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06 2009

Was das lebendige Wissen vermag

Krise der globalen Universität, Klassenzusammensetzung und Institutionen des Gemeinsamen

Gigi Roggero

Übersetzt von Klaus Neundlinger

Wenn KundInnen des Mobilfunkbetreibers 3 die Homepage ihres Anbieters aufsuchen, um Online-Hilfeleistungen in Anspruch zu nehmen, hält dieser eine auf den ersten Blick kurios anmutende Überraschung für sie bereit. Nicht vom Unternehmen bezahltes technisches Personal antwortet nämlich auf die Anfragen, sondern – über ein frei zugängliches Forum – andere KundInnen. 3 vergibt für die besten Antworten kleine Preise und Aufmerksamkeiten: Handys werden gratis mit Guthaben versorgt bzw. verschenkt die Firma Mobiltelefone, die man ohnehin über eines der zahlreichen Tarifangebote gratis bekommen kann. Vor allem erstellt das Unternehmen monatliche Ranglisten, über die der Wert und die Leistungen der am Forum Mitarbeitenden anerkannt und öffentlich gemacht werden. Schickt man hingegen eine Nachricht, in der man zunächst das eigene Problem darstellt und den NutzerInnen für ihren Einsatz und ihre Kenntnisse dankt, dann aber vorsichtig darauf hinweist, dass 3 hier nicht bezahlte Arbeit für seine Zwecke nutzt, wird diese Botschaft nach wenigen Minuten aus dem frei zugänglichen Forum entfernt.

Diese Anekdote steht stellvertretend für ein unternehmerisches Modell, das nicht nur im Bereich der Telekommunikation zum tendenziell hegemonialen geworden ist. An ihm lassen sich die zentralen Elemente für eine Analyse des zeitgenössischen Kapitalismus aufzeigen. Zunächst tritt die ideologische Natur der Figur des Prosumers, wie sie in den postmodernen Erzählungen über die Wissensgesellschaft verbreitet wurde, deutlich hervor. Nicht der Arbeiter und die Arbeiterin sind es, die zu KonsumentInnen werden. Im Gegenteil, es ist der Konsum selbst, der zur Arbeit wird. Gerade durch die unbezahlte Arbeit der Subjekte der sozialen Kooperation wird die Senkung der Arbeitskosten ermöglicht, insofern innerhalb dieser Zusammenarbeit beständig Linien individualistischen Konkurrenzkampfes reproduziert werden. Darin liegt der Sinn der monatlichen Rankings auf der Homepage von 3. Die Subjekte werden also kontinuierlich an der gemeinsamen Aneignung dessen gehindert, was sie gemeinsam produzieren. Übrigens behaupten die umsichtigeren unter den neoliberalen Theoretikern des Netzes seit Jahren, das geistige Eigentum laufe Gefahr, Innovationsprozesse und die Wissensproduktion, d. h. die zentralen Ressourcen des zeitgenössischen Kapitalismus, zu blockieren. Wenn dieser überleben wolle, müsse er eine „horizontale Produktion, die auf den Allgemeingütern aufbaut“, ins Werk setzen.[1] Dadurch erlangen die von den Bewegungen der MedienaktivistInnen hochgehaltenen Besonderheiten ihren vollen Wert: gemeinschaftliche Nutzung, Zentralität der Strategien jenseits der privaten Aneignung, Vorrang der Kooperation gegenüber dem Wettbewerb auf dem freien Markt. Die politische Ökonomie des Wissens kann in dieser Sichtweise nur in einem „Kapitalismus ohne Eigentum“ überleben, wie er sich auf exemplarische Weise im Web 2.0 und in der Auseinandersetzung zwischen den Modellen von Google und Microsoft zu erkennen gibt: über die Vereinnahmung dessen, was gemeinschaftlich produziert wird. Das Problem besteht demnach nicht in der Reinheit des Willens, im kritischen Bewusstsein oder in der Moralität des je eigenen Handelns, also den Themen der Auseinandersetzungen unter den AktivistInnen der Open-Source- und der Free-Software-Bewegungen. Das eigentliche Problem ist die Ausbeutung. Über diesen Unterschied in der Herangehensweise zeichnet sich ein Marxscher Zug in den sozialen Bewegungen ab: im Übergang von der moralischen Kritik zur Kritik des kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisses.

Der Ausgang der Anekdote führt uns anschaulich die letzte Wahrheit des Kapitals vor Augen, das vielleicht ohne Eigentum auskommen kann, aber sicher nicht ohne Befehlsgewalt. Die einzigen Figuren, die von den Unternehmen (in diesem Fall von 3) noch bezahlt werden, sind die neuen Wächter und Spione in der „Fabrik des Wissens“. Es handelt sich um parasitäre Figuren, die nur die Funktion haben, die kontinuierliche Trennung der ArbeiterInnen von der kollektiven Befehlsgewalt über ihre Erzeugnisse zu kontrollieren und über die Ausbeutung bzw. die Dispositive der Segmentation innerhalb der sozialen Kooperation zu wachen.


Die neuen zeitlich-räumlichen Koordinaten des kognitiven Kapitalismus

Nachdem im Juli 2007 KundInnen in vielen amerikanischen Städten tagelang Schlange gestanden hatten, um das eben auf den Markt gebrachte iPhone zu kaufen, erschien in der New York Times ein Artikel, der bezeichnenderweise den Titel „Silent Hands behind the iPhone“ trug. Dort wird aufgezeigt, dass die Produktion nicht mehr auf das klassische Schema reduzierbar ist, das die Softwareentwicklung in der „ersten“ Welt und die materielle Fertigung der Einzelteile in der „dritten“ Welt ansiedelt. Die Unternehmen in Taiwan spielen eine fundamentale Rolle bei der technologischen Innovation, sie sind die stillen Hände (und Hirne), die hinter der Entwicklung des neuen „Schmuckstücks“ aus dem Hause Apple stehen. Darüber hinaus geht die auf amerikanischem Boden entstandene Planungsarbeit an dem Gerät zu einem Gutteil auf das Konto eingewanderter indischer IT-SpezialistInnen. Ein Beispiel dafür – und alles andere als ein Einzelfall – ist Sajit,[2] ein indischer Techniker, der über einen Body Shop in die USA gekommen ist. Dabei handelt es sich um ein System der Vermittlung von billigen Arbeitskräften auf dem globalisierten High-Tech-Markt.[3] Sajit gelangte nach Kalifornien und arbeitete zunächst bei einer Softwarefirma in Houston, bevor er dann – wie viele seiner Landsleute – als Taxifahrer beschäftigt war, einer Zwischenstation auf dem Weg zur erhofften Verwirklichung des eigenen „amerikanischen Traums“. Dies scheint jedoch nicht nur für Sajit, sondern auch für seine weißen KollegInnen im Silicon Valley immer schwieriger zu werden, die durch die Entscheidung ihrer Unternehmen, die Entwicklung ins indische Bangalore auszulagern, eine regelrechte Deklassierung erfahren mussten.

Diese kurzen Streiflichter mögen genügen, um das traditionelle Bild von der internationalen Arbeitsteilung in Frage zu stellen. Das Bild hat seine Wurzeln in den von Ricardo ausgearbeiteten Grundsätzen der politischen Ökonomie und in der Smithschen Analyse des Reichtums der Nationen und wurde später über die politisch-geographische Einteilung in „entwickelte“ und „rückständige“ Zonen verfestigt. Es ist geprägt von der Gewalt des Staates und des Kolonialismus und ging durch die Praktiken der Freiheit und der Bewegungen der lebendigen Arbeit in die Brüche. Es waren in der Tat die Kämpfe, die das Kapital dazu gezwungen haben, sich zu globalisieren, indem sie Grenzen überwunden und dessen räumlich-zeitliche Koordinaten einer Belastungsprobe ausgesetzt haben. Es ist mehr als zweifelhaft, ob man angesichts der Wandlung dieser Koordinaten weiterhin von einem „Postfordismus“ im Zentrum und einem „Fordismus“ an der Peripherie sprechen kann.[4] Einerseits hindert uns das beständige Wuchern von Sweatshops, d. h. von informellen Produktionssektoren oder ausbeuterischen Arbeitsbedingungen – nicht an der Peripherie des Planeten, sondern – in New York oder Los Angeles daran, solche Modelle der Frühgeschichte des Kapitalismus zuzuschreiben oder sie in entfernte Weltgegenden zu verbannen. Diese Frühgeschichte taucht nicht nur ständig in seinen ausgereiften Entwicklungsstadien wieder auf, sondern bildet auch seine Möglichkeitsbedingung in den angeblichen „Zentren“. Der Rückgang der Arbeitsplätze im Fertigungssektor im Westen ist darüber hinaus nicht mit der massenhaften Abwanderung der Fertigungsstätten in Länder wie China zu erklären. Der Grund dafür liegt vielmehr in einer „Steigerung der Produktivität der Industriearbeit. In China ist die Zahl der Arbeitskräfte in der Fertigung sechsmal höher als in Amerika, doch erzeugen diese in Geldwert ausgedrückt nur halb so viele Industriegüter wie die Vereinigten Staaten. Darüber hinaus geht auch in China, in Singapur, in Südkorea oder Taiwan seit Beginn der 1990er Jahre die Zahl der Industriearbeitskräfte zurück.“[5]

Die räumlichen und zeitlichen Grenzen werden demnach auseinander genommen und auf gänzlich neuen Koordinaten wieder zusammengesetzt. Sie lösen sich zwar auf, aber sie vervielfältigen sich auch.[6] Während es kein geographisches Außen mehr gibt, erscheinen auf dem globalen Arbeitsmarkt unmittelbar Grenzen hinsichtlich des Lohns und andere Dispositive zu dessen Segmentierung. Die Dialektik zwischen Zentrum und Peripherie ist abhanden gekommen. Von Shanghai bis Venedig, von Hyderabad bis Silicon Valley, von Sao Paolo bis Johannesburg kann man – mit extremen Abstufungen natürlich – das gesamte Spektrum der zeitgenössischen Produktions- und Arbeitsformen antreffen. Dennoch gilt es, diese Feststellung zu präzisieren. Dass es vor allem aufgrund der Mobilität der lebendigen Arbeit keine Dialektik zwischen Zentrum und Peripherie mehr gibt, bedeutet nicht, dass diese durch eine Ebene der Ununterschiedenheit abgelöst wurde. Vielmehr beschreibt dieser Prozess das Nebeneinander dessen, was einmal „erste“ und „dritte“ Welt genannt wurde, innerhalb der zeitlich-räumlichen Koordinaten der Metropole. „Erste“ und „dritte“ Welt wandeln sich insofern von geographisch bestimmten zu unmittelbar globalen Orten. An diesen Orten leben Zentrum und Peripherie zusammen und bestimmen sich ständig neu. Man trifft auf „entwickelte“ und „rückständige“ Produktionsformen, verschiedene Weisen der Entnahme des relativen und des absoluten Mehrwerts, Prozesse der reellen und der formellen Subsumtion, die – um es mit dem Marx der Grundrisse zu sagen – von einem neuen Paradigma der Akkumulation „erleuchtet“ werden. Man hat den zeitgenössischen Kapitalismus mit dem Adjektiv kognitiv versehen, um dieses neue Paradigma zusammenzufassen.[7]


Kreative Klasse und Prekarität: Zur Kritik der Politik der Anerkennung

Wenn wir von kognitiver Arbeit sprechen, müssen wir eine weitere Präzisierung einführen. Ich möchte hier zwei Begriffe in ein Verhältnis der Spannung zueinander setzen, die sich teilweise überlagern, teilweise aber auch unterscheiden: einerseits die „Kognitivisierung“ verstanden als umfassender Transformationsprozess, als Feinstruktur und erhellendes Moment, über das die gesamte Zusammensetzung der Arbeit und die neuen Prozesse der Hierarchisierung verständlich werden; andererseits die kognitive Arbeit als Begriff für spezifische Figuren der Arbeitswelt. Es bedeutet keineswegs dasselbe, ob man in einer Fabrik oder an einem universitären Forschungsinstitut arbeitet. Dennoch weisen diese beiden Tätigkeiten einen gemeinsamen Zug auf, um den herum die kognitive Arbeitsteilung organisiert ist: den Zweck und das Ziel, Wissen zu produzieren, permanente Innovation hervorzubringen und den technologischen Fortschritt in ökonomischen Wert umzusetzen. Innerhalb dieser Transformation neigt selbst die Definition der „skill“, der Fertigkeit dazu, ihren deskriptiven Wert abzustreifen, um eine ausschließlich der Teilung, d. h. der Kontrolle dienende Funktion zu übernehmen. Man denke in diesem Zusammenhang – um noch einmal auf den globalen Kreislauf der High-Tech-Produktion zurückzukommen – an den bereits erwähnten Fall der eingewanderten indischen IT-SpezialistInnen wie etwa Sajit. Seine Einordnung als high skilled oder low skilled worker hat weniger mit der von ihm ausgeübten Tätigkeit oder mit seinen Fähigkeiten zu tun, sondern zunächst mit dem Interesse der Unternehmen, die migrantischen ArbeiterInnen über die Visa-Politik in einem Zustand der Erpressbarkeit zu halten. Auch die skills haben also die Funktion, die Grenzen hinsichtlich des Lohns zu vervielfältigen und die Segmentation der globalen Arbeitskraft voranzutreiben.

Angesichts dieser Situation ist der Erfolg, den Kategorien wie die der „kreativen Klasse“ in bestimmten Bereichen der Bewegung hatten, keineswegs nachvollziehbar. Begriffe dieser Art wurden offensichtlich von BeraterInnen des kapitalistischen Vereinnahmungsapparates mit der expliziten Absicht geschaffen, Hierarchien und künstliche Grenzen innerhalb der Metropole zu errichten.[8] Auch wenn man Begriffe wie Kognitariat, Hacker-class oder den historisch aufwendigeren Terminus der Mittelschicht bemüht, ändert das nichts an der Sache. Problematisch daran ist, dass man davon ausgeht, die Definition der Subjektivitäten sei einfach aus der Struktur des Arbeitsmarktes abzuleiten. Da es sich um Analysen handelt, die sich mit dem Entstehen der Dynamiken der „Intellektualisierung“ der Produktion auseinandersetzen, glauben manche auch, die Definition der Subjektivitäten aus den Schichtungen herleiten zu können, die sich durch die Verteilung des gesellschaftlichen Wissens, das in die Lohnarbeit eingegangen ist, herausgebildet haben. Obwohl diese Formulierungen untereinander große Unterschiede aufweisen, handelt es sich dennoch bei allen um den Versuch, das Subjekt der sozialen Transformation ausgehend von einer Analyse der kapitalistischen Segmentationen der sozialen Zusammensetzung zu erfassen. Dieses Subjekt, legen die Analysen nahe, sei nichts anderes als die soziologische Gussform der kapitalistischen Segmentation. Es bliebe also nur das Problem bestehen, sich dieses Umstandes bewusst zu werden, wie etwa in der bereits erwähnten Debatte zwischen open-source- und free-software-VerfechterInnen. Dabei wird ausschließlich auf die ArbeiterInnen Bezug genommen, die in den Sektoren tätig sind, in denen Wissen besonders intensiv zum Einsatz kommt, von der Kunst zur Forschung, von der Bildung zur Finanz. Sowohl Richard Florida, der wahre globale Berater des kapitalistischen Vereinnahmungsapparates, als auch viele AktivistInnen versuchen diesen Figuren das Bewusstsein einzuimpfen, sie seien die Träger einer neuen Konzeption von Arbeit und daher BesitzerInnen eines „Humankapitals“, das imstande sei, zur Entwicklung und Dynamik der postfordistischen Ökonomie entscheidend beizutragen. Diese AutorInnen begnügen sich damit – mittels der Milliarden der multinationalen Konzerne oder der politischen Techniken des kommunikativen Imaginären –, das zu enthüllen, was soziologisch bereits gegeben ist und durch die kapitalistischen Hierarchien technisch hergestellt wurde. Also all das, was nur noch expliziter Anerkennung bedarf. Die Forderung nach Anerkennung impliziert jedoch, wie man weiß, immer die Anerkennung des Subjekts, an das sie sich richtet. Folglich wohnen wir einerseits der Naturalisierung der Schichtungen innerhalb des Arbeitsmarktes bei; auf der anderen Seite werden wir Zeugen der Herausbildung der Identität der einzelnen Segmente, und zwar auf der Basis der Stellung, die sie innerhalb der kapitalistischen Hierarchien einnehmen. Der Begriff der Klasse wird auf diese Weise vom Widerstand und von den Kämpfen getrennt, die ihn doch bestimmen sollten. Die Konflikte verschwinden nicht, sondern werden einfach zum Ergebnis einer nicht näher spezifizierten Bewusstseinsbildung, die eine Verminderung des Abstandes zwischen beruflicher Identität und sozialem Status bewirken soll.

Vor diesem Hintergrund erkennen wir den beunruhigenden Schatten eines fanatischen Strebens nach Gerechtigkeit, der sich über die Zusammensetzung der prekären Arbeit legt und auch ihre politischen Bewegungen verdunkelt. In Krisenzeiten ist dies keineswegs eine Neuheit: Immer schon war es eine erfolgreiche Strategie, das Schafott für die Korrupten zu fordern, um ein System zu retten, das selbst korrumpiert. Auf diese Weise schuf man stets ein Ventil für diejenigen, die ihre eigenen Fähigkeiten und Bedürfnisse nicht entsprechend gewürdigt sahen. Dieser Schatten drückt sich heute im Bereich der „Kreativen“ über die Sprache der „Meritokratie“ aus, also über die Frustration, die dadurch entsteht, dass dem „Humankapital“ die Anerkennung des Wertes seiner Titel und Ausbildungszertifikate verweigert wird. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um irgendein „falsches Bewusstsein“ oder eine einfache Ideologie, wenn man darunter nicht ein Dispositiv der Organisation des Realen versteht. Der reale Kern dieses subjektiven Ausdrucks von Frustration ist in der Tat ein Prozess der Deklassierung. Dahinter steht die Frage – ein weiteres Thema, das einer Untersuchung bedürfte –, wie der Wert der kognitiven Arbeit produziert und vereinnahmt wird und wer über die Umstände und Art ihres Einsatzes verfügt. Die „Meritokratie“ ist demnach nichts anderes als das System der praktischen rhetorischen Rechtfertigung der Künstlichkeit und Willkürlichkeit des Wertmaßes. Die Forderung nach Anerkennung des eigenen „Wertes“ als Individuum oder Klassensegment läuft Gefahr, in die Legitimierung und die Stärkung der hierarchischen Strukturen umzuschlagen, die sich durch dieses künstliche Wertmaß gebildet haben. Anders ausgedrückt, das Problem besteht nicht in der verweigerten Anerkennung der Leistungen, sondern in der Durchsetzung des Wertgesetzes und der Lohnarbeit, die heute die Form der Prekarität annimmt.

Nachdem wir die Sprache des fanatischen Strebens nach Gerechtigkeit und der „Meritokratie“ einer Kritik unterzogen haben, um ihren realen Kern zu erfassen, ist es notwendig, sich die Frage zu stellen, warum auch die Diskurse über die Prekarität nicht über einen bestimmten Punkt hinausgelangen. Oft wurden wir zu Zeugen, wie diese Diskurse gefährlich in die Sprache eines einzelnen Segments der Lohnarbeit abgeglitten sind, der „kreativen Klasse“ etwa oder der deklassierten Mittelschicht, die ausschließlich damit beschäftigt ist, sich gegen die Prozesse der Proletarisierung zu wehren. Dies ist aber nichts anderes als die Rhetorik eines „beherrschten Teils der herrschenden Klasse“, wie Andrew Ross Bourdieu paraphrasierend meint.[9] Nachdem wir nun verknöcherte Kategorien aus der Grammatik der Linken und der marxistischen Orthodoxie produktiv in Zweifel gezogen haben, geht es darum, sie in einem definitiv gewandelten Rahmen von der Wurzel her neu zu denken. „Klasse“ und „Arbeit“ müssen nun als Begriffe innerhalb des kognitiven Kapitalismus und seiner Krise befragt werden. Ansonsten läuft man Gefahr, dass die Prekarität zur beschönigenden Vokabel verkommt und den Blick auf die harte Realität der Ausbeutungsverhältnisse eintrübt, so wie der Neoliberalismus von den Bewegungen oft dazu verwendet worden ist, den realen Feind nicht beim Namen nennen zu müssen: das Kapital.


Die Produktion des lebendigen Wissens in der edu-factory

Nachdem wir die neuen zeitlich-räumlichen Koordinaten des Kapitals und den Wandel seiner Paradigmen skizziert haben, müssen wir nun noch einmal Marx „in die verborgne Stätte der Produktion“ folgen. Dort wird nämlich „[da]s Geheimnis der Plusmacherei“ enthüllt, und es „wird sich zeigen, nicht nur wie das Kapital produziert, sondern auch wie man es selbst produziert, das Kapital.“[10] Innerhalb der Prozesse der Kognitivisierung bedeutet dies, der Produktion des lebendigen Wissens nachzugehen.[11] Diese Kategorie verweist direkt auf den Marxschen Begriff der lebendigen Arbeit, der sich über deren Verhältnis zur toten Arbeit definiert, also der im System der Maschinen vergegenständlichten Tätigkeit. Die Kategorie des lebendigen Wissens hat den Zweck, die neue Qualität der kognitiven Arbeitskraft und, wenn man so will, die Möglichkeiten der Neubestimmung des traditionellen Widerspruchs zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen aufzuzeigen.

Es ist offensichtlich, dass auch für Marx das Wissen hinsichtlich des Verhältnisses von lebendiger und toter Arbeit eine zentrale Rolle spielt. Dennoch erfährt es aus seiner Sicht über die Vergegenständlichung im Kapital letztlich eine vollständige Trennung von der ArbeiterIn, die es produziert: „Die Wissenschaft als das allgemeine geistige Produkt der gesellschaftlichen Entwicklung, erscheint hier ebenso dem Kapital direkt einverleibt (die Anwendung derselben als Wissenschaft, getrennt von dem Wissen und Können der einzelnen Arbeiter, auf den materiellen Produktionsprozess), und die allgemeine Entwicklung der Gesellschaft, weil sie vom Kapital der Arbeit gegenüber ausgebeutet wird, als Produktivkraft des Kapitals gegenüber der Arbeit wirkt, erscheint als Entwicklung des Kapitals und umso mehr, da für die große Mehrzahl die Entleerung des Arbeitsvermögens gleichen Schritt damit hält.“[12]

Die Kategorie des lebendigen Wissens beschränkt sich nicht darauf, die zentrale Rolle zu beschreiben, die die Wissenschaft und die verschiedenen Wissensformen im Produktionsprozess einnehmen, sondern lenkt den Blick auf ihre unmittelbare Vergesellschaftung und ihre direkte Einverleibung in die lebendige Arbeit.[13] Die geistige Arbeit – deren Zusammensetzung seit den 1960er und 1970er Jahren von den Kämpfen um den freien Zugang der Massen zur Bildung und der Flucht aus den Fabriken und der Befreiung von den Ketten der Lohnarbeit geprägt war[14] – ist einerseits vom Unglück getroffen, selbst produktive Arbeit zu werden; andererseits ist ihm aber auch die Tendenz eigen, sich vom automatisierten System der Maschinen zu emanzipieren.[15] Der General Intellect vergegenständlicht sich demnach (zumindest in zeitlich stabilen Prozessen) nicht mehr im toten Wissen, sondern bildet sich vornehmlich in der sozialen Kooperation und in der Produktion lebendigen Wissens heraus. Er ist nicht von den Subjekten zu trennen, aus denen er sich zusammensetzt. Um es in anderen Begriffen auszudrücken: Das variable Kapital saugt tendenziell das fixe Kapital in sich auf. Insofern zwingt die Notwendigkeit, das lebendige Wissen auf abstraktes Wissen zu reduzieren (d. h. es messbar zu machen), das Kapital dazu, vollkommen willkürliche, künstliche Zeiteinheiten durchzusetzen, von denen die Universität und das Bildungssystem eine ganze Bandbreite anzubieten haben. Der Überschuss wird also zum konstitutiven Bestandteil der kognitiven Produktion. Die Krise des Wertgesetzes nimmt in den Bewegungen konkreter Figuren Gestalt an, über die permanente Spannung zwischen Autonomie und Unterordnung, zwischen Selbstinwertsetzung und enclosure.

Vor diesem Hintergrund verstehe ich die Produktion des lebendigen Wissens – angeregt von einem wichtigen Buch von Jason Read[16] – in der doppelten Bedeutung des Genitivs, d. h. einerseits als Herausbildung des lebendigen Wissens und andererseits als sein produktives Vermögen, und zwar nicht nur im Dienste des Kapitals, sondern auch in autonomer Weise. Anders ausgedrückt, in der verborgenen Stätte der Produktion erschließt sich die materielle Herausbildung des lebendigen Wissens im Spannungsfeld von Normalisierungsprozessen, kapitalistischer Vereinnahmung und Verwertung und Formen der Autonomie bzw. der einzelnen oder kollektiven Selbstinwertsetzung der lebendigen Subjekte der Produktion. Das Geheimnis „der Plusmacherei“, der Herstellung des Mehrwerts, liegt in der Produktion der Subjektivitäten. Von diesem Gesichtspunkt aus muss die Unterscheidung und vermeintliche zeitliche Aufeinanderfolge von Kämpfen gegen Ausbeutung und Kämpfen rund um Prozesse der Subjektivierung, wie sie Foucault nahe gelegt hat, heute vollkommen neu formuliert werden. Es gibt heutzutage keine Ausbeutung ohne die Erfassung, d. h. das Durchtrennen, der kooperativen Netze, die die Produktion des Gemeinsamen prägen. Die Kämpfe um die Produktion von Subjektivität und lebendigem Wissen sind also unmittelbar Kämpfe gegen Ausbeutung und umgekehrt. Besser gesagt, sie sind die konkrete Form, über die sich der Klassenkampf als zeitgemäß erweist.

Kann die Universität in diesem Rahmen als der privilegierte Ort betrachtet werden, um die Produktion des lebendigen Wissens zu untersuchen? Das transnationale Projekt edu-factory (www.edu-fatcory.org) geht davon aus, dass es so ist. Allerdings gilt es auch hier, zu präzisieren, angefangen beim Namen: Ist die Universität eine Fabrik? Natürlich nicht, wenn wir ihre konkrete Funktionsweise im Auge haben. Es gibt einen spezifischen und nicht reduzierbaren Unterschied zwischen der Universität und der tayloristischen Fabrik, zwischen der Produktion von Forschung und Lehre und der wissenschaftlichen Arbeitsorganisation über die Messung der einzelnen Tätigkeiten, die Geschwindigkeit der Ausführung und die Serialisierung. Wenn die Produktion von Wissen nicht messbar ist, es sei denn auf künstliche Weise, dann ist es klar, dass eine tayloristische Organisation (über Chronometer, Vorhersehbarkeit und Wiederholbarkeit der Bewegungen oder virtuelle Fließbänder) in diesem Fall nicht statthaben kann. Das Bild der Fabrik ist dennoch gerechtfertigt, wenn mit edu-factory das unmittelbare Produktivwerden der Universität gemeint ist, ihre charakteristischen Weisen, die lebendige Arbeit zu organisieren, zu kontrollieren und zu disziplinieren, ihre veränderte Rolle im zeitgenössischen Kapitalismus. Die Krise der modernen Universität, die mit der Auflösung der Dialektik von öffentlich und privat einhergeht, ist in der Tat unumkehrbar. Die Kategorien „Metropolen-Universität“ oder „global university[17] bezeichnen keine neue Phase. Sie liefern nur eine weitere Definition der Krise, indem sie das Spannungsfeld zwischen dem Überschuss des lebendigen Wissens und der kapitalistischen Vereinnahmung sichtbar werden lassen. Anders ausgedrückt, genau in dem Moment, in dem das Wissen im Produktionssystem und für die Formen der Kapitalakkumulation zentral wird, muss die Universität nicht nur auf die Rolle verzichten, die sie in der Moderne innehatte, sondern auch auf die Möglichkeit, die Funktion zu übernehmen, die einst von der Fabrik ausgefüllt wurde. Es geht nicht nur um ein Problem der räumlichen Organisation oder der Einführung eines Prinzips des Zusammenschlusses, das imstande wäre, die akademische Gemeinschaft zu retten, indem sie deren Übergang zur „Multiversity“ leitet. Die Universität kann als paradigmatisch für die zeitgenössischen Transformationen in genau dem Maß als paradigmatisch gelten, wie sie ihre Zentralität als Ort der Wissensvermittlung einbüßt. Anstatt einen neuen Ort zu besetzen, durchdringt sie den gesamten metropolitanen Zeitraum, bildet die neuen Formen der kognitiven Arbeit heraus und modelliert die Möglichkeiten der Organisation von Unternehmen. Die Vertriebswirtschaftlichung der Universität ist somit aufs Engste verflochten mit der Universitarisierung des Betriebs.[18]

Es geht darum, die politische Dringlichkeit zu begreifen, die in diesem Bild enthalten ist: Wie können wir uns in der Krise der Universität organisieren, die funktioniert, als ob sie eine Fabrik wäre? Wie ist der politische Kern zu bestimmen, der den Vergleich zwischen Universität und Fabrik als schlüssig erscheinen lässt, wenn man davon ausgeht, dass ihre jeweilige konkrete Funktionsweise und ihre zeitlich-räumlichen Koordinaten eigentlich miteinander nicht vergleichbar sind? Anders ausgedrückt: Wie kann das Problem der politischen Organisation nach dem Zusammenbruch ihrer traditionellen Formen, also der Gewerkschaft und der Partei, neu gedacht werden? Wie kann es vor allem gänzlich innerhalb der neuen Zusammensetzung der lebendigen Arbeit neu gedacht werden, innerhalb deren letztlich kein Außen mehr praktikabel erscheint?


Klassenzusammensetzung und Produktion des Gemeinsamen

Wenn hier von Überschuss die Rede ist, dann ist damit keineswegs eine ausschließliche Eigenschaft der kognitiven Arbeit oder der Wissensproduktion gemeint. Im Herzen der kapitalistischen Produktionsweise gibt es stets Kooperationsverhältnisse, die nicht nur Kapital produzieren, sondern auch reale Möglichkeiten, über es hinauszugehen. Das Problem besteht demnach darin, das Besondere an den zeitgenössischen Arbeitsformen im Kapitalverhältnis zu erfassen, bei dem die Herstellung von Wissen als Rohstoff für den Produktionsprozess und als Produktionsmittel im Mittelpunkt steht. Diese beständige Hervorbringung von Wissen ist nicht messbar, und doch wird sie stets gemessen, um auf künstliche Weise Knappheit zu erzeugen, wo eigentlich Reichtum und Fülle herrschen. Marx stellt in seinem berühmten Fragment über die Maschinen dar, was geschieht, wenn die konkrete Arbeit und ihre Quantität als beherrschendes Prinzip der Produktion verschwinden: „Die Entwicklung des capital fixe zeigt an, bis zu welchem Grade das allgemeine gesellschaftliche Wissen, knowledge, zur unmittelbaren Produktivkraft geworden ist, und daher die Bedingungen des gesellschaftlichen Lebensprozesses selbst unter die Kontrolle des general intellect gekommen, und ihm gemäß umgeschaffen sind.“[19] Für das Kapital wird die Möglichkeit, auch unter diesen Bedingungen noch die Arbeitszeit zu messen, zu einer Frage auf Leben und Tod. Das Wertgesetz muss in Kraft bleiben, obwohl es keine Gültigkeit mehr besitzt. Mit anderen Worten wird die Arbeitszeit, insofern sie nicht mehr das Maß der Produktivität ist, ausschließlich zur politischen Maßnahme der Ausbeutung.

„Der Diebstahl an fremder Arbeitszeit, worauf der jetzige Reichtum beruht, erscheint miserable Grundlage gegen diese neu entwickelte, durch die große Industrie selbst geschaffene.“[20] Der Überschuss muss also vom subjektiven Standpunkt her gesucht werden, in Begriffen des Widerstandes und der Trennung, d.h. in der Organisation der Autonomie des lebendigen Wissens. Er muss in den Subjektivierungsprozessen innerhalb der Klassenzusammensetzung aufgespürt werden. Diese vom Operaismus[21] geprägte Kategorie geht allerdings nicht von einer ursprünglichen Einheit der Arbeit aus, die vom Kapitalismus durchtrennt worden sei und deshalb wieder zusammengesetzt werden müsse. Auch gilt es vom operaistischen Standpunkt aus nicht, irgendein Bewusstsein freizulegen, um die Klasse an sich mit der Klasse für sich zu vereinen. Zwischen der technischen Zusammensetzung, die auf der kapitalistischen Gliederung und Hierarchisierung der Arbeitskraft beruht, und der politischen Zusammensetzung, verstanden als Konstitutionsprozess der Klasse als eines autonomen Subjekts, herrscht weder Symmetrie noch dialektische Umkehrung. Die Klasse existiert nämlich nicht unabhängig von den realen und kontingenten historischen Bedingungen ihrer subjektiven Herausbildung. Ihre Herausbildung ist gleichzeitig der Einsatz und die Möglichkeitsbedingung eines Konfliktes, und keine apriorische Gegebenheit. Von diesem Blickwinkel aus ist ein gefährlicher Kurzschluss zu beobachten, und zwar sowohl bei denen, die ausschließlich die technische Zusammensetzung im Auge haben und deshalb die Handlungsmöglichkeiten der Subjekte auf die Forderung nach Anerkennung der Leistungen beschränken, als auch bei denen, die sich die politische Zusammensetzung losgelöst von den Prozessen der Hierarchisierung vorstellen, die heute unter dem Namen der Kognitivisierung diskutiert werden. Im einen Fall wird der Käfig der Segmentierungen des Arbeitsmarktes legitimiert, während im anderen Fall eine bloß ideologische Abkehr von den realen Bedingungen stattfindet. In beiden Fällen geht die Marxsche Bestimmung des Kapitals als eines sozialen Verhältnisses verloren.

Der Begriff der Klassenzusammensetzung ist allerdings eine der Kategorien des Operaismus, die nicht in der Form, in der sie ursprünglich erdacht worden sind, wieder aufgenommen werden können. Einerseits steht dem das bereits erwähnte Ende der Fabrik als des zentralen Ortes nicht nur der Arbeitsorganisation, sondern vor allem als des Paradigmas der räumlich-zeitlichen Koordinaten für die Produktion von Subjektivitäten entgegen. Andererseits führt die wechselseitige Durchdringung von Leben und Arbeit dazu, dass die klassische Unterscheidung zwischen produktiver und nicht produktiver Arbeit unbrauchbar wird, nachdem die ArbeiterInnenklasse in ihrer Zentralität als politische Trägerfigur der produktiven Arbeit verschwunden ist. Diese Unterscheidung hatte für Marx jedoch nicht nur eine deskriptive Funktion, sondern diente auch dem Erkennen des Feindes. Es handelt sich also nicht um ein soziologisches Kriterium, sondern um ein Angriffsdispositiv. Da ersteres keine Bedeutung mehr hat, müssen wir auch letzteres radikal neu zu denken versuchen: Wie der beschriebene Fall des Mobilfunkanbieters 3 lehrt, entsteht die Produktivität nicht durch den Umstand, ob man für seine Tätigkeit bezahlt wird oder nicht, sondern durch die konfliktuale Beziehung zwischen der Produktion des Gemeinsamen und dessen Vereinnahmung.

Wo das Gemeinsame jedoch zur Grundstruktur der Organisation der gesellschaftlichen Kooperation wird, erhält es ein doppeltes Statut: Es ist zugleich das, was die lebendige Arbeit hervorbringt und was das Kapital vereinnahmt, die reale Grundlage eines neuen sozialen Verhältnisses und das Ziel der Akkumulation über die Rendite. Es ist also in eins tödliche Bedrohung und verzweifelt benötigte Ressource für einen Kapitalismus in der Krise. Das Gemeinsame, das sich über das Verhältnis zwischen Einheit und Vielheit bestimmt, muss vom Kapital beständig in die abstrakte Sprache des Wertes und des Maßes übersetzt werden. Die Fülle des Gemeinsamen muss in die leere Sprache des Universellen übertragen werden und hört auf diese Weise auf, Gemeinsames zu sein. Anders ausgedrückt, die Differenzen – die eine ihrem Wesen nach heterogene Zusammensetzung der globalen Arbeit formen – werden nicht negiert, sondern nach dem Prinzip des getrennten Nebeneinanders aufgegliedert, und zwar in dem Maße, wie die Singularitäten auf die Identität ihrer vorgeblichen Zugehörigkeit zurückgeführt werden (ethnisch, sexuell, territorial, zu dieser oder jener Gemeinschaft, zu dieser oder jener sozialen Gruppe, zu dieser oder jener Berufsgruppe usw.). Wenn wir noch einmal die klassischen Kategorien des Operaismus aufnehmen, die wir uns neu zu bestimmen vorgenommen haben, so können wir zunächst einmal festhalten, dass dies die technische Zusammensetzung ist, die den Prozessen des differenziellen Einschlusses auf dem Markt der kognitiven Arbeit Form verleiht. Es handelt sich um die kapitalistische Fassung der Antwort auf die Krise der Regierbarkeit, die durch die Kämpfe einer spezifischen politischen Zusammensetzung verursacht wurde. Innerhalb der technischen Zusammensetzung mangelt es nicht an Konflikten, doch besteht, wie wir gesehen haben, die Gefahr, dass man nicht über die Politik der Anerkennung hinausgeht, d. h. der Forderung nach einer eigenen Position – als Differenz – innerhalb der kapitalistischen Hierarchie. Der Wettbewerb unter den Differenzen wird in diesem Sinn zu einer Form der Neutralisierung des Klassenkampfes, der Erhaltung und Reproduktion der bestehenden Segmentierungen. Wir können deshalb die politische Zusammensetzung als einen Prozess der „Desidentifikation“[22] neu bestimmen, als Entwurzelung gegenüber der scheinbaren Natürlichkeit einer Position, die innerhalb der Mechanismen der differenziellen Inklusion eingenommen wird. Es geht um die Auflösung der technischen Zusammensetzung und die Neuzusammensetzung auf einer Kraftlinie, die ihre Bestimmung in der Produktion des Gemeinsamen findet. In diesem Sinn können wir von einem Klasse-Werden sprechen, als Einsatz in einem Kampfprozess, nicht als deren objektive Vorbedingung.

Auf dem Fehlen jeglicher Symmetrie zwischen technischer und politischer Zusammensetzung zu beharren heißt jedoch nicht, zu behaupten, dass diese beiden Kategorien vollkommen voneinander losgelöst sind. Als Prozesse werden sie in der Tat durch die vielfältigen Formen der Produktion von Subjektivitäten und durch die Mechanismen der kapitalistischen Verwertung gebildet und in ein Verhältnis der Spannung zueinander gesetzt. Dies bedeutet, dass die technische Zusammensetzung nicht nur durch die Herrschaft des Kapitals strukturiert wird, sondern ein zeitlich begrenztes Bild der Dynamik eines Konflikts darstellt und insofern stets offen für ihre eigene Subversion ist. Die politische Zusammensetzung wiederum ist per definitionem keineswegs vor korporatistischen Positionen oder neuen identitären Schließungen gefeit. Der Kern der Fragestellung besteht demnach darin, das offene und umkehrbare Verhältnis zwischen den beiden Prozessen in seiner Situiertheit und historischen Bestimmtheit zu erfassen. Auch die Kognitivisierung der Arbeit bringt die Spannung zwischen der durch das lebendige Wissen eroberten Autonomie und der beständigen Neugestaltung des kapitalistischen Kommandos zum Ausdruck. Sie entwirft eine Ebene, auf der die politische Zusammensetzung der technischen vorausgeht und diese bestimmt, jedoch nicht vollkommen von dieser trennbar ist. Dieses Verhältnis verliert also einerseits an Konturen und verkompliziert sich in dem Maße, wie es die räumlich-zeitliche Linearität des Verhältnisses zwischen ArbeiterInnen und Kapital nicht mehr gibt, das um die „fordistische“ Fabrik herum angelegt war; andererseits ist das Verhältnis gänzlich innerhalb des Konflikts zwischen Autonomie und Unterordnung, zwischen Produktion des Gemeinsamen und kapitalistischer Vereinnahmung angesiedelt.

Genau hier treffen wir auf das „Geheimnis der Plusmacherei“ und auf die reale Grundlage eines neuen sozialen Verhältnisses, das auf der Neuerfindung der Freiheit und der Gleichheit beruht. Um diese Grundlage segmentieren und befehligen zu können, muss das Kapital ständig das kooperative Vermögen des lebendigen Wissens blockieren – was anderes sind die Gesetze zum Schutz des geistigen Eigentums, die Prekarität oder die Figur der KontrollorIn, die wir im angeführten Beispiel der Firma 3 am Werk gesehen haben? Was anderes ist die zeitgenössische Krise als ein permanenter Bestandteil jener Finanzialisierung, die – weit davon entfernt, im Gegensatz zu irgendeiner „Realwirtschaft“ zu stehen – die adäquate und perverse Form eines Systems ist, das sich in der Vereinnahmung des Gemeinsamen reproduziert, d. h. aus der unumkehrbaren Abhängigkeit von seinem Todfeind seine Lebensgeister bezieht?[23] Durch das, was einige TheoretikerInnen aus dem Umfeld des „Economist“ den „Kommunismus des Kapitals“ definiert haben, erhält der Widerspruch zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen in völlig neuen Begriffen eine hoch aktuelle Bedeutung. Die Krise ist hier nicht mehr nur eine strukturelle zyklische Gegebenheit, sondern wird zum permanenten und unüberwindlichen Bestandteil der kapitalistischen Formen der Akkumulation: Das Kapital ist gezwungen, die Produktion des Reichtums zu beschränken, den es nicht zu vereinnahmen imstande ist. Auch wenn die Theoretiker der „Wachstumsrücknahme“ dies heftig bestreiten würden, die kapitalistische Entwicklung hängt gerade von der Politik der Rücknahme des Wachstums ab. Wenn endlich jegliche Utopie einer glücklichen Insel zerschellt ist, die vor dem Tauschwert geschützt ist, bzw. der Traum von der Existenz von Naturgütern, die es zu verteidigen gilt, ausgeträumt ist, dann wird die antagonistische Kritik der Entwicklung unmittelbar Befreiung des autonomen Vermögens der Produktivkräfte. Dies bedeutet die Herausbildung der Institutionen des Gemeinsamen, d. h. die Fähigkeit, die Autonomie und den Widerstand des lebendigen Wissens zu organisieren, das Kommando und die kollektive Leitung innerhalb der sozialen Kooperation festzulegen, gemeinsame Normen über die Destrukturierung der bestehenden Universität hervorzubringen.

Dies ist die Herausforderung, die sich innerhalb der Prozesse der „Verbetriebswirtschaftlichung“ und der Herausbildung der global university stellt. Wie die Bewegungen und die Kämpfe in Europa und auf globaler Ebene zeigen, ist keine Nostalgie oder Verteidigung von Bestehendem zulässig: Öffentlich und privat erweisen sich letztlich als zwei Seiten ein und derselben kapitalistischen Medaille. Der Einsatz ist heute viel höher: Was heute definitiv in die Krise geraten ist, ist das epistemologische Statut des Wissens, auf dem die Organisation der wissenschaftlichen Disziplinen aufbaute, sowie auch die neuen Machtcodes der Inter- und Multidisziplinarität. Die Frage geht also unmittelbar nach einer neuen Organisation des Wissens, deren Leitung und Kontrolle nicht mehr außerhalb, sondern innerhalb der Zusammensetzung der Arbeit angesiedelt ist. Es geht um den hier und jetzt zu vollbringenden Aufbau einer Universität des Gemeinsamen, was zugleich die kollektive Aneignung dessen bedeutet, was das Vermögen des lebendigen Wissens produziert und was in der ans Ende gelangten Dialektik zwischen öffentlich und privat eingefroren ist.

Allerdings ist damit keine Überhöhung des Ereignisses intendiert, oder noch schlimmer, eines Ereignisses ohne Prozess. Es geht im Kern um die Instituierung eines neuen Zeitverhältnisses zwischen Ereignis und Sedimentierung, zwischen Krise und Entscheidung, zwischen konstituierendem Prozess und konkreten politischen Formen, zwischen Bruch und Organisation. Wir gehen davon aus, dass das Ereignis ein Ergebnis ist, niemals aber Ursprung von etwas sein kann. Am Anfang stehen immer der Widerstand und die Organisation der Produktion des Gemeinsamen, d. h. ein institutionelles Denken der Gegenwart und des Ereignisses selbst. In dem Maße, wie es der Klassenzusammensetzung und der Zeitlichkeit des Konfliktes immanent ist, ist das Verhältnis beständig durchzogen von der Möglichkeit der Subversion dieser Zusammensetzung und dieses Konflikts. Da die Kritik des Wissens heute unmittelbar auch Kritik der politischen Ökonomie wird, sind die Auseinandersetzungen um die Bildung im vollen Sinn des Wortes Arbeitskonflikte. Der Überschuss und das Unmaß des lebendigen Wissens können nun ihr Gewand als einfache deskriptive Gegebenheiten abstreifen, um das konstituierende Vermögen neuer Institutionen für sich zu entdecken. Um den Klassenkampf und den Kommunismus in der Gegenwart radikal neu zu denken.

 



[1] Yochai Benkler: The Wealth of Networks. How Social Production Transforms Markets and Freedom. New Haven: Yale University Press.

[2] Ahiwa Wong: Neoliberalism as Exception: Mutations in Citizenship and Sovereignity. Durham, NC / London: Duke University Press 2006.

[3] Vgl. Xiang Biao: Global „Body Shopping“: An Indian Labor System in the Information Technology Industry. Princeton: Princeton University Press 2007.

[4] David Harvey: The Conditions of Postmodernity. An Inquiry into the Origins of Cultural Change. Cambridge: Blackwell 1990.

[5] Christian Marazzi: „Capitalismo digitale e modello antropogenetico di produzione“. In: F. Chicchi / J.L. Laville / M. La Rosa – C. Marazzi (Hg.): Reinventare il lavoro. Roma: Sapere 2000 2005, S. 110.

[6] Vgl. Sandro Mezzadra / Brett Neilson: „Die Grenze als Methode, oder die Vervielfältigung der Arbeit“. In: transversal 06/08, „borders, nations, translations“, http://eipcp.net/transversal/0608/mezzadraneilson/de.

[7] Carlo Vercellone (Hg.): Capitalismo cognitivo. Conoscenza e finanza nell'epoca postfordista. Roma: Manifestolibri 2006.

[8] Alberto De Nicola – Gigi Roggero – Benedetto Vecchi: „Contro la creative class“. In: Posse, ottobre 2007, S. 84-94. Online in: transversal 02/07, „creativity hypes“, http://eipcp.net/transversal/0207/denicolaetal/it.

[9] Andrew Ross: Nice Work If You Can Get It: Life and Labour in Precarious Times. New York / London: New York University Press 2009.

[10] Karl Marx: Das Kapital. Erster Band. MEW Band 23. Berlin: Dietz 1975, S. 189.

[11] Gigi Roggero: La produzione del sapere vivo. Crisi dell'università e trasformazione del lavoro tra le due sponde dell'Atlantico. Verona: ombrecorte 2009.

[12] Karl Marx: „Unmittelbare Resultate des Produktionsprozesses“  (= unveröffentlichtes 6. Kapitel des ersten Kapitalbandes). In: MEGA, II. Abt., Band 4.1, S. 24-129.

[13] Vgl. Romano Alquati (Hg.): „L'università e la formazione: l'incorporamento del sapere sociale nel lavoro vivo“. In: Aut Aut, n. 154, luglio-agosto 1976.

[14] Vgl. Romano Alquati – Nicola Negri – Andrea Sormano: Università di ceto medio e proletariato intellettuale. Torino: Stampatori 1978.

[15] Vgl. Hans Jürgen Krahl: Konstitution und Klassenkampf. Frankfurt a. M.: Verlag Neue Kritik 1971.

[16] Jason Read: The Micro-Politics of Capital. Marx and the Prehistory of the Present. Albany: State University of New York Press 2003.

[17] Vgl. collettivo edu-factory (Hg.): Università globale. Il nuovo mercato del sapere. Roma: Manifestolibri 2008.

[18] Vgl. A. Ross: „L'ascesa della Global University“. In: collettivo edu-factory (Hg.): Università globale. Il nuovo mercato del sapere, S. 29-39.

[19] Karl Marx: Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie. MEW Band 42. Berlin: Dietz 1983, S. 602.

[20]  Ebd., S. 593.

[21]  Steve Wright: Den Himmel stürmen. Eine Theoriegeschichte des Operaismus. Hamburg: Assoziation A 2005.

[22]  Jacques Rancière: Das Unvermehmen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2002.

[23]  Vgl. Andrea Fumagalli – Sandro Mezzadra (Hg.): Crisi dell'economia globale. Mercati finanziari, lotte sociali e nuovi scenari politici. Verona: ombrecorte 2009.