06 2002
Über permanente Übersetzung
(Wir werden übersetzt) **
Übersetzt von Hito Steyerl
Jean-Christophe Rufin, Brazil Red
Muss die
Übersetzbarkeit oder Nichtübersetzbarkeit zweier Begriffe unvermeidlich als
diametral entgegengesetzt wahrgenommen werden? Gibt es keinen mittleren oder
schrägen Weg, sich dieser Dichotomie zu nähern?[1]
Die erste Option, ebenso wie die letztere, hat mit dieser unüberwindlichen
Binarität zu tun. Aber lassen wir uns für einen Moment über Übersetzung als
ursprüngliche Voraussetzung nachdenken, oder eher, als eine Voraussetzung als solche – nicht die eines Ortes,
sondern einer ursprünglichen Geste. Nicht begründend, noch schicksalhaft,
sondern die uns vorausgeht, wie die Sprache in die wir geboren werden, ohne sie
gewählt zu haben. Ich glaube nicht, dass zwei Sprachen oder Kulturen nicht
ineinander übersetzbar sind. Aber ich würde auch nicht dafür Partei ergreifen
eine Dichotomie zwischen zu vertiefen. Nichtsdestotrotz sind die Probleme der
Übersetzung und ihre Mängel offensichtlich. Teilt sie nicht die
Unzulänglichkeit der Sprache – jeder Sprache – und die Inadäquatheit des
menschlichen Wesens gegenüber sich selbst, ebenso wie die Inadäquatheit jeder
Institution gegenüber ihrem Zweck? Übersetzung wäre also eine vitale Form des
Widerstands (durch den kritischen differentiellen
Ausdruck Differenzen) gegenüber den hegemonialen Linien die die Bedeutung (einer Bedeutung)
auferlegen, ebenso wie ein mögliches Vehikel der Macht (ebenso aber auch dessen
Gegenteil). Sie ist ein ganzes Feld Abstufungen, Nuancen, Divergenzen; eine
Auffächerung (Un)möglichkeiten der Durchquerung Bedeutung. Daher ist
jede Übersetzung unperfekt und unvollendet – aber könnte dasselbe nicht
jedem “Original” gesagt werden? In anderen Worten, es bleibt immer etwas
Unes. Es ist der Preis und der Vorbehalt jedes Verständnisses und
jeder Übersetzung, die im Prinzip möglich ist, aber in der Praxis mehr oder
weniger ausgeschlossen ist. Was mir problematisch erscheint, ist zu behaupten,
dass es etwas gibt wie eine Unübersetzbarkeit aus Prinzip, wie ein Schicksalschlag,
oder aber in der Tat auch Übersetzbarkeit. Die Grenzen des Sagbaren können
geändert werden. Und die Tatsache, das Übersetzbare und das Unübersetzbare
gemeinsam zu denken und in der Tat nicht in der Lage zu sein, sich das Eine
ohne das Andere vorzustellen, ermöglicht den Zugang zum “Mittelweg”, den ich
oben erwähnt habe, und auch zur Möglichkeit zur Überwindung der Betrachtung
der Dichotomie als ultimativen
Horiziont oder als Blockade.
Zwischen zwei Begriffen, zwei Sprache oder zwei Kulturen gibt es immer die Möglichkeit einer relativ gelungenen Übersetzung, die immer noch unzulänglich ist aber trotzdem die Hoffnung auf etwas besseres anbietet indem sie die Tür zu einer Bedeutung nur öffnet. Übersetzung ist nichts anderes als eine Öffnung Bedeutung und niemals das Versprechen der Vollständigkeit. Und trotzdem kann man nicht Identität zwischen den beiden Begriffen, Sprachen oder Kulturen, um die es geht, sprechen, selbst im Fall einer erfolgreichen Übersetzung. Aber vielleicht ist dies der Preis ihres Erfolgs, dass sie nicht perfekt ist und trotzdem immer noch notwendig.
Da abgesehen wird Übersetzung durch alle Arten Umständen erschwert, insbesondere durch den Kontext und ebenso durch das Verhältnis jener beiden Dinge, die werden sollen, das notwendig ein Verhältnis der Ungleichheit ist, in dem Sinne dass eines in die Sprache des anderen wird, und so eine typische Situation des différend[2] erzeugt. Es bleibt etwas Unausgesprochenes in dieser Situation zurück, oder auch: es gibt ein Residuum dessen, was keine Sprache hat. Das bedeutet mehr oder weniger dasselbe wie zu sagen, dass es etwas Ungehörtes gibt. Diese grundsätzliche Ungleichheit, die schon politisch ist (bevor es noch irgendwas wie Politik gibt), kann durch historische Umstände verschlimmert werden, in denen eines der beiden dominant wird. Spätestens seit Foucault, aber auch als ein Resultat der Arbeit die Anthropologen und der Psychoanalyse geleistet wurde, wissen wir, dass es in letzter Instanz um eine Frage des Körpers geht. Und es gibt andere disziplinäre und undisziplinierte Ansätze, wie etwa die feministische Theorie, postkoloniale Studien usw. die uns sagen, dass das was innerhalb konventioneller Sprache nicht artikuliert oder nicht verstanden werden kann, auch vom Anderen kommt, vom Subalternen, der unmittelbaren Erfahrung der gelebten Repression. Die Grenze der letzteren ist immer noch der Körper.
All dies um zu sagen, dass Übersetzung Körper involviert; und das, sowohl im erweiterten als auch im engeren Sinne, ist die Bedeutung in der ich den Begriff hier verstehe. Ein Beispiel einer Organtransplantation/des Eindringens eines anderen Körpers wäre in dieser Hinsicht nichts anderes als ein extrem dramatisches Beispiel. Und in diesem “primären” Sinn werde ich jetzt das Thema der Politik der Übersetzung eröffnen, durch unsere Position als (weibliche) Vermittlerinnen, sowohl als Übersetzerinnen als auch e, ohne jedoch in der Lage zu sein, die grundsätzliche Frage der allgemeineren politischen Bedingungen der Übersetzung/des Eindringens angehen zu können. Ich werde auch die Gelegenheit ergreifen, eine andere Übung in Unmittelbarkeit zu entwerfen, die jenseits dessen liegt, was ich gerade erläutert habe und darüberhinausgeht, nämlich das was zwischen Jean-Luc Nancy und gewissen Begriffen aus der indischen Philosophie Form annehmen könnte. Es geht nicht darum, die Texte zu übersetzen, sonern die Kontexte. Und was uns dazu einlädt, dies zu tun, ist die Krise, und, in den Beispielen, die folgen (J.-L. Nancy), die kritische Situation in der Körper sich wiederfindet. Weil der Körper, der sich selbst in Frage gestellt findet, sich in Richtung Übersetzung oder Veränderung bewegt, als einzigem Ausweg. Es ist anscheinend (vor allem) die Krise, die uns in eine Situation der Übersetzung bringt und uns einer neuen Bedeutung öffnet. Auf anderer Ebene hat Veena Das, als sie über analoge Situationen sprach, den Begriff der “kritischen Ereignisse” verwendet."[3].
Einschüchternde
Hindernisse *
Weder die eine noch die andere der Extrempositionen scheint möglich, d.h. weder zu sagen, dass Sprachen oder Kulturen werden können, noch dass sie nicht werden können. Die Erfahrung lehrt uns, dass Übersetzung immer stattfindet, und immer unbefriedigend ist. Das Gefühl der Unperfektheit oder Unvollständigkeit, die aus jenem Versuch der Übersetzung erfolgt ist nicht nur auf sie selbst beschränkt. In einem tieferen Sinne charakterisiert sie die condition humaine, das existentielle Paradox zur selben Zeit sterblich und zur Unsterblichkeit bestimmt zu sein. Keine Sprache, keine Übersetzung, keine Inter–pretation kann dies vollständig ausdrücken. Unsere Bedingung, unser Ursprung, unser Ziel sind weder im Begriff verortet der werden soll, noch im Ergebnis der Übersetzung, sondern eher in diesem unerträglichen, nicht lebbaren inter- , zwischen- beiden, das wir nichtsdestotrotz ertragen. Es ist das Paradox, einen Körper zu haben und nicht darauf reduzierbar zu sein, aber auch nicht in der Lage zu sein, ohne ihn zu leben oder auch zu denken. Es ist wahr, dass diese Bedingung sich ändern könnte, wenn wir (aber wer ist “wir”?) zum Punkt gelangen, ohne Körper zu denken[4], und es kann sein, dass wir uns (?) diesem Punkt nähern. Aber ich werde nicht über diese ideale Identität zwischen dem Selbst und Selbst spekulieren, dessen Willen und dessen Gewalteffekte ich anderen Ortes diskutiert habe.[5]. Die Übersetzung (das Leben?) findet in dieser Bedingungslosigkeit statt, dem Imperativ des belebten Körpers[6]. Als solche ist sie nicht mehr als ein Verhältnis, das nichts in sich selbst ist; Nichtsheit. Es hndelt sich niemals “nur” um den Körper, sondern auch eine Frage dessen, wie die Bedingung des Seins darin eingefaltet ist (ohne, aber auch mit Organe; Anatomie hin oder her), und wechselseitig aber nicht symetrisch, in der Weise, in der das Prisma der Psyche, des Sozialen und der Geschichte den Körper reflektiert. In diesem Sinn werden wir immer ein Propf unserer selbst als Andere gewesen sein. Und Propfe können auf ndere aufgepfropft werden, und die Dinge so verkomplizieren, wie Jean-Luc Nancy in L´Intrus (Der Eindringling) zeigt. Nicht nur ist die belebte Körperlichkeit die Bedingung der Übersetzung, aber sie macht die Übersetzung auch notwendig: es gibt keine andere Situation als die der Übersetzung; es gibt keinen Reinzustand der noch un ist. Sogar das völlige Unverständnis beweist dies. Sich einen Zustand (der Sprache, der Zivilisation) vorzustellen, der vor aller Übersetzung liegt, wäre, wie die Vorstellung eines Körpers ohne Seele, einer reinen Natur oder eines biologischen Genus, der sich klar vom Geschlecht unterscheidet, ausserhalb jeglicher Vermittlung. Dies hiesse auch in eine Dichotomie Natur-Kultur, Genus- Geschlecht, weiblich-männlich, Subjekt-Objekt, Innen-Aussen zurückzufallen. Es hiesse auch, sich vorzustellen, dass in der Dyade beide Begriffe gleichwertig , symetrisch und ohne implizite Hierarchie sein könnten. Kultur ist zu allererst eine Sache der Übersetzung, sogar innerhalb ein und derselben Sprache.
Viele Erfahrungen der Vermittlung kommen vor der Übersetzung, soviele einschüchternde Hindernisse. Ist es nicht am Schwierigsten, Innen nach Aussen zu übersetzen, in anderen Worten, sich den Anderen zu enthüllen – der intimen Dimension in die öffentliche Dimension zu gehen? Und ist es nicht charakteristisch für eine hegemoniale Gewalt, die exklusiven Codes der Übersetzung und jeglicher Interpretation für sich zu beanspruchen? Man könnte als Beispiel den westlichen Willen zur Macht anführen (immer mehr den amerikanischen, den der Vereinigten Staaten) aber auch jeden anderen Versuch mit Gewalt eine einzige Bedeutung aufzuzwingen (alle Totalitarismen, alle Fundamentalismen). Das heisst auch, die Übersetzung und Verschiebung anzuhalten, die Zeit zu komprimieren, und das ist schon Gewalt.
Im übrigen kommt die Öffnung Bedeutung(en) durch Übersetzung zweifellos vom Widerstand gegen ein solches Anhalten und führt auch eine Erweiterung der Zeitlichkeit und ihre Entzerrung mit sich. Zeit ist für Übersetzung notwendig, wie auch für das Leben. Das Momentane, ebenso wie Schnitte in der Zeit, erzeugen entweder sanfte Sprünge der Bedeutung oder, ganz grob, eine Form der Gewalt und eine Rekonfiguration desselben. Die Zeit der Übersetzung ist ihre Qualität als Verhältnis – als Nichts – das der Buddhismus "avidyâ" nennt, um den Mangel an diesbezüglichem Wissen auszudrücken, das unvermeidlich der Fall ist, da wir uns innerhalb dieses Verhältnisses befinden und es die Grenze der Sprache darstellt. Im “Akt” der Übersetzung, wie in jeder anderen Beziehung, beginnt man hingegen damit, direkt, ohne ein Objekt, zu wissen.[7] In diesem Geist vermindert eine einzigartige Zeit, eine angehaltene Zeit die Möglichkeiten und die Wahl der Szenarien, ebenso wie sie alternative Geschichten auslöscht (ebenso wie alternative Lektüren und Übersetzungen) und sie zu einer vorgeprägten Geschichte macht.
Durch
Übersetzung andere Bedeutungen willkommen zu heissen, bedeutet vielleicht, sich
selbst, wie in der Liebe, dem Begehren und der Sexualität in Übersetzung zu
begeben (und in Frage zu stellen), in der Vereinigung und der Veränderung
seiner/ihrer selbst. Wenn dies der Fall ist, könnte man über die Übersetzung
das sagen, was Jean-Luc Nancy über die (sexuelle) Beziehung sagt: “Es gibt in
einem entschiedenen Sinne daher keine Beziehung in dem Sinne dass es eine
Zusammenfassung oder eine Buchhaltung eines Exzesses gibt: nicht weil es nicht
ein unaufhörliches Ausströmen in den Exzess als solchen gibt (der dazu
tendieren würde als ozeanische, fusionale Form der Entropie zu enden), sondern
weil der Exzess einfach, streng und exakt der Zugang zu einem selbst als
Differenz ist, und zu Differenz als solcher; in anderen Worten, genau gesagt,
der Zugang zu dem, das als solches
nicht erdacht oder vergegenwärtigt werden kann, ausser das Sein wird “als
solches” enthüllt, das nie das ist
(was der Idee einer Evaluation, einer Messung oder einer Vollendung der
Beziehung impliziert würde). Es gibt Beziehungen als Beziehungen, nichts."[8]
Jenseits des fantasierten Souveränität des Originals
Übersetzung ist also selbst eine Kopulation, dh. die Verbindungsaufnahme, die Anhaftung und der Verbund zwischen zwei ( denen jedes plural ist) die in der Beziehung verändert werden. Das Ergebnis einer Beziehung kann sich nur vom “Original” unterscheiden, und nur partiell darauf antworten/ damit korrespondieren: es wird mit sich selbst antworten. Die Übersetzung ist dieses Kommen und Gehen Bedeutungen, mit der Unmöglichkeit und manchmal mit dem Verbot zur Bedeutung zu gelangen, und doch mit einer Bedeutung oder Bedeutungen, die zumindest da abgeleitet werden, sogar wenn sie an der Schwelle des Unverständlichen verbleiben. Denn sogar das Verbot verhindert nichts vollständig – es macht nichts unmöglich, sondern macht die Dinge anderweitig zugänglich. Und, was die “sexuelle Beziehung” betrifft,[9] bringt die “übersetzende Beziehung” nichts mit sich, das kapitalisiert werden könnte, aber sie stellt chronisch und auch akut einen Exzess und einen Mangel dar. Übersetzung ist nie ein Kalkül mit einem klaren Ergebnis. Sie nimmt eine Differenz zur Kenntnis, die sie auf unperfekte Weise auflöst und manchmal (mehr oder weniger) zufriedenstellend verfälscht. Sie ist der Akt des Sich-Unterscheidens, ohne dass es einen bestimmten Ursprung oder ein definitives Ziel gibt. Keine Übersetzung ist irgendetwas anderes als ein Segment der Unmittelbarkeit in einem unendlichen Prozess. Sie ist Schöpfung im selben Sinne in dem auch das “Original” eine Schöpfung ist, und sie ist ebenso gut oder schlecht, aber unabhängig da. Die Unähnlichkeit des Dinges mit sich selbst und die Unmöglichkeit des Identischen verweisen zurück auf die Ausnahme, die jeder Identität zugrunde liegt, oder zumindest auf alles, dass nicht schon existieren würde, wenn es nicht eine Ausnahme oder Übersetzung auf sich nehmen würde. Und so wird die imaginierte Souveränität des Originals sofort als dauerhaft verschieden abgespalten, als bestehend aus impliziten Inklusionen, trotz expliziter Exklusionen. Was gibt es jenseits der Übersetzung?Sie geht auf jeden Fall über den konkreten Akt der Übersetzung und sein Produkt hinaus. Es ist der Text, der uns und durch uns, den Übersetzer, seinem Autor wird und der uns , in dem er uns auch in die neueVersion einschreibt. Uns verändernd. Die Identitäten der Autoren/Übersetzer verschwimmen. Es ist kein Zufall, dass das Verhältnis der Teleskopie oder der Verwechslung zwischen mir und dem anderen in der mystischen Liebe ( im Sanskrit maithuna) ein Darüberhinausgehen impliziert, das trans-subjekthaft (und, natürlich, trans-objekthaft) ist, aber auch ein andere Art Wissen, in der “wissen” bedeutet, “der Andere zu werden” in einem Jubel, der Identität und Ego transzendiert, welcher die Schwäche der Sprache und das Scheitern aller Repräsentation enthüllt. Was die Inperfektibilität der Übersetzung zeigt, ebenso wie die Dynamik der sexuellen Beziehung, die nicht befriedbar ist (ebenso wie der sozialen Beziehung zwischen den Geschlechtern), ist die generelle Unzulänglichkeit der konzeptuellen Disposition der Subjekt-Objekt Beziehung, die eine totalisierende, addierende Funktion ist. “Man könnte sogar sagen, dass Sex, grundsätzlich, interpretiert wird: Ich meine, dass er sich abspielt und stattfindet, indem er sich sexuiert. Er wird wie ein Musikstück gespielt: er spielt seine eigene Partitur, die Aufteilung in die verschiedenen Sexi, die er eigentlich ist."[10]
Der Horizont der Übersetzung – jeder aufeinanderfolgenden, oder verschiedenen Übersetzung – zieht sich zurück wie eine kośa: eine Umlaufbahn oder Hülle der Bedeutung, die Innen nach Aussen geht (und umgekehrt)[11]. Die “unmögliche” Natur der Übersetzung entspräche so der Unmöglichkeit des Geniessens, der Nancy spricht, deren Auflösung jedes Mal auf einer anderen Ebene verortet ist: "Wenn es etwas Unmögliches am Geniessen gibt, ist es, weil es etwas Intimes darin gibt, in anderen Worten, etwas (oder eine oder einen) das unaufhörlich vor jeder möglichen Zuschreibung zurückweicht. Die Unmöglichkeit des Geniessens [und der Übersetzung? R.I.] bedeutet, dass es ihm gelingt, nicht nur zu vermeiden sich in einem Zustand niederzulassen (wie in der juristischen Terminologie, die vom “Genuss” eines Gutes spricht) und dass sein Vollzug sein Akt als solcher ist. Aber auf diese Weise bleibt es im Kommen: in der Tat tut es nicht anderes."[12]
Man zögert, “einzudringen”. Es könnte etwas Obszönes darin liegen, einen Bericht einem Leben das auf dem Spiel steht aufzugreifen und ihn zu kommentieren, etwa einen dramatischen, intimen , bewegenden Text. Konfrontiert mit bestimmten Fakten über das Leben und dem Mut, auch über sie zu sprechen, verlangt es der Anstand, dass Schweigen bewahrt wird. Aber gleichzeitig ist die begehrte Enthüllung des Intimen zunächst polylogisch und lädt zur Intervention ein. Manchmal gibt es auch eine Einladung zur Unterbrechung. Invasionen[13], Einfälle, Hybride[14], Mischungen[15] und andere Formen der Vermengung, und manchmal auch eine gewisse Gewalt waren auch eine Quelle des Lebens, der Kultur und Reflektion, jenseits ihrer verheerenden Effekte. Wie kann die interne, intime Dimension in eine äussere, öffentliche Dimension werden? [16]
Dies ist eine schmerzhafte Ablenkung des Prozesses in dem man das lernt, was man schon wissen sollte. Es ist eine harte Form der Gelehrsamkeit in der man etwas verlernt – um zu wissen. “Wenn du gelernt hast, wie du leben sollst, ist es schon zu spät....”. Und es ist auch eine Frage der Zeit. Denn offensichtlich lernt man nur wenn die Zeit kurz wird, oder die Hellsicht einer kinematografischen, retrospektiven Sicht aufs Leben bekommt. Aber gab es nicht Beginn an zu wenig Zeit? Dieses Zusammentreffen mit der Zeit, das nur einigen Menschen widerfährt, kann nur erscheinen wie ein unerwarteter Blitz, wie ein Eindringen – der Art, die Momente ontologischer Erschütterung begleitet.
Es ist wahr, dass die Schwellen der ontologischen Infragestellung – die Sensibilitäten – verschieden sein können und dass sie vom Individuum abhängen werden. Sie können gewiss der mystischen Erleuchtung bis zur poetischen Transparenz und der mise en abime des Lebens reichen. Bis zur Begegnung mit dem Tod. Aber es scheint, dass dieser Schritt immer gesichert ist, ohne dass man weiss, wo er exakt verortet ist, wenn der Körper in Frage gestellt wird. Das ist nicht unbedingt der Fall mit anderen Umwälzungen[17]. Andererseits können ontologische Störungen einer spirituellen oder mystischen Art auch laut anderen Berichten zur sanften Auslöschung des Körpers führen. All die “Therapien” – Yoga, oder Kontemplationstechniken, die es in den indischen philosophischen Schulen im Überfluss gibt (und die sich alle vor allem praktisch verstehen) handeln da. Nirgendwo im Leben kann man den Unterschied zwischen “Körper und Seele” genau festmachen oder den zwischen “Körper und Geist”. Keiner existiert ohne den anderen. Die Rekonstruktion dieser Trennlinie gehört im Allgemeinen zu den Strategien der Macht. Es ist auch die Grenze der Repräsentation und die der Sprache. Die verbreitetsten Formen dieser ontologischen Erschütterung, wenn es um den Körper geht, sind: für Frauen, sicherlich das Faktum der Geburt (den Anderen seiner Selbst zu produzieren und sich zu entmultiplizieren); und, für jeden im Allgemeinen, das Faktum, jemand Geliebten zu verlieren, oder einfach in der einen oder anderen Form dem Tod zu begegnen. Die Erfahrung der Gewalt, zum Beispiel Krieg. Das Gleichgewicht zu verlieren als Folge des Kollapses der Welt, die einen aufrechterhielt. Aber alles weist auf die Idee hin, dass die existentielle Herausforderung des Körpers und des Lebens über dies hinausgehen und nur den existentiellen und ontologischen Abgrund unterstreichen – die Erkenntnis, dass es keinen Grund gibt. In einigen Kulturen hat man schon immer versucht, in einem solchen Bewusstsein zu leben.
In diesem Sinne teilt uns Jean-Luc Nancy nichts mit, was wir nicht schon durch Intuition wussten, während es uns trotzdem noch zu lernen aufgegeben war; dass wir alle Herztransplantationen hatten, sozusagen. Das ist eine extreme Erfahrung die er erlebte um sogleich da enteignet zu werden, eben durch den Bericht, den er da gibt: “Der Eindringling stellt mich exzessiv bloss. Er dringt in mich aus, exportiert mich, enteignet mich..."[18] Eine unrepräsentierbare Erfahrung zähmend, trotz des Widerstands der Sprache, durch diesen Bericht teilt er ihn mit uns und etwas teilt sich dennoch mit. Das gehört vielleicht nicht der Ordnung des Antikörpers, oder des Virus an, obwohl es am Ende fast das sein könnte – ein verbaler Virus, virtuell zu Beginn (wer weiss?): der der Mitteilbarkeit des Unmitteilbaren, der Übersetzbarkeit des Unübersetzbaren. Salman Rushdie hat gesagt, dass obwohl man gewiss etwas durch die Übersetzung verliert, aber man gewinnt etwas anderes hinzu.
Und wenn keiner uns etwas anderes ist als ein Eindringling, und wenn wir alle in diese Welt als jemandes Gast kommen, ist unsere Sprache Anfang an nichts anderes als Übersetzung. Wir sind transliteriert. Diese plötzliche Erscheinung in einer anderem stört, vor allem anderen, und verändert diese Person. Das neugeborene Kind behält keine bewusste Erinnerung an dieses Losreissen, zweifellos um fähig zu sein, am Leben zu bleiben. Dieses Exil aus dem Anderen muss für es zum Objekt einer Reintegration während einer schmerzhaften Lehrlingszeit im Leben werden Und diese findet für Männer und Frauen definitiv nicht auf dieselbe Weise statt[19].
" Ich (Wer ist dieses “Ich”?Das genau ist die Frage, die alte Frage: was ist das Subjekt dieser Äusserung, immer ein Fremder im Bezug auf das Subjekt dessen was ausgesprochen wird, in dem er oder sie notwendig Eindringlinge sind, aber im Bezug darauf auch notwendig der Motor, das Getriebe und das Herz) – Ich erhielt also das Herz jemand anderem, es ist fast 10 Jahre her."
(Nancy, p. 13.)
“Ich bin nicht dieses, es gehört
nicht mir, es ist nicht mein Selbst” antwortet der Buddha. Dieses Gefühl, diese
Erfahrung, diese gelebte Erfahrung, die Gewissheit meines “Ego” (aham) ist nicht mein “Selbst”, es ist
nicht mein “Wesen” (âtman) und ausserdem
gibt es kein Wesen. Nicht weil mein Ego oder mein eigenes Selbst etwa etwas
anderes sind, sondern weil sie nichts an sich sind, oder in jedem Fall nichts
Festes oder Identifizierbares. Da es kein Sein an sich gibt, da es keine andere
Identität gibt, als die die konstruiert, provisorisch und angehört im
Erscheinen ist, wie in den fünf Aggregatszuständen (skandha) aus denen sich das Lebende zusammensetzt: die Form des
Körpers (rûpa), die Gefühle und
Sinneswahrnehmungen (vedanâ), die
unbewussten Abdrücke des Bewusstseins (samskârâs),
das intuitive und konjunktive Bewusstsein (samjñâ),
und das diskursive Bewusstsein (vijñâna).
Das bedeutet, dass wir nicht der Geburt bis zum Tod dieselbe Person sind,
aber eine Abfolge, eine offensichtliche, zufällige Kontinuität die viel
Diskontinuität beinhaltet[20].
Diese nicht konstante, verschwindende Realität, diese Antigenealogie wird einer Person im Kindesalter eingetrichtert, sodass sie das Ego verlernen kann, bevor es sich verschanzt um noch mehr Schmerz und Enttäuschung vermeiden – die der Entdeckung der Inadäquatheit des Selbst gegenüber dem Selbst. Und dies ist sogar die erste Lektion. Es ist nicht höflich “Ich” zu sagen. Es scheint, dass das Ego, neben der sich daraus ergebenden Perspektive seiner räumlichen und zeitlichen Zentralität, und die darausfolgende Metaphysik des dominanten Subjekts, mit der Projektion eines einzigen Gottes und den sie begleitenden Formen der Knechtschaft und Beherrschung, am Ursprung des vitalen Interesses selbst entsprangen. Obwohl es bei der Geburt nicht mehr als eine Potentialität ist, entwickelt das Ego seine Kultur, seinen Imperialismus, seine Zeitlichkeit, sein politisches und soziales System; und schliesslich konstruiert es sich in Einklang mit dem Staat und der herrschenden Macht, wenn es keinen kulturelle “Beugung ” gibt, die es bis zum maximal Möglichen verdünnt. “Es muss einfach gesagt werden, dass die Menschheit niemals für irgendeine Modalität dieser Frage bereit war, und dass ihr Mangel and Vorbereitung für den Tod nichts anderes ist, als der Tod selbst: ihr Streich und ihre Ungerechtigkeit.” (Nancy, p. 24.) Und dennoch haben ganze Kulturen das Verlernen des Ego geübt, d.h., jene, die Kindern ihren Status als Eindringlinge eintrichtern, und nicht auf die Begegnung mit dem Tod, unserem Status als Eindringlinge warten. Dabei stehen sie vor denselben Wahlmöglichkeiten, denselben existentiellen Erfahrungen wie unseren; und es ist nicht nötig irgendeine unüberwindliche kulturelle Differenz zu imaginieren, oder die Existenz nicht-kommunizierender Universen. Aber es sollte ohne Zweifel gesagt werden, dass die westliche Menschheit nicht dafür bereit war, da andere Menschheiten die Antworten vorwegnahmen, um die Frage gar nicht stellen zu müssen: ihre Idee war, die Frage im Voraus zu dekonstruieren.
Dieser paradoxe, introspektive Blick konnte westlichen Augen kaum als hochpolitisch oder engagiert erscheinen und daher nicht als eine, die besonders ernstzunehmen ist. Er geht der Identifikation einer Ungerechtigkeit oder Ungleichheit aus, die gewöhnlich als “das” Politische wahrgenommen wird. Es gibt eine gähnende Lücke; es gibt das dem kein Bericht erstattet werden kann. Es macht allerdings wenig Sinn, konkret über die “widerfahrene Ungerechtigkeit” als unausweichliche, ursprüngliche oder natürliche zu sprechen, da dies nicht nur Vornherein jede politische Aktivität entmutigen würde, sondern auch die gesamte theoretische Recherche, gegenüber der das Politische eigentlich eine Einladung ausspricht, wie alles Yoga und alle “therapeutischen” oder kontemplativen Unternehmungen. Es gibt nichts unvermeidliches an den Formen der Ungerechtigkeit. Das Politische führt zu Theorie und zur Politik, aber auch, in Kontexten, die vom westlichen verschieden sind, zu praktischer meditativer Recherche. Es ist eher der “Mangel” der mit letzteren verbunden wird, der ein Problem schafft, zumindest in den Augen der westlichen Philosophie. [21].
Es gibt daher in der condition humaine, etwas das vorher existiert, dem kein Bericht abgelegt werden kann; oder präziser, karma. Karma ist die wechselseitige Solidarität aller Lebensformen. dieser Perspektive aus ist “Humanismus” eine vorurteilsbeladene Form des “Gattungs- Ismus”. Wenn, im gegenwärtigen Kontext nicht nur Menschen zur Debatte stehen, was ist dann ein solches Subjekt und was sind die Rechte “bedingten Subjekten”, oder “partiellen Subjekten” wie Kindern, Kranken, Cyborgs und verschiedenen Eindringlingen? Das Deleuzesche Konzept des “Pli” (der Falte) bleibt, vielleicht, das nützlichste um ein nicht-versteinertes Subjekt zu verstehen.
Es gab Denkweisen, die besser waren als westliche Philosophien, wenn es darum ging, das Problem der Aufgabe des möglichen Subjektes wertzuschätzen: das des Nichtbesitzes des Selbst (und unter anderen, a priori, durch eine Wahl der Zivilisation): paradoxerweise gibt es in der Behauptung des Subjektes durch seinen eigenen Willen auch die Möglichkeit seiner der Kultur gewürdigten Abdankung. Die buddhistische Kultur war darin erfolgreich, sie in der sozialen Sphäre wertzuschätzen; ebenso wie bestimmte Kulturen der Frauen.
Das existentielle Paradox
Was durch diese kulturelle Wahl offensichtlich wird, ist das existentielle Paradox. Und an diesem Punkt muss ein schneller Umweg über das Konzept des Subjekts gemacht werden, wie es in der westlichen Philosophie verstanden wird: das Subjekt ist ein Prozess, eine Hierarchie, ein Urteil, ein Wille, eine Aktivität, eine Anstrengung um die Welt zu beherrschen (sein Objekt). Der Begriff Subjekt existiert als solcher in der indischen Philosophie nicht, obgleich es andere Begriffe gibt, die ihn umzingeln und sich mit ihm überschneiden.[22]. Das bedeutet nicht, dass dieser Begriff undenkbar ist, wie manche uns glauben lassen wollen. [23] Dies ist natürlich paradox für die Philosophie, denn sie wird dadurch, in gewissem Sinne, mit ihren eigenen Waffen geschlagen. Aber das Paradox betrifft jenseits der Philosophie auch die gesamte indische Gesellschaft, die diese intime Wunde wie Richard Lannoy mit einem gewissen Ausmass an Übertreibung vorschlägt, mit einer “Strategie der Verzweiflung” in homöopathischen Dosen behandelt, dh. sie stillt den Schmerz mit einer verwandten “Kur”, und erhebt es damit über das Individuum und jenseits da, in den Rang eines Ideals das der Gesellschaft anerkannt wird, sodass es schliesslich die Gesellschaft als ganze durchdringt[24]. Das Paradox steckt in dem simplen Faktum, dass man dem Nichtbesitz des Selbst mit einem Minimum an individuellem, subjektiven Willen näherkommt,und also durch die Affirmation des Selbst in einem intimen politischen Akt. Es ist, als ob die Flucht vor der Tyrannei der sozialen Orndung nur durch ein Ausweichen möglich wäre, durch ein “Wegducken” ausserhalb des Systems. In dieser Hinsicht, und um den Begriff der kośa (einer Hülle der Subjektivierung) zu repräsentieren, lassen Sie uns Deleuze und Guattari zitieren ( die den Begriff als solchen nicht diskutieren): "Man könnte genauso sagen, dass das gebündelte System nicht wirklich mit dem Dualismus bricht, d.h. mit der Komplementarität des Subjekts und des Objekts, einer natürlichen Realität und einer geistigen Realität: die Einheit wird kontinuierlich in Schach gehalten und im Objekt verhindert während ein neuer Typ Einheit innerhalb des Subjekts triumphiert. Die Welt hat ihren Drehpunkt verloren und das Subjekt kann nicht einmal mehr eine neue Dichotomie hervorbringen, sondern erlangt eine höhere Einheit der Ambivalenz oder Überdeterminierung in einer Dimension, die immer zu jener ihres Objekts hinzugefügt wird. […] Weder typografisches noch lexisches oder sogar syntaktisches Geschick reicht hin, um ihm Gehör zu verschaffen.Das Multiple muss gemacht werden, nicht dadurch, dass ihm eine immer noch höhere Dimension hinzugefügt wird, sondern im Gegenteil, in der einfachsten Weise, durch Nüchternheit, uf der Ebene der Dimensionen, die einem zur Verfügung stehen, immer n –1 ( nur so kann das Eine ein Teil der Vielen werden, indem es ständig abgezogen wird.). Das Einmalige der Multiplizität, die konstituiert werden soll, zu subtrahieren n –1"[25] zu schreiben: ist dies nicht auch die Art, in der die Geburt stattfindet – durch eine Subtraktion die multipliziert und addiert, anstatt etwas wegzunehmen? Die kośa, ebenso wie das Deleuzesche Rhizom sind Antigenealogie. Und das Eindringen stellt die Tatsache dar, sich der Genealogie abzulösen – dem was zu Herrschaft führt. Die Befreiung kann nur eine andere unerwartete Logik und Widerstand einführen. Es gibt hier keine metaphysische Mobilisierung, sondern eher eine präventive Demobilisierung der tödlichen Beschleunigung der “kapitalistischen” Psychopathologie des “Kredits”, inklusive des in diesem Fall ideologischen Kredits oder desjenigen der Selbstkapitalisierung des Subjekts.
Aber was ist dann mit dem “was den Gedanken lostritt” (Lyotard), während es sich nicht denken lässt und auf diese Weise unsichtbar bleibt? Im buddhistischen bedingten Werden heisst es, dass nur zwei der zwölf Verbindungen in der Kette der allgemeinen Kausalität radikal sind, nämlich avidyâ, oder die Ignoranz, die auch das Unbewusste genannt werden kann und tršna, Durst oder Begehren. Für sich allein genommen sind diese zwei Maschen der Existenz genug um uns Wurzeln im Leben zu verleihen, uns daran zu binden, es schwierig zu machen uns da loszureissen und uns selbst loszuwerden.
Diese
Wurzeln reichen tief in eine andere Dimension dessen was das philosophische
Ideal (nirvâna) darstellt, das aus
der Dekonstruktion des Subjekts besteht, und dann dem “Auslöschen” des
Selbst. Avidyâ, sowohl als Ignoranz und als Unbewusstes, ist philosophisch
sehr vielversprechend. Dieser Verlust des Gedächtnisses bedeutet, dass wir
weder Erinnerungen noch bewusste Abdrücke früherer Leben und Konditionierungen
haben, und dass wir die Ursachen der Wirkungen nicht kennen, mit denen wir
konfrontiert sind, und auch nicht das karma
aus dem wir gemacht sind. Avidyâ
versteckt ein darüberhinaus des Lebens,
das nicht nur zeitlich (und so im “Rad des Werdens” repräsentiert ist) und
strukturell ist, sondern das auch und auf komplexere Weise fundamental und
strukturierend ist. “Soweit es diese
Angelegenheit betrifft, wird alles mir woanders und aussen zukommen – auf
dieselbe Weise in der mein Herz und mein Körper mir aussen zukamen und ein
Woanders “in” mir sind.” (Nancy, p. 22.) In diesem Sinne ist avidyâ, mit den Determinanten (samskârâs) des Bewusstseins (vijñâna), das verdeckte Karma früherer
Existenzen (oder sogar der gegenwärtigen), in anderen Worten die angehäufte
Schuld, die abgelöst werden muss, um sich seiner Selbst zu entledigen.
Avidyâ bedeutet, dass wir geboren
wurden im Stande des Vergessens unseres Status als Eindringling. Sich da
frei zu machen bedeutet, die offensichtliche Tatsache anzuerkennen, dass wir
woanders kommen und die Genealogie der Abstammung aufzugeben um die der
Affiliation zu erlangen. Es ist als ob die Ignoranz aus einer Akkumulation
jener Subjektivität bestünde, die nötig ist, um es loszuwerden[26].
Für Buddhisten, wie für Wittgenstein oder in der Tat jeden Poeten, der etwas auf sich hält, kann die Sprache nicht alles sagen. Sie kann es nicht, weil sie nur einen Teil des Ganzen darstellt. Wenn dies der Fall ist, ist es weil das Leben der Sprache vorausgeht und sie bestimmt, und weil sie nur eine seiner Möglichkeiten darstellt. Sie kann keine Erklärung darüber abgeben, was ihre Bedingung darstellt, d.h. das Leben selbst. Und dies ist der Ort avidyâ. Noch vor jeglicher menschlichen Institution oder Aktivität, gibt es die Geburt (das Leben), die durch die Vereinigung der Geschlechter verursacht wird, dem grossen Ungedachten/Undenkbaren, die aber den eigentlichen Ort unseres vitalen Interesses darstellt, und auch das was das Denken in Gang setzt. [27] Die Philosophie und die Sprache sind derart in einem partikularen Interesse verortet und agieren auf dessen Basis, ausgehend vom Ego. Das ist das existentielle Paradox. Es ist also notwendig zu vermeiden, einen sicheren Stand zu erlangen, wenn man das Leiden vermeiden will, das durch die Artikulation und Integration des Ego-Subjekts entsteht. Dies steht in paradoxalem Widerspruch aber auch in kreativer Spannung mit dem Willen selbst sich auszulöschen.Es ist eine Herausforderung, die Buddhisten durch die Konstruktion ihres Weltbildes und ihrer Kultur angenommen haben.
Je nach dem Code ihrer Lektüre verbleibt die Priorität, die man sich selbst zuschreibt mehr oder weniger verhüllt. Ihre Unsichtbarkeit kommt jenseits des Schirms, der als avidya bekannt ist, d.h. dem Unwissens über den Ursprung, der in die Sprache als unbewusste eingeschrieben ist. Dieses Unwissen ist auch das Undenkbare des Unterschiedes zwischen den Geschlechtern. Was daran undenkbar ist, ist vielleicht nicht die Differenz als solche, sondern vor allem die Tatsache, dass es unser Ursprung ist, oder das was ausserhalb unserer selbst liegt. Den eigenen Ursprung im Anderen zu haben, ihm das Leben zu verdanken, das ist das Unerträgliche, dort, wo die Existenz gemäss des Prinzips der Identität und der Zentrizität des Selbst entworfen wird[28]. Die ideale unmögliche Genealogie, die in der letzten Analyse selbstmörderisch ist, ist die, nur aus sich selbst heraus geboren zu werden(svayambhû), und zu existieren, und dies ist mit der Macht und Geschichte der Herrschaft verknüpft.
Ein permanentes Eindringen
“Ich komme woanders oder ich komme gar nicht mehr.” (Nancy, p. 17.) Es ist die Schwäche des Herzens, die dies enthüllt. Aber kam ich nicht sogar schon vorher woanders? Und sogar schon vor dem kommen oder nicht mehr kommen? einem anderswo, ohne das es, woanders, weder kommen noch nicht kommen gäbe. dieser Anderen gekommen zu sein, das ich nicht mehr bin, aber das ich war, oder das eher ich war, und das mich durch eine radikale Veränderung meiner selbst gemacht hat. Gemacht, indem ich wie ein Fremdling ausgestossen wurde: aber durch ein heilbringende, freundschaftliche Verbannung – die das Dazwischen (l’entre-deux) erzeugte, um die Anerkennung der Einheit zu ermöglichen? Durch Subtraktion. Die Produktion des anderen ohne Opfer oder Forderung. Die Eindrungene ist “ausgedrungen” aber nicht zur Seite gestossen; sie wird weggeschickt aber in der Nähe behalten, toleriert und immer noch willkommen – die, der man sich nie mehr befreien muss. Die, die verfügbar bleibt, um die Gemeinschaft zu schaffen, die seit/durch seine Ankunft in der Welt gegeben ist, und nicht nur durch die Konfrontation mit dem Tod. Die Produktion der Anderen, die mich als Andere meiner Selbst erschuf um das zu werden, was ich bin. Ein ganzes Projekt des Widerstands gegenüber dem Monotheismus und, noch einmal, dessen Genealogie[29]. Eine patriarchale, notgedrungen.
“Der multiple Fremde, der so in mein Leben eindringt (mein dünnes, ausser Atem geratenes Leben, das manchmal in das Unwohlsein am Rande des nur erstaunten Aufgebens gleitet,) ist daher kein anderer als der Tod, oder eher Leben/Tod: eine Aussetzung des Kontinuums des Seins, eine Skansion, mit der das “Ich” wenig zu tun hat. Die Revolte und die Akzeptanz sind der Situation gleichermassen fremd.” (Nancy, p. 25.) Es gereicht Jean Luc Nancy zur Ehre, dass es weder der Ordnung der Revolte noch jener der Akzeptanz angehört. Und wenn es keine Revolte auslöst, bedeutet es auch keine Akzeptanz. Das Register ist das des “Leben/Todes”. Sie gehen immer Hand in Hand, der Tod ist nicht der grosse Andere, obwohl er der Unbekannte des Lebens ist. Er ist nicht Transzendenz; er stellt nicht die Lösung dar. Er gehört derselben Familie an wie dem Leben. Das mag schwer vorzustellen sein. Aber es ist jeder Art Denken klar, dass es nicht auf die Weise kulturell geprägt wie unseres durch Dualismen. In diesen Fällen ist die Trennlinie zwischen Tag und Nacht, weiblich und männlich. Leben und Tod, dem Rationalen und dem Irrationalen, Gut und Bösen eher unterbrechend, wesentlich ungewisser.
“Das Leben “selbst”, das sich in keinem Organ befindet und das ohne sie nichts ist.” Wo kann man das Leben finden? Zunächst, im Leben. Immer schon und verraten. Aber auch in Bedingungen, die ihm äusserlich sind: “Das Leben, das nicht nur überlebt, sondern immer selbst lebt, unter einem dreifachen fremden Kommando: dem der Entscheidung, des Organs, den Nachwehen des Propfes." (Nancy, pp. 27-8.) Könnte es dann sein, dass der “Fremde” gar nicht so fremd ist?
Götter und Dämonen haben denselben Ursprung: sie sind das “Volk”, da sie alle Prajâpati, abstammen, dem Vater der Generationen[30]. Es gibt einige Episoden in den Upanishaden, in denen es darum geht, zu sehen und sich zu vergewissern, welche der angeblich vitalen Funktionen wirklich vital ist, welche "brahman", die ausgezeichnetste, ist , ohne die das Leben nicht weitergehen könnte [31]. Es wird ein Wettbewerb veranstaltet, nach dem festgestellt wird, dass man ohne Sprache leben kann, als dumme Person oder ohne Augenlicht, als blinde Person, oder ohne Gehör, als Tauber oder ohne Verstand, als infantile Person oder ohne Arme und Beine, als verkrüppelte Person. Aber dann merkt man, dass es der Atem (prâna) und das “intelligente Selbst” (prajñâtman) sind, die den Körper beleben und ihn leben lassen. Wenn sie verschwinden, gibt es kein Leben mehr[32].
Und während das “intelligente Selbst” nicht verortet ist, befinden sich die manas mit den Gedanken und dem korrespondierendem Organ, im Allgemeinen im Herzen. In der “Höhle des Herzens”, jenem Mikrokosmos der inneren Tiefen des Seins, die einem auch erlauben, sich während Yogaübungen in sich selbst zurückzuziehen, um mit dem Universum Verbindung aufzunehmen. Die Gedanken, die im Herz verortet werden, sind vital; sie sind das Leben selbst. Aber sie stellen auch eine Kreuzung mit den äusserlichen Kreisen dar und einen Übergangspunkt zwischen den Dimensionen.
Das Herz/die Gedanken sind wie ein Nabel, der niemals vernarbt ist, sondern offen bleibt und mit der Welt verbunden ist. Sie bilden auch “die Möglichkeit eines Netzwerks, in dem Leben/Tod geteilt werden, in dem das Leben mit dem Tod verbunden is,t in dem das Unkommunizierbare kommuniziert.” (Nancy, p. 30.) “Ich bin offen geschlossen”, nicht-identisch mit dem Selbst und nicht in der Lage das Identitätsprinzip aufrechtzuerhalten, das nicht gerettet werden konnte und trotzdem wird daran in einem unendlichen Versuch der Beibehaltung festgehalten, der manchmal auch derjenige ist, das Leben zu verschonen. Daher in sich selbst widersprüchlich. Das unaufrechterhaltbare Paradox markierend, das besagt, dass wir sowohl sterblich als auch transzendent sind: sterblich als Individuum, transzendent im Allgemeinen. “Es gibt hier eine Öffnung durch die ein nicht endender Fluss an Fremdheit fliesst […] die gesamte Existenz die in eine neues Register gestellt wird, und durchfegt wird. (Nancy, p. 35.)
Was Jean-Luc Nancy dort schrieb, wo ich mir in dieser Zitat-Verschiebung eine leere Klammer erlaubt habe, ist nicht wenig: “immununterdrückende Medikamente”; die Qualität des Lebens wird auf den Kopf gestellt, verdorben; in ein neues Register gestellt, in der Tat. Eine andere existentielle Dimension. Wir erreichen eine andere Dimension durch die Umwälzung der Alten. Aber wir sind nichtsdestrotrotz der vorgehenden kośa verpflichtet, da wir die karmischen Abdrücke zurückbehalten, die uns Kontinuität verleihen, sogar wenn sie mit unserer eigenen Identität diskontinuierlich ist, und auch wenn diese Identität nur provisorisch und flüchtig usw., ist. Das ist das Leid, das mit dem Leben kommt und das ein Teil da ist. “Man erlangt eine gewisse Kontinuität in den Einmischungen und zu einer permanenten Zustand des Eindringens." (Nancy, p. 40.)
Das
Heilmittel?
Wir wir
gesehen haben, sind die Medizinen nachträglich; sie sind Teil der neuen
Konfiguration und ihr unaufrechterhaltbarer aber unausweichlicher Teil.
Ambivalent wie jedes Pharmakon. Es gibt keine guten Heilmittel im Nachhinein.
Man kann versuchen, wie einige Systeme, ein Universum zu konstruieren, das so
konfiguriert ist, dass es so wenig wie möglich Schaden anrichtet. Der beste Ort
für diese Art Intervention ist das “Selbst” das Ego, das Subjekt, der Punkt
der Verankerung des Individuums in der Welt: “Ich kann klar spüren, dass es stärker ist als ein Gefühl: die Fremdheit
meiner eigenen Identität, lebhaft wie sie immer war, hat mich nie zuvor so kühn
berührt. “Ich” ist ganz klar der formale Hinweis auf eine nicht-verifizierbare,
unberührbare Auseinandersetzung geworden. Zwischen mir und mir gab es immer
Raumzeit; aber jetzt gibt es die Öffnung eines Einschnitts und die
Unversöhnlichkeit einer enttäuschten Immunität.” (Nancy, p. 36.) Die
Auseinandersetzung um die es geht wird anderswo pratîtya-samutpâda genannt, d.h. bedingtes Werden oder Kausalität.
In der originalen Form des Buddhismus “Dies ist der Fall, das findet statt”
sind alle Dinge in konstantem Werden, Kausalitäten sind komplex und
unkontrollierbar und alles hängt allem anderen ab. Nur deswegen kennen wir
unser karma nie; es kann nur durch
das was wir sind oder in jedem Moment tun exemplifiziert werden, indem wir
Moment für Moment auf der Grundlage der gesamten Vergangenheit neu berechnet
werden – und nicht nur “unserer” eigenen, da im Übergang einem Leben zum
anderen, keine Übertragung der individuellen Identität stattfindet. Das karma
ist also nicht die Strafe für unsere Handlungen; es ist die komplexe
Kausalität, die all jene umfasst, mit denen wir interagieren. Es ist das
allgemeine “Gesetz” der Empathie. Wenn man es letztendlich auf fast anekdotische
Weise behandelt, ist es als ob das karma einer anderen Person uns anhaften
könnte. Karma beeinflusst auch die
verschiedenen Grade kośa (Hüllen der Subjektivierung, die im Verschwinden
begriffen sind). Die Subjektivierung wird in der indischen Philosophie (in der
buddhistischen wie in der brahmanischen)
nur als provisorische, instabile, flexible oder sogar flüssige Form des
Werdens , toleriert, als
Zusammentreffen Elementen, die ihrerseits zurückgelassen werden, so wie zum
Beispiel die fünf skandha, die
psychophysischen Bestandteile der subjektivierenden Identität des Buddhismus,
die korrigiert und aufgelöst werden sollen. Was sicher ist in der
Auseinandersetzung mit der Kausalität, die die Tatsache in Betracht zieht, dass
das Leben geteilt wird, ist dass sein Ausgangspunkt das Unwissen ist (avidyâ). Eben das Unbewusstsein dieser
Konditionierung, des Karmas, des Ursprungs und der provisorischen Natur
jeglicher Identität; Das Unwissen über unser eigenes Eindringen. Das muss mühsam herausgefunden werden, da es
sich um eine Frage des Selbstverlusts
handelt.
Das Selbst, fiktional und vergänglich wie es sein mag, ist im seinem Begehren (tršna) und eigenem Interesse verankert.
Es verbiegt die Welt nach seiner Perspektive. Es versucht so lange wie möglich
mit sich selbst identisch zu bleiben. Wenn das ihm nicht gelingt, erkennt es
sich nicht länger wieder; es verliert sich: “Man
kommt aus dem Abenteuer verirrt heraus. Man erkennt sich nicht länger wieder:
aber “Wiedererkennung” hat keine Bedeutung mehr. Sehr schnell ist man nicht
mehr als ein Schweben, eine Aussetzung der Fremdheit zwischen schlecht
definierten Zuständen, zwischen Schmerzen, zwischen Ohnmachten, zwischen
Zusammenbrüchen. Sich auf sich selbst zu beziehen wird zum Problem, zu einer Schwierigkeit
oder Opazität: es passiert durch die Schmerzen oder die Furcht hindurch; es ist
nichts mehr unmittelbares – und die Vermittlungen sind ermüdend.” (Nancy,
p. 39.) Dies ist gewiss eine extreme und anstrengende Form der
Nicht-Wiedererkennung. Und dennoch ist die Nicht-Wiedererkennung des Selbst
allen bekannt. Mit dem Spiegel angefangen, alten Fotos, oder der Wahrnehmung
der anderen. Traditionell hat die (Wieder-)Erkennung in der brahmanischen
Ästhetik einen speziellen Stellenwert, aber sie ist nicht autonom: um dahin zu
gelangen ist ein äusserliches Zeichen notwendig. Aber was noch wichtiger ist,
jedes Erkennen ist ein Wiedererkennen.
Jenseits der Instabilität der unteren Schichten (die keine Angelegenheit des
Brahmanismus sind, das stimmt), ist das Wiedererkennen
etwas das mit Kommunion zu tun hat. Es findet nicht in der Isolation statt, in
der Identität mit dem Selbst. Es findet dank etwas anderem statt. In Kâlidâsa's
klssischem Theaterstück AbhijñânaÑakuntalâ, erkennt der
König Ðakuntalâ am Ring
wieder, den er ihr einst gegeben hatte und dann vergessen hat. Für
Abhinavagupta, dem Philosophen der Ästhetik aus dem Kaschmir des 10.-11.
Jahrhundert, ist es die Wiedererkennung,
die die die Wiedererlangung der Identität oder der Kommensurabilität mit dem
Selbst ermöglicht; aber in einem anderen Register, relativ gesagt.
"Die leere Identität eines “ich” kann nicht länger in seiner einfachen Kommensurabilität (in seinem “Ich=Ich”) liegen, wenn es sich selbst äussert: “ich leide” impliziert zwei “Ichs”, die einander fremd sind (obwohl sie einander berühren) […] aber in “ich leide” weist ein “Ich” das Andere zurück, während in “ich freue mich” das eine “Ich” das andere übersteigt. Sie ähneln sich gegenseitig wie zwei Wassertropfen, zweifellos: nicht mehr aber auch nicht weniger. “(Nancy, p. 39.)
Alles hängt diesem Zustand ab, der den ganzen Horizont einnimmt. Ist dies der einzige? Bestimmt nicht, aber es ist der unerträglichste allen. Wenn nicht, gibt es andere unveräusserliche Zustände, die gegeben sind. Und das bringt gewisse Leute dazu sich der Welt zurückzuziehen. Aber es gibt eine unüberschreitbare Schwelle und eine Differenz in der Qualität, wenn der betreffende Zustand physisch ist; wenn er eine Krankheit ist. Wenn der Körper der Grund ist, “entblösst mich der Eindringling exzessiv. Er dringt aus mir aus, exportiert mich, enteignet mich.” (Nancy, p. 42.)
“Der Eindringling ist kein anderer als ich selbst und der Mensch an sich. Nicht ein anderer als derselbe, der nie aufhört, sich zu verändern, gleichzeitig geschärft und erschöpft, entblösst und überausgerüstet, ein Eindringling in der Welt, ebenso wie in sich selbst, ein beunruhigendes Anschwellen des Fremden connatus mit überschüssiger Unendlichkeit.”(Nancy, p. 45.) Es ist nicht durch Zufall die letzte Seite Jean-Luc Nancys verstörendem kleinem Buch: sie zeigt das Ende eines Lernprozesses an. Die schmerzliche Erkenntnis des eigenen Ursprungs im Anderen, die Unmöglichkeit das Identitätsprinzip beizubehalten (ausser durch den Gebrauch Gewalt) und das Aufgeben der Genealogie.
Ebenso wie man das Leben nicht exakt verorten kann, ausser um zu sagen wo die Bedingungen dafür nicht mehr gegeben sind, kann man auch die Identität nicht verorten, obwohl man ihre Grenzen wahrnehmen kann. Es ist als ob der Raum der Identitäten vage und undefinierbar bliebe, ausser des Zwischenträgers (der Schranke), den sie anzeigt ohne in der Lage zu sein, ihn definieren zu können und der nichts in sich selbst ist, aber der, durch sie, provisorisch nachgezeichnet werden kann: Leben/Tod, Identität/Nicht-Identität: ”Was sich zumindest ereignet ist dies: Identität wird zu Immunität; das eine ist mit dem anderen identifizierbar.” Interveniert die Immunität in die Identität? “Die alten Viren, die schon immer lauerten...” (Nancy, p. 33.) Sie kommen nicht unbedingt aussen. Sie geraten in Bewegung durch das karma. Denn nichts wird auf selbe Weise wiederholt, nichts wird auf identische Weise beibehalten. Alles wird in jedem Moment durch die neuen Umstände in einen neuen Zyklus versetzt, auch die Viren.
“Eine gemeinsame Zukunft in der Sprache”
Jean-Luc Nancy's Zeugnis zeigt, wie sehr die Übersetzung – die in der intimen Dimension dem abgrundtiefen Risiko seiner Enthüllung verbunden ist – selbst vom Körper abhängig ist. Sie ist ein Versuch die Grenzen des letzteren zu überschreiten, in anderen Worten die des Gegebenen (ob es nun aufgepfropft ist oder “natürlich”). Aber alles kommt uns woanders zu: es ist dieses Anderswo in uns, das unseren belebten Körper konstituiert und durchquert; es ist unsere eigene Andersartigkeit die die Übersetzung beherrscht und ihre Grenzen darstellt. Kein transzendenter Rückgriff ist noch möglich und die “Grundlagen” der Vernunft und Unvernunft sind dieselben. Die Übersetzung, wie das Verständnis sind daher unmöglich, wenn man einer transzendentalen Position ausgeht (etwa wie “amerikanische Werte” statt “Interessen”, wie in Veena Das´ Beispiel) und der Universalisierung des eigenen Modells (einer totalisierenden Hegemonie). Sie wird nur möglich als Teilnehmerin eines “Projekts in dem es auch um den “Übersetzer”/ die “Übersetzerin” geht, und das keine Objektbeziehung eines Subjekts darstellt, das sein Objekt beherrscht (einen Text). Im Gegenteil, wird die Übersetzung nur möglich, wenn das “Original” und der Übersetzer dadurch verändert werden, und wenn das Ergebnis (das e) mit dem “Original” koexistiert, in der Bedeutung verschoben und verändert , in einer Beziehung der unendlichen Übersetzung oder “übersetzenden” Spannung, die konstant ist und Universen erschaffen kann.
Wie kann
man also eine politisch-öffentliche Dimension mit einer intimen meditativen
Dimension verbinden, eher als sie zu übersetzen, die sich daran machen würde, die
Welt zu verändern, angefangen mit einem selbst: sie durch die Befreiung vom
Selbst und die Dezentrierung seiner selbst verändern?
In den Augen des stereotypischen Westlers, der einer Politk die mit Macht
verknüpft ist, besessen ist, gibt es keine mögliche Brücke, da das Ich, das
Ego, das Subjekt niemals in Frage gestellt werden können ausser durch die
Enteignung des Bürgers und dadurch, ihm politischen, staatsbürgerlichen, und
sozialen Einfluss vorzuenthalten. Ist das Politische ohne Metaphysik des Subjekts
denkbar? Kann man nicht eine Staatsbürgerschaft erfinden, die auf einer anderen
Konfiguration der Subjektivierung beruht? Es ist wahr, dass dies oft versucht
wurde und es gibt immer noch Versuche das Subjekt als verdünnt und ziemlich
verstreut und auf einer kommunalen Konfiguration beruhend zu denken, (Marcos in Chiapas; einige Formen des
Kommunalismus) das als
Multikulturalismus (und als apartheid
koexistierender Kulturen) gewürdigt wird – durch Anerkennung.
Aber so wie die Scham sich einstellt, wenn es darum geht, das Intime zu
entblössen, kann man auch stark eine gewisse Inadäquatheit und sogar einen
Unglauben spüren wenn die politische Dimension eines individuellen Aktes des
Selbstverlusts artikuliert wird. Trotzdem ist dieses Abenteuer das als die
Übersetzung eines Kontextes in einen anderen beschrieben werden könnte,
punktuell in verschiedenen Graden und äusserst verschiedenen Weisen versucht
worden, sowohl Individuen (W.
Benjamin, M.K. Gandhi und L. Wittgenstein, unter anderen) als auch
Bewegungen (der Befreiungstheologie) durch die die Frage des Säkularismus, im
engen Sinne, obsolet gemacht wird und die der Zeitlichkeit notwendig
überarbeitet wird. Denn eine Intervention in die politische Sphäre durch intime
Vermittlung setzt auch eine nicht-schicksalhafte multiple Verantwortung voraus
und eine zusammengesetzte Zeit, die aus verhedderten alternativen Geschichten
besteht: die karmische Zeitlichkeit der Nicht-Determiniertheit, im Gegensatz
dazu, was dem karma und seinem
begrifflichen Kontext in Sachen “Schicksal” zugeschrieben wurde. Auf diesem
letzten, lebenswichtigen Horizont, der einfach ein Raum des Lebens ist, spielt
sich die letzte Form des Ausdrucks und die letzte Sprache – die Übersetzung –
ab. Was die Sprache betrifft, kann es nur wenige geben, die nicht schon (in)
Übersetzung sind, da es kein ursprüngliches Original gibt, es sei denn jemand
erfände eine Offenbarung. Diese hat in jedem Fall nur dazu gedient - die
aufeinanderfolgenden Wellen der Übersetzung einzudämmen, die jenes
ursprüngliche Exil des Selbst begleiten, das jede Kultur darstellt. [33]. Der Verweis
auf die Tradition wurde auch auf diese Weise verwendet – um immer
eine Kontinuität in der Diskontinuität (wiederzu)erkennen.
Es ist eine Sache zu behaupten, dass jede Kultur übersetzbar ist (ein demokratischer Standpunkt), oder dass jede Kultur intrinsisch unübersetzbar ist (der Kampf der Kulturen): beide Positionen lassen sich auf eine einzige fundamentale Dichotomie zurückführen. Es ist eine andere, zu erkennen dass jede Sprache, Kultur in sich selbst ein Versuch der Übersetzung, d.h. Äusserung ist. Es ist nur diese Form und nur diese Dynamik der permanenten Übersetzung, die eine “gemeinsame, wechselseitige Zukunft in der Sprache eröffnen können”[34]. Eine "gemeinsame Zukunft” bedeutet auch die gegenseitige Abhängigkeit aller Lebensformen; es bedeutet, sich nicht selbst in die Mitte zu stellen; und es bedeutet auch eine geteilte Beziehung mit dem Tod. Sie wird durch die Konstruktion einer Bürgerschaft und durch den Typ Ego, Selbst und Subjekt, implementiert, die zu kultivieren/kultiviert sind.
Es gibt eine offensichtliche Ähnlichkeit zwischen der These der allgemeinen Unübersetzbarkeit und der der permanenten Übersetzung, die aber nicht zu verwechseln sind. Die permanente Übersetzung setzt die ärgerliche Schwierigkeit und prinzipielle Unvollständigkeit jedes Versuchs der Übersetzung voraus. Sie ist die Tatsache sich selbst in Übersetzung zu befinden. Dies ist der Preis dafür, dass die Übersetzung dem Leben treu bleibt und seine Geste beibehält: sie vermeidet es ständig sich in den Stand der Gnade zu versetzen; das heisst, der Ausnahme; also der Endlichkeit. Der Tod für seinen Teil existiert in beiden, wenngleich nicht auf die gleiche Weise. Der Hypothese der Unübersetzbarkeit der Kulturen und Sprachen zufolge, die auch die der unausweichlichen Gewalt ist, ist er kein integraler Bestandteil des vitalen Zyklus, sondern er interveniert darin als Ergebnis-Ziel, als einziges gewisses Resultat der Wahl des Unübersetzbaren: der grosse Manichäismus Gut und Böse, die Unfähigkeit, sich selbst an die Stelle eines anderen zu versetzen. Der Hypothese der permanenten Übersetzung zufolge, die niemals für selbstverständlich gehalten werden kann, und daher unter der Bedingung ihr dabei zu helfen, daran zu arbeiten die Bedeutung zu öffnen (eine oder mehrere neue Bedeutungen), um sich die Zeit zu nehmen, die Dezentrierung des Selbst zu akzeptieren, und den Standpunkt der anderen Person einzunehmen[35] – der Tod ist ein Teil des Zyklus und wird im Allgemeinen nicht mit einem unvorstellbaren Exzess an Gewalt zugefügt. Zwischen beiden (die Variante der Übersetzbarkeit ist nicht logischerweise autonom) gibt es eine ganze Palette; aber es gibt auch eine Wahl. Es gibt Grade Übersetzung und Übersetzbarkeit. Niemand, keine Nation ist wahrscheinlich untrennbar mit einem der beiden verbunden ist, auf dieselbe Weise, wie niemand gefeit vor (dem Gebrauch ) Gewalt ist. Die permanente Übersetzung bedeutet auch, dass keine Geschichte zum Stillstand gebracht wurde.
Aber lassen wir uns eins ganz klarstellen: jede(r) ist eine Übersetzerin, die für immer ist. Übersetzer der Welt: noch eine Anstrengung!
* Der Teil dieses Textes, der mit Jean-Luc Nancy's L'Intrus zu tun hat wurde als "La lezione del karma di Jean-Luc Nancy" in Ou. Rifflessioni e Provocazioni, Vol. X, No. 2, 2000 (Edizioni Scientifiche Italiane), Atti del Convegno Invasioni di Filosofia (Cosenza, 20-22 July 2000), ed. F. Dionesalvi and F. Garritano, pp. 59-67 veröffentlicht.
** “Wir werden ” ist der Titel eines Textes, der in Femmes sujets des discours 2, CEDREF, 1990, pp. 37-39 veröffentlicht wurde. Der Grund, warum ich mich hier darauf beziehe ist, weil er mich zum Ende der 1980er Jahre zurückbringt, als ich begann das Thema mit der Philosophin Eva Meyer aus Berlin zu diskutieren, mit der Sinologin und Philosophin Maja Milinski aus Ljubljana, und mit der Schriftstellerin Ilma Rakusa aus Zürich. Die daraus entstandene gemeinsame Arbeit wurde im November 1989 veröffentlicht, in der handgetippten Ostberliner Zeitschrift Verwendung, als "Übertragen, sagt sie. Ein Litteraturkvartett". Der Text 1990 "Wir werden ", war einer der Meilensteine, die einen anderen Weg in dieselbe Richtung markierten; und ein Austausch briefförmiger Essays fand im Anschluss daran statt, vor allem mit Ilma Rakusa, in Sprachen, die wir teilten, oder die uns teilten.
Veröffentlicht
in:
Rada Iveković,
“On Permanent Translation (We are in Translation)”, in Transeuropéennes 22, 2002, “Translating, Between
Cultures / Traduire, entre les cultures”,
pp. 121-145.
[1] Dies wird auf jeden Fall in Jean-Luc Nancys Versuch vorgeschlagen, sich selbst in L’Intrus, Galilée, Paris, 2000.in Übersetzung zu begeben
[2] Jean-François Lyotard, Le Différend, Minuit, Paris, 1983.
[3] Veena Das, Critical Events. An Anthropological Perspective in Contemporary India, Oxford University Press, Delhi, 1995.
[4] See Jean-François Lyotard, L’Inhumain. Causeries sur le temps, Galilée, Paris, 1988.
[5] Le Sexe de la nation, Eds. Léo Scheer, Paris 2003.
[6] Ich möchte Veena Das dafür danken, mich zum Thema zurückgebracht zu haben über das wir über die Jahre hinweg informell gesprochen haben. S. a. Veena Das, "Violence and Translation", und "The practice of organ transplants: networks, documents, translations" in Margaret Lock, Alan Young, Alberto Cambrosio (eds.), Living and Working with the New Medical Technologies. Intersections of Inquiry, Cambridge University Press, pp. 263-287. Der hier veröffentlchte Text ist zum Teil eine Reaktion auf ihre Ideen und unsere Diskussionen..
[7] This is the real difference between avidyâ and prajñâ.
[8] J.-L. Nancy, L'"il y a" du rapport sexuel, Galilée, Paris, 2001, p. 52.
[9] Op. cit., p. 17.
[10] Op. cit., p. 43.
[11] Vom brahmanischen Standpunkt aus erläutert die Taittirîya Upanišad die Theorie der kośa, oder der Hüllen der Identität. Die inneren Tiefen des Menschen, die sowohl aus Bewusstsein als auch aus Wissen bestehen werden mit dem Höchsten gleichgesetzt; jede ist in der anderen impliziert. Die äussere Hülle, welche die gröbste ist, ist körperlich und ist auch jene die, da sie die materielle Basis darstellt, der Ursprung aller anderen ist (Umkehrung).’ aussen nach innen erkennt die Taittirîya folgende Hüllen: annamaya, bestehend aus Nahrung (Materie der Körper) prânamaya, bestehend aus Atem; manomaya, bestehend aus dem Geistigen oder Gedanken (manas: mens [Latin], "mind"); vijñânamaya, bestehend aus Bewusstsein (das nichts mit dem Ego zu tun hat) ; ânandamaya, bestehend aus ânanda, Befriedigung-ohne-Bedürfnisse oder Zufriedenheit, in einem bestimmten Sinne geht diese Ebene der Befreiung voraus, mokša, der nichts gesagt werden kann, zumindest auf der subjektiven Ebene. Jede kośa spielt die Rolle eines ultimativen Horizonts der Befreiung für die vorhergehende, aber sie bewegt sich, wenn ihr näher gekommen wird, in beide Richtungen. Absolute Befreiung kann nur in relativen Begriffen gedacht werden. Wenn wir uns auf dem Weg zur Erlösung dem Zentrum des Herzens nähern, ( in der yoga Terminologie ist das Herz auch der Sitz der Gedanken) wird die relative Subjektivität zunehmnd in Nichtsheit aufgelöst und verschwindet. Je näher wir mokša kommen, innerhalb des "Zufluchtsorts des Herzens", desto weniger sind wir in der Lage über Subjektivität jîva (der Einheit des individuellen Lebens) usw. zu reden. Im Bezug auf Taittirîya and other Upanišads, s.a Carlo della Casa, Upanišad, U.T.E.T., 1976, pp. 281-302, oder The Principal Upanišads (trans. and ed. S. Radhakrishnan), George Allen and Unwin, London, 1953, pp. 525-565. Für einen Teil der Übersetzung s.a.: "Taittîriya Upanisad", in Le Veda. Premier livre sacré de l'Inde, Vol. 2, ed. Jean Varenne, Marabout Université, Paris, 1967, pp. 670-683. Auch: Kausitaki Upanishad, Svetasvatara Upanishad, Prashna Upanishad, Taittiriya Upanishad (trans. L. Renou, A. Silburn, J. Bousquet, Em. Lesimple), one volume, Librairie d'Amérique et d'Orient, Paris, 1978.
[12] J.-L. Nancy, op. cit., p. 45-46.
[13] S.a. die Spezialausgabe Ou. Rifflessioni e Provocazioni, Vol. X, N°. 2, 2000 (Edizioni Scientifiche Italiane), Atti del Convegno Invasioni di Filosofia (Cosenza, 20-22 July 2000), ed. F. Dionesalvi and F. Garritano.
[14] Alain Brossat, "Métissage culturel, différend et disparition", in Lignes, N°. 6, "Identités indécises", October 2001, pp. 28-53.
[15] Jean-Luc Nancy, "Eloge de la mélée", in Transeuropéennes, N°. 1, Autumn 1993, pp. 8-18.
[16] Veena Das,"Violence and Translation", Anthropological Quarterly, Vol. 75, n. 1, Winter 2001, pp. 105-112, or http://www.ssrc.org/sept11/essays/das.htm
[17] Slavenka Drakulić, Hologami straha, GZH, Zagreb, 1987, & Holograms of Fear, W.W.W. Norton & Company, 1992. Dies ist ein fiktionalisierter Bericht einer besonders dramatischen Nierentransplantation.
[18] Jean-Luc Nancy, L'Intrus, p. 42. Die Seitennummern der folgenden Zitate werden in diesem Text angegeben.
[19] R. Iveković, "Women, Nationalism and War: 'Make Love Not War'", in Hypatia, Vol. 8, N°. 4 (autumn 1993), Spezialausgabe zum osteuropäischen Feminismus ed. by Nanette Funk, pp. 113-126.
[20] R. Iveković, Pregled indijske filozofije ("An Outline of Indian philosophy"), Institut za filozofiju, FF, Zagreb, 1981.
[21] Romano Màdera, L'alchimia ribelle. Per non rassegnarsi al dominio delle cose, Palomar, Bari, 1997.
[22] Einige der Ideen, die hier vorgestellt werden erschienen zum ersten Mal in anderem Kontext, in R. Iveković, "La violenza della partizione", in aut-aut N° 293-294, 1999, pp. 68-78c.
[23] Ich glaube, dass es Ideen gibt, die keine Begriffe enthalten. Und die betreffende Idee existiert implizit (“ en creux”) in der indischen Philosophie, ebenso wie das was immer Objekt einer versuchten Repression oder Vermeidung war. S.a. R. Iveković, Orients. Critique de la raison post-moderne, Blandin, Paris 1992.
[24] Richard Lannoy, The Speaking Tree. A Study of Indian Culture and Society, Oxford University Press, London, Oxford, New York, 1971, p. 364.
[25] Gilles Deleuze, Félix Guattari, Mille plateaux. Capitalisme et schizophrénie, Minuit, Paris 1980, pp. 12-13.
[26] R. Iveković, "Lyotard est-il bouddhiste?", in Orients. Critique de la raison post-moderne, Blandin, Paris, 1992.
[27] J.-F. Lyotard, L'Inhumain. Causeries sur le temps.
[28] Fabio Ciaramelli, La distruzzione del desiderio. Il narcisismo nell'epoca del consumo di massa, Dedalo, Bari, 2000.
[29] Jean-Luc Nancy, Le Regard du portrait, Galilée, Paris, 2000.
[30] Chândogya Upanišad, 1.2 and ff.
[31] Brhadâranyaka Upanišad, 2.
[32] Kaušîtaki Upanišad, 3.3 ff., und andere Passagen der Upanishaden. Der Bericht schwankt und spricht manchmal nur vom Atem. Die Tatsache die Intelligenz einzuführen wie in diesem Fall ist interessant. Intelligenz ist ein Merkmal des Lebens als solchem.
[33] Fethi Benslama, Une fiction troublante. De l'origine en partage, éditions de l'aube, La Tour d'Aigues 1994.
[34] S.a. Veena Das, in der vorliegenden Ausgabe.
[35] S.a. I. Wallerstein, in der vorliegenden Ausgabe.