Cookies disclaimer

Our site saves small pieces of text information (cookies) on your device in order to keep sessions open and for statistical purposes. These statistics aren't shared with any third-party company. You can disable the usage of cookies by changing the settings of your browser. By browsing our website without changing the browser settings you grant us permission to store that information on your device.

I agree

01 2017

Die Zukünfte des Munizipalismus

Feminisierung der Politik und demokratische Radikalisierung

Montserrat Galcerán Huguet / Pablo Carmona Pascual (Ahora Madrid)

Aus dem Spanischen von Stefan Nowotny

In Pamplona findet dieser Tage[1] das Treffen „MAK2. Municipalismo, Autogobierno y Contrapoder [Munizipalismus, Selbstorganisierung und Gegenmacht]“ statt, das ungefähr 500 Teilnehmer_innen von mehr als 30 kommunalen Kandidat_innenlisten sowie aus verschiedenen sozialen Bewegungen zusammenführt. Der vorliegende Text versteht sich als eine Reflexion über den Prozess, der sich seit drei Jahren mit diesen munizipalistischen Kandidaturen in zahlreichen Gemeinden und Städten verbindet.


Der Mai 2015

Dowdall’sches Auszählungssystem: dies war die Wahlmethode in nicht wenigen munizipalistischen Kandidaturen für die Kommunalwahlen 2015. Abgesehen von so manchen Presseschlagzeilen, die sie mit sich brachte, verdichtete sich in dieser Methode der Kern dessen, was Munizipalismus genannt worden ist. Während das Grundgerüst der „neuen Politik“ in seinem Aufbau durch die Einrichtung nivellierender Systeme der Mehrheitsbildung und überhöhte männliche Führungsfiguren gekennzeichnet war – unter dem Vorwand, dass allein dadurch der Erfolg im Wahlkampf garantiert werden konnte –, entschieden sich die Prozesse in Städten wie Zaragoza, Madrid, Pamplona oder A Coruña dafür, mit anderen Mitteln zu experimentieren. Weit entfernt von den sogenannten listas plancha[2] oder von quotenbasierten Machtaufteilungen, bedeuteten die mit proportionalen, dem Ausschluss von Minderheiten und Diversität vorbauenden, Methoden durchgeführten Vorwahlen einen großen Schritt vorwärts. Diese politische Geste stellte unter Beweis, dass es alternative Wege zur Erstellung von Kandidat_innenlisten gab, welche Diversität als einen Reichtum betrachteten. Das Ergebnis waren plurale und heterogene Gruppen, die sich denselben Herausforderungen zu stellen imstande waren, aber auf demokratischere Art als die einfarbigen Gruppen, die sich aus den Systemen der Mehrheitswahl ergaben (wie die listas plancha).

In Anbetracht der proportionalen Vorwahlsysteme, die dazu bestimmt waren, Macht zu verteilen, anstatt sie zu konzentrieren, können wir eineinhalb Jahre später sagen, dass sie das Ergebnis zumindest zweier Faktoren waren. Erstens erweiterten die munizipalistischen Kandidaturen den sogenannten „institutionellen Angriff“ um einen mannigfaltigen Zusammenhang von unabhängigen Bewegungen und Personen. Diese Realitäten gingen über die überkommenen Dynamiken der Parteiapparate hinaus bzw. wirkten ihnen zum Teil entgegen. Das zweite interessante Element war die lokale Verankerung dieser Kandidaturen, die sich aus der Partizipation von sozialen Bewegungen sowie politischen, sozialen und kulturellen Akteur_innen mit langjährigen Erfahrungen in lokaler Arbeit ergab. Wie so oft ging es darum, zu verhindern, dass die kommunalen Gruppen sich unabhängig und autonom machten von dem kollektiven Substrat, das ihnen den Weg in die Institutionen ermöglichte.

Gewiss äußerten sich diese beiden Charakteristiken in unterschiedlichem Ausmaß und unterschiedlicher Intensität. Aber es gibt keinen Zweifel an der politischen Ausrichtung, an der sich der Munizipalismus orientierte: Beteiligung unabhängiger Akteur_innen, territoriale Verankerung, Bemühen um Diversität, proportionale Vorwahlsysteme, partizipative Programme, enge demokratische Verbindung zwischen den Organisationen mit ihren Kandidat_innenlisten sowie Rechenschaftspflicht – all das sind Werkzeuge, die allein im Zyklus des Munizipalismus in Erscheinung getreten sind und die noch nicht aufgenommen wurden, jedenfalls nicht mit solcher Intensität.


Feminisierung der Politik. Oder besser, feministische Politiken

In größerer Perspektive, und auch mit einem gewissen Augenzwinkern, könnten wir sagen, dass die Feminisierung der Politik nicht geboren, sondern gemacht wird. Die Feminisierung der Politik war eine der Hauptachsen, an denen sich die politischen Debatten der vergangenen Monate orientierten. Zunächst können wir sagen, dass signifikante Fortschritte erzielt wurden. Auf nahezu allen Kandidat_innenlisten sind zahlreiche Gesichter von Frauen zu sehen. In gewissem Sinn kam es in dem neuen politischen Zyklus zu einer Entmaskulinisierung, selbst wenn die großen Repräsentationsrollen im Moment noch immer von Kerlen ausfüllt werden.

Ungeachtet dessen aber muss betont werden – wie dies auch die gesamte feministische Bewegung immer wieder tut –, dass die Gesichter von Frauen nicht ausreichen, um eine feministische Politik durchzusetzen. Zudem ist zu prüfen, in welchem Ausmaß auf die Kriterien eingegangen wird, die die feministischen Bewegungen mit so viel Arbeit entwickelt haben. Was also bedeutet Feminisierung der Politik?

Die Feminisierung der Politik, oder besser, feministische Politiken stellen sich drei großen Herausforderungen: Diversität, gemeinsame Verantwortung und Sorge. Diese drei Ideen haben bekanntlich vernichtende Auswirkungen auf die klassischen Konzeptionen von Macht. Hinzu kommt eine grundlegende Infragestellung von Repräsentation sowie die Verstärkung einer Politik, die ihr Zentrum in kollektivem Handeln hat. All das verpflichtet zu einer Umgestaltung der Grundzüge des Politischen. Die Frage ist: Ist der Munizipalismus auf dieser Linie zu irgendwelchen Lösungen gelangt? Haben die feministischen Bewegungen in den munizipalistischen Kandidaturen einen fruchtbaren Boden für ihre Vorschläge gefunden?

Die Antwort auf diese Frage bleibt komplex. Dass es eines anderen Ausgangspunktes bedarf, um den Neuaufbau zu beginnen, darin trafen sich ein guter Teil des Munizipalismus und der feministischen Bewegungen. Es galt, die Logik der Sorgeverhältnisse in das aktuellere politische Rahmenwerk zu übertragen. Damit ist nicht nur eine größere Sensibilität und Freundlichkeit gegenüber den Rahmungen von Beziehungen gemeint, sondern auch der Versuch, aus den Dichotomien zwischen Sieger_innen und Besiegten, Mehrheiten und Minderheiten auszubrechen und die Politik der Sorgeverhältnisse als eine differenzielle Tatsache zu inkorporieren, die für die neuen Formen kollektiver Konstruktion maßgeblich sein sollte. Nichtsdestotrotz verfielen viele der munizipalistischen Kandidaturen sicherlich dem Primat der Konzentration von Sichtbarkeit und Macht, die charakteristisch für die repräsentative Politik sind.


Was aber vermag der Munizipalismus?

Der Munizipalismus ging von einer neuartigen Voraussetzung aus: Es ist nicht notwendig, sich um einen mehr oder minder traditionellen Parteiapparat herum zu organisieren, um den sogenannten „institutionellen Angriff“ durchzuführen. Mit mehr oder weniger Erfolg verstanden sich die munizipalistischen Kandidaturen – zumindest in vielen Städten – als eine Art Föderation von Initiativen, die gemeinsame Anliegen finden konnten, um nach Spielregeln zu arbeiten, welche die Diversität respektieren sollten. Dieser Leitlinie folgten die bereits hervorgehobenen Elemente: Dowdall-System, partizipative Programme und die Idee einer engen politischen und demokratischen Verbindung zwischen jenen, die in repräsentative Ämter gelangten, und den Bewegungen, die ihnen dazu verhalfen.

Heute haben wir die Möglichkeit, über den Zusammenprall zwischen jenen neuen politischen Prototypen (die in gewissem Maße ein Erbe der Kämpfe der 15M-Bewegung bildeten) und der härteren institutionellen Wirklichkeit Bilanz zu ziehen. In diesem Zusammenprall lernten wir, dass die Institution dazu da ist, jegliche politische Entscheidung in Büroräume einzuschließen. Das ist letztendlich das Risiko der Institutionalisierung, der „Professionalisierung der Politik“ um die öffentlichen Ämter herum sowie der Hierarchie in den Prozessen der Entscheidungsfindung. Als Konsequenz dieses Zusammenpralls kam es zu einer Ausdehnung – und in vielen Fällen dem Auseinanderbrechen – der kollektiven Prozesse, die diese zutiefst hierarchischen Strukturen zu beherrschen versuchten.

An der Entwicklung der zwei Jahre kommunaler Regierungen können wir uns davon überzeugen, dass sich die Stärke dieses „institutionalisierenden Effekts“ zu Beginn des Prozesses nicht abschätzen ließ. Wir laufen Gefahr, dass sich der Prozess bürokratisiert; er stößt sich frontal an eben jenen Problemen, die vielen Veränderungsbewegungen zu schaffen machten, wenn sie die Institutionen erreichten und zu so etwas wie einer Partei wurden. Diese Situation jedoch macht die Notwendigkeit nur umso deutlicher, Modelle der kollektiven Konstruktion zu denken, die diesen Typus institutioneller Trägheit aufzulösen vermögen. Ganz genauso wie bezüglich des Feminismus stellt sich auch hier die Frage: Trägt der Munizipalismus irgendein Antivirus gegen diese Gefahren in sich?

Wir haben bereits darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, dass sich die munizipalistischen Kandidaturen als eine Föderation von Initiativen konstituieren. Dadurch wurde einer enormen Vielfalt von sozialen und politischen Prozessen Raum gegeben, während zentralisierten Parteistrukturen zugleich Einhalt geboten werden konnte. Was unter anderen Gesichtspunkten als Schwäche gedeutet werden mag, hat sich aus unserer Sicht als Stärke und Möglichkeit erwiesen. Im Großen und Ganzen hat der Eintritt in die Institutionen bei einem Gutteil der sozialen Kräfte, die die Formierung der Kandidaturen möglich machten, eine schrittweise Absonderung von der institutionellen Wirklichkeit provoziert. Hierin liegt der eigentliche gordische Knoten des munizipalistischen Dilemmas.

Bis heute hat es das Umfeld der munizipalistischen Kandidaturen nicht geschafft, sich zu einer potenten und lebendigen Bewegung zu formieren. Die Gründe dieses Mangels an Stärke sind vielfältig. Ein Teil erklärt sich aus der kollektiven Anstrengung, die die Besetzung institutioneller Positionen mit sich brachte, und auch aus der Zersplitterung, die diese Anstrengung nach sich zog. Des Weiteren hängen sie sicherlich mit dem Mangel an Organisation dessen zusammen, was wir die munizipalistische Bewegung nennen. Nichtsdestotrotz sehen wir den Kern des Problems woanders. Die Frage ist, wie in neuen Prozessen der Auseinandersetzung ein Gefüge sozialer Bewegungen geschaffen werden kann, die in der Lage sind, der institutionellen Partizipation neuen Sinn zu geben, ihre Logiken zu überschreiten und die Probleme außerhalb des instituierten politischen Feldes neu zu verorten. Innerhalb der Institution zu sein ist letzten Endes dann von Nutzen, wenn wir als Transmissionsriemen einer breiteren Veränderungsbewegung dienen. Und in diesem Sinne liegt die Priorität genau darin, die Strukturen dieser Bewegung zu denken, zu verstärken und miteinander zu verbinden, um auf diese Weise die Rahmenwerke des Möglichen zu überschreiten.

 

 

[1] Der vorliegende Text wurde zuerst am 19. Januar 2017 in El Diario veröffentlicht.

[2] Als listas plancha bzw. voto en plancha wurde die von Podemos bei Vorwahlen benutzte Methode bezeichnet, die Sympathisant_innen die Möglichkeit gab, entweder für eine ganze Kandidat_innenliste zu stimmen oder aber Kandidat_innen von verschiedenen Listen zu unterstützen sowie die Anordnung der Kandidat_innen zu verändern. Kritisiert wurde diese Methode für die dadurch faktisch bewirkte Schwächung des Verhältniswahlrechts zugunsten der Bildung starker Mehrheiten. [Anm. d. Übers.]