Symbolischen" zu tun zu haben, scheint wenig wertvoll.

Aufgrund des bisher Gesagten scheint evident, dass es gesellschaftliche Entwicklungen gibt, die unter den Schlagworten Globalisierung, Ökonomisierung der Kultur und Kulturalisierung der Ökonomie zusammengefasst werden können, dass indes weder ihre genaue zeitliche Einordnung (ganz neu? immer schon da gewesen? irgendetwas dazwischen?) noch ihre Radikalität klar sind. Im Gegensatz zu diesem vagen Befund lässt sich hingegen mit einiger Bestimmtheit behaupten, dass der Diskurs über die Gesellschaft im Allgemeinen, und die Stellung von Kulturschaffenden innerhalb dieser im Besonderen, wesentlich von diesen Schlagworten beeinflusst ist.

In Bezug auf die Stellung von KünstlerInnen besteht die Implikation dieses Diskurses insbesondere in der Erwartung, dass Kulturschaffende auch ohne staatliche Finanzierungen überleben können und, mehr noch, dass ihre Aktivitäten einen wesentlichen Beitrag zur Wirtschaftsentwicklung leisten. Der Diskurs, der uns hier interessiert, ist also in erster Linie ein kulturpolitischer, der sich paradoxerweise dadurch auszeichnet, dass kulturpolitische Handlungsmöglichkeiten und -notwendigkeiten im Angesicht des unbegrenzt und unbeherrschbar agierenden freien Marktes geleugnet werden. Für die Kulturschaffenden selbst bietet die Freilassung aus staatlicher Obsorge in marktwirtschaftliche Eigenverantwortung angeblich die Möglichkeit, ureigenste kreative Interessen mit dem Brotjob zu verbinden - z.B. direkt aus der Jugendsubkultur in die unternehmerische Karriere umzusteigen, ohne je die Entfremdung durch aufgezwungene Arbeitsverhältnisse zu erleben. Der Entfremdung im klassisch-marxistischen Sinne, der Enteignung des Mehrwertes der eigenen Arbeit entgehen die "self-employed" Cultural Workers allerdings nicht; im Gegenteil sind sie der Ausbeutung ihrer Arbeitskraft durch das völlige Fehlen traditioneller Formen politischer und ökonomischer Organisation sehr viel stärker ausgesetzt als Menschen in regulären Arbeitsverhältnissen. Insgesamt führen diese Faktoren zu dem vielzitierten Bild des "Cultural Worker", der jung, dynamisch und flexibel innerhalb einer 80-Stunden-Woche mehrere mehr oder weniger kreative Jobs bewältigt und sich dabei auch noch wohl fühlt. Dabei bleiben selbstverständlich diejenigen auf der Strecke, die den Schutz traditioneller arbeitsrechtlicher Vereinbarungen und gewerkschaftlicher Maßnahmen besonders benötigen, wie etwa Mütter mit Kindern oder Menschen, die aus Alters- und/oder Gesundheitsgründen nicht unbegrenzt einsatzfähig sind. Die Cultural Industries werden damit zum prototypischen Sektor der "autonomen Entfremdung" (Hardt/Negri) der Kontrollgesellschaft.

Politische Antworten auf die konkrete Situation der Cultural Workers stehen (noch?) aus. Traditionelle ArbeiterInnenorganisationen wie insbesondere die Gewerkschaften scheinen weder fähig noch willens, sich der Probleme atypischer Beschäftigungsverhältnisse anzunehmen; andererseits hält sich auch die Attraktivität althergebrachter Organisationsformen dieser Art bei den Betroffenen in Grenzen. Eher hofft jede/r für sich trotz aller statistischer Evidenz auf die außergewöhnliche Karriere, die ihn/sie über Nacht zum gut verdienenden und gefeierten Star macht. Die alte US-amerikanische Mär vom Tellerwäscher, der Millionär wird, feiert hier ein triumphales Comeback. Vor dem Hintergrund der in diesem Artikel beschriebenen dominanten Diskursformen erscheint diese Haltung indes wenig erstaunlich. Wer würde ernsthaft erwägen, dem Empire mit Streik entgegenzutreten, die Allmacht des Marktes mit Kollektivverträgen zu brechen?

Dies macht die politische Gefahr deutlich, die in großen theoretischen Würfen wie dem von Hardt und Negri liegt. Zu viele wesentliche Details werden der Verallgemeinerung geopfert, die in ihrer Abstraktheit der Dämonisierung des Bestehenden Vorschub leistet. Auch wenn TheoretikerInnen von Marx bis Negri Recht zu geben ist, dass die ökonomischen Bedingungen die wesentlichsten Bestimmungsgründe aller anderen gesellschaftlichen Bereiche im Kapitalismus darstellen, so wurden doch über die letzten 200 Jahre immer wieder politische Angriffspunkte gefunden, um das gesamtgesellschaftliche Gefüge zwar nicht umzustürzen, doch immerhin zu stören und/oder zurechtzurücken. Wesentlicher Angelpunkt für durchaus fundamentale politische Kritik waren die Versprechungen der liberalen Demokratie, die nie eingelöst wurden, weil sie stets durch die Erfordernisse des Wirtschaftssystems gebrochen wurden, zugleich aber immer wieder politische Wirkung zeigten. Zahlreiche politische Bewegungen haben sich in ihren Forderungen auf die drei großen Werte der französischen Revolution berufen und auf diese Art politische Etappensiege errungen. Behaupten Hardt und Negri nun das Ende der nationalstaatlichen Demokratie und ihre Ablösung durch das ungreifbare Netzwerk des Empire, so entziehen sie damit der politischen Kritik ihren Widerpart - und zwar, wie schon im ersten Teil dieses Textes ausgeführt, zumindest verfrüht, denn noch ist nationalstaatliche Macht von ihrem Absterben weit entfernt. Viel spricht dafür, dass sich die AkteurInnen der Weltordnung in den letzten Jahrzehnten kaum geändert haben: Nach wie vor handelt es sich bei ihnen um inter- und transnational agierende Wirtschaftsunternehmen und um nationale Regierungen - auch wenn letztere nunmehr teilweise in Doppel- bis Dreifachrollen auftreten, in denen sie, etwa über die UNO oder den Rat der Europäischen Union, auch transnationale Agenden bestimmen oder selbst RepräsentantInnen von Unternehmen sind. Gesetzt den Fall, dass diese Diagnose richtig ist, dann spricht nichts dagegen, Widerstand und Protest weiterhin an und gegen diejenigen zu richten, deren Legitimität in diesem System nach wie vor von ihrer Akzeptanz im nationalen Rahmen abhängig ist, die sich in Wahlen manifestiert - nämlich an nationale Regierungen. Von ihnen ist zu verlangen, dass sie auch ihre inter- und transnationalen Rollen im Sinne ihres demokratischen Mandats wahrnehmen, d. h. in vielen konkreten Fällen, dass sie demokratische Strukturen erst einführen. Von ihnen ist auch zu verlangen, dass sie den Bereich der Ökonomie daran hindern, den Bereich der Politik zu beherrschen, dass sie kulturpolitische Programme entwerfen, zur Diskussion stellen und an ihrer Umsetzung arbeiten, statt Konzeptlosigkeit mit Worthülsen wie "Creative Industries" zu verschleiern. Und da viele dieser Forderungen erfahrungsgemäß ins Leere gehen werden, sind es diese nationalen PolitikerInnen, denen die Legitimität abzuerkennen ist - statt sie als Spielbälle des weltweiten Empire von Verantwortung freizusprechen und sich damit letztendlich dem hegemonialen Diskurs vom Primat der Marktwirtschaft anzuschließen. In welcher Form und in welchen Arenen diese Art des Protests vonstatten gehen könnte, kann nicht ex ante festgelegt werden wie z.B. über eine künstliche Abwertung des Lokalen zugunsten des Nomadentums, sondern muss von den konkreten Bedingungen abhängen, von denen Kunst- und Kulturschaffende betroffen sind.

 
Literatur

Debord, Guy (1994/1960), Preliminaries Towards Defining a Unitary Revolutionary Program. In: Harrison C./Wood P. (1994), Art in Theory 1900-1990. An anthology of Changing Ideas. Oxford , UK and Cambridge, USA.

Gramsci, Antonio (1980), Zu Politik, Geschichte und Kultur. Reclam- Verlag Leipzig.

Hardt, Michael/Negri, Antonio (2000), Empire. Die neue Weltordnung. Frankfurt/ New York.

Horkheimer,Max/Adorno, Theodor (1994/1944), Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Frankfurt.

Kurz, Robert (1999), Schwarzbuch Kapitalismus. Ein Abgesang auf die Marktwirtschaft. Frankfurt.

Marx, Karl/Engels, Friedrich (1848/1995), Das Kommunistische Manifest (Manifest der Kommunistischen Partei). Trier.

Smith, Adam (1976/1776), An Inquiry into the Nature and Cause of the Wealth of Nations. General Editors: R. H. Campbell and A. S. Skinner. Textual Editor: W. B. Todd. Oxford University Press.

Vaneigem Raoul (1963), Basic Banalities 2. In: International Situationist Bulletin 8/ 1963, http://library.nothingness.org/articles/SI/en/display/11, zuletzt kontrolliert: 2002-08-02.

Zobl Beatrix/Schneider Wolfgang (2001), Die Legende von der Autorenschaft und die Legende vom Ende der Autorenschaft. In: kulturrisse 01/01, S. 28.

 



[1] Oliver Marchart, Der durchkreuzte Ort der Partei, in: Gerald Raunig (Hg.), TRANSVERSAL. Kunst und Globalisierungskritik, Wien 2003, S.204-210

[2] Siehe etwa die "invisible hand", die laut Adam Smith (1976/1776, 456) die Welt so ordnet, dass das egoistische Streben der Menschen zu allgemeiner Wohlfahrt führt.