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04 2020

Lokale Pandemien. Ein Mosaik von Stimmen in einer unvorhersehbaren Gegenwart

Chopin

Übersetzung: Gerald Raunig

#PandemieLocali ist eine Sammlung von kurzen Videos über die Pandemie #Covid19, aus der physischen Distanz produziert, um Standpunkte, Orte, Erfahrungen und Perspektiven am Rande dieser unvorhersehbaren Gegenwart zu verbinden. Die Idee entspringt dem Bedürfnis und dem Wunsch, Zweifel und Fragen zu teilen und eine kollektive Reflexion zusammenzubringen, die die Ambivalenzen, die Komplexität und die Möglichkeiten des Augenblicks aufzeigt. Wir teilen hier den Link zu den ersten Interviews, zu denen weitere hinzukommen werden, sowie einige Überlegungen zu unserer Arbeit.

Nic Beuret reflektiert kritisch darüber, was eine Pandemie ist, um dem Gefühl der Hilflosigkeit zu entkommen, das diese Zeit charakterisiert. Marta Malo spricht mit uns darüber, wie wir angesichts der Privatisierung des Lebens in der Einschließung etwas Gemeinsames produzieren können. Enrica Rigo reflektiert darüber, was Freiheit der Bewegung sein kann, wenn Dekrete und Politiken rastern und ausschließen, während die Praktiken neue Kontinuitäten bekräftigen. Bernd Kasperek erzählt uns aus München von den Asymmetrien der Solidarität und der beunruhigenden Abwesenheit Europas angesichts des Protagonismus der Nationalstaaten. Von der Erfahrung des Alarm Phone ausgehend spricht Jacob Berkson über die Nähe in der Ferne mit den Migrant_innen. Élisabeth Lebovici bringt uns zurück auf die Geschichte von Act Up, als die militante Beziehung zum AIDS-Virus ein Raum war, in dem mit neuen politischen Praktiken experimentiert wurde, die heute hilfreich sein könnten. Sandro Mezzadra reflektiert über digitale Plattformen als Privatisierung der sozialen Interaktionen und die Herausforderungen, die uns nach den Ausgangssperren erwarten. In den kommenden Tagen wollen wir weitere Videos bearbeiten und weitere Stimmen sammeln.

Aber wie kamen diese Interviews zustande? Eingeschlossen in einem ruhigen römischen Quartier fanden wir uns, wie viele andere auch, in einer allzu unmittelbaren Art und Weise mit der Frage "Was tun?" konfrontiert. Wie können wir eine vita activa aufbauen, solange wir in  privaten Wohnungsräumlichkeiten gefangen sind? Wie können wir handeln und reden, wenn unser tägliches Leben von der sozialen Interaktion abgekoppelt ist, wenn die Nähe verweigert wird, wenn es nicht mehr möglich ist, kollektiv zu reflektieren? Wie sollten wir uns selbst retten können, wenn nicht gemeinsam?

Technologien brechen diese Polarisierung zwischen öffentlich und privat, zwischen Nähe und Distanz schnell auf. Wir begannen zu plaudern, im Park, solange wir noch dort sein konnten, und dann auf digitalen Plattformen. Wir stellten Fragen, entdeckten Punkte der Intensität, die ein unbekanntes Territorium zu veweben begannen. Plötzlich wurde die Quarantäne statt einer passiven Übung des Gehorsams zu einer aktiven Erkundungspraxis. Wir erinnerten uns daran, was Philippe Pignare und Isabelle Stengers über die Notwendigkeit schreiben, den Meeresboden und nicht nur den Horizont zu untersuchen, und uns in uns unbekannten Gefilden zu bewegen.

Sounders of the depths may well stay at the front of a ship, but they do not look into the distance. They cannot announce directions nor choose them. Their concern, their responsibility, the reason for the equipment they use is the rapids where one can be smashed to pieces, the rocks that one can hit, the sandbanks where one can run aground. Their knowledge stems from the experience of a past that tells of the danger of rivers, of their deceptive currents, of their seductive eddying. The question of urgency poses itself for the sounder of the depths as it does for everybody else, but his or her proper question is and has to be: ‘can one pass through here, and how?’ - whatever the urgency, whatever the 'we have to’ or the direction chosen may be (Capitalist Sorcery, Breaking the Spell, p.8, 2011).

Amateurjournalist_innen, inkompetente Filmemacher_innen, hypertechnologische Community-Manager_innen, die wir sind, haben wir daher begonnen, einige Gespräche zu arrangieren, aufzuzeichnen, zu bearbeiten und zu verbreiten, im Versuch, eine gemeinsame, kontinuierliche Erfahrung zu komponieren: ein situiertes Wissen, das uns hilft, die unwahrnehmbaren politischen Praktiken zu entschlüsseln, die in diesem Zusammenhang entstehen.

Über digitale Plattformen haben wir diskutiert, mit freien Software-Plugins haben wir aufgenommen, mit privaten Paketen haben wir ein hausgemachtes Editing des gesammelten Materials betrieben. Und nun beginnen wir, sie frei im Netz zirkulieren zu lassen und entdecken aufs Neue all die Schwierigkeiten des spontanen Surfens, zwischen den Algorithmen der großen sozialen Netzwerke und den materiellen Schwierigkeiten der unabhängigen Netzwerke für Diskussion und digitale Produktion.

Gleichzeitig haben wir mit Radio Fragola Gorizia einen Raum der Zusammenarbeit gefunden und besiedelt, einem Projekt, das im Kontext der freien Radios der 1980er Jahre und insbesondere im Basaglianischen Emanzipationsprozess der psychischen Gesundheit entstand, sowie auch mit Entrar Afuera, einem translokalen militanten Forschungskollektiv, das sich seit langem mit dem Verhältnis von Gesundheit und öffentlicher Politik beschäftigt. Diese Formen der Zusammenarbeit sind unsere Art, täglich der Einschließung zu entfliehen: Wir produzieren Verbindungen und Sorgeprozesse, wir diskutieren, wen wir befragen, was wir fragen, wie wir die Montagen machen. Sie ermöglichen es uns, einen kollektiven Raum für Diskussion, Transkription und Herausgabe zu schaffen. Und sie sind auch die Gemeinschaft, die sich aktiv um die Untertitelung und Übersetzung der Interviews kümmert, ein grundlegendes Instrument, um unsere Diskussion für andere zu öffnen. Denn nur durch gemeinsames und neugieriges Denken werden wir vielleicht in der Lage sein, der Welt, die uns am Ende der Quarantäne erwartet, entgegenzutreten.