02 2005
Strategien der (Un)Sichtbaren Zahlreichen
Übersetzt von: Larissa Buchholz
Zeitgenössische KünstlerInnen und politische „grassroots“ AktivistInnen machen in letzter Zeit für die Durchführung ihrer Aktionen von – wie ich sie nennen würde – unsichtbaren Strategien Gebrauch. Diese Strategien greifen geheime, anonyme, verdeckte oder verborgene Taktiken auf. Sie scheinen vier Ziele zu haben:
-
Die Absicherung, dass ihre Aktionen
wirksam sind
-
Der Schutz der Identität von Aktivisten
und Künstlern vor denen, die die Macht inne haben
-
Die Erkennbarkeit untereinander
-
Die Unterminierung von Repräsentations-
und Kommodifizierungsprozessen
Jüngste Beispiele dieser Strategien umfassen
Graffitis, „guerilla gardening“ (von Baumpflanzungsprojekten bis zu
improvisierter Landwirtschaft), „culture jamming“ (Unterwanderung
konventioneller Medienbotschaften), unabhängige Internetnetzwerke (z.B.
Indymedia), improvisierte „stand-ins“ (wenn jemand vorgibt, die temporäre
Vertretung zu sein), „sit-ins“, oder wenn AktivistInnen ein Gebäude oder einen
öffentlichen Platz besetzen und so lange nicht verlassen, bis ihre Forderungen
erfüllt oder verhandelt worden sind, etc.
In Anbetracht dieser neuen Richtung unter KünstlerInnen und
AktivistInnen, würde ich gerne zwei Ausgangspunkte zur Analyse dieser
Strategien vorschlagen. Der erste möchte einerseits die übliche Wir/Sie -
Unterscheidung zwischen KünstlerInnen und AktivistInnen und andererseits die
der Institution oder des globalen Marktes in Frage stellen. Der zweite
Ausgangspunkt erlaubt es einem selbst einen apodiktisch romantischen Zugang zu
diesen Strategien aufrecht zu erhalten. Der erste Ausgangspunkt verweist sich
auf die Idee, dass eine Aktivität, die unsichtbar oder verborgen bleiben muss
um wirksam zu sein, nicht länger innerhalb der binären Ökonomie von Innen /
Außen, klandestin / institutionalisiert betrachtet werden sollte, etc. Sich für
eine Strategie der (Un)Sichtbarkeit (man beachte hier die Bedeutung der
Klammern) zu entscheiden bedeutet nicht, sich auf eine räumliche Ordnung zu
beziehen: Ich, hier, unterprivilegiert, illegal arbeitend und du, dort, im
institutionalisiertem Rahmen, auf der Seite der Macht, mich daran hindernd eine
Identität anzunehmen oder ein Ziel zu verfolgen. Eine (un)sichtbare Strategie
ist im Gegenteil eine, die in Beziehung zur zeitlichen Ordnung agiert. Die Idee
besteht darin, diese Strategie in Beziehung zu dem, was kommen wird, zu setzen.
In anderen Worten, wenn man sagt, dass man im klandestinen Modus handelt, heißt
das, dass man einen gewissen Grad an Geheimhaltung bewahren muss, um eine
Aktion wirkungsvoll werden zu lassen, setzt man sich selbst nicht in Beziehung
zu dem anderen (wie auch immer dieser andere definiert sein mag), sondern in
Beziehung auf Zeit bzw. um präziser zu sein, auf die Zukunft, also auf eine
andere Form der Andersartigkeit. Die Erklärung hierfür ist einfach. Außerhalb
der intendierten Wirksamkeit implizieren alle Strategien, ob sichtbar oder
unsichtbar, Enthüllung. Man kann der Enthüllung oder dem Ausgesetztsein nicht
entgehen, d.h., der Moment, in dem die Aktivität aufhört, persönlich, geheim
oder unsichtbar zu sein und die schnell vergängliche Sphäre der Sichtbarkeit
betritt (Ich werde gleich darauf zurückkommen). Sichtbare und unsichtbare
Strategien gleichzusetzen bedeutet nicht, klandestine Strategien zu
unterminieren und diese innerhalb des Normativen institutionalisierter
Strategien zu kompensieren. Dies ist schlicht und ergreifend eine Tatsache, die
jegliche Strategie oder Aktion betrifft. Wenn man gegen den IMF oder die Weltbank
kämpft, ob in einem künstlerischen oder aktivistischen Kontext, kann der Kampf
nur mit der Offenlegung des Kampfes enden: Also, wenn eine bestimmte
Öffentlichkeit erreicht wurde, oder die Medien über den Protest oder die Ausstellung
berichten und man schließlich Notiz davon nimmt. Eine Strategie der
(Un)Sichtbarkeit nicht im Rahmen von räumlichen Unterscheidungen (wir/sie,
innen/außen, illegal/institutionalisiert) zu artikulieren, sondern im Rahmen
einer zeitlichen Unterscheidung der Enthüllung (sichtbar/unsichtbar) ist
letztlich mit zwei Zielen verbunden: Das erste bezieht sich auf die Tatsache,
dass es nicht so etwas gibt wie etwas Sichtbares, als gäbe es einen Horizont
des Intelligiblen in dem Sprache sich ostensiv zeigt. Das heißt aber nicht, dass
wir uns nur im Verborgenen befinden, oder dass es nur Unsichtbarkeit gäbe. Es
gibt keinen Horizont des Intelligiblen,
in dem Sprache als Sichtbares exponiert wird; diese Idee liegt den beiden
folgenden Gedanken zugrunde. Der erste und prägnanteste Gedanke ist das, was
sich nur im Zwielicht zwischen Tag und Nacht von Sichtbarkeit und
Unsichtbarkeit zeigt, d.h., ein zögerlicher Zustand zwischen zwei Absoluten,
zwischen etwas radikal Vergangenem oder Zukünftigem und etwas, das sich nur im
Chiaroscuro zeigt. Der Zustand des absolut Sichtbaren oder Unsichtbaren liegt
jenseits linguistischer Kategorien. Dem Tod nicht unähnlich, kann das Sichtbare
oder Unsichtbare nur mit einem rhetorischen Bild oder einer dekonstruktiven
Geste dargestellt werden, welche lediglich den Abgrund andeuten kann, der von
den Begriffen selbst hervorgerufen wird. Folglich, zu sagen, dass es so etwas
wie etwas Sichtbares nicht gibt, ist zu sagen, dass es nur Zwielicht gibt, ein
Zustand weder wirklich sichtbar noch wirklich unsichtbar. Der zweite Gedanke
liegt in der Variation/Graduation zwischen unseren verschiedenen Vorstellungen
über diese Welt und unseren Investitionsniveaus, was im Verhältnis zu dem
steht, was die Aurora der Sichtbarkeit in die Welt zu bringen verspricht.
PolitikerInnen (dies beinhaltet auch solche Sprecher der
Antiglobalisierungsbewegung wie George Monbiot oder Naomi Klein, um nur
wohlbekannte westliche Namen zu nennen), die auf der öffentlichen Bühne
agieren, glauben, dass politische Veränderungen allein innerhalb der absoluten
Sichtbarkeit stattfinden können, das heißt im Parlament und in den Medien. PolitikerInnen
glauben an ein öffentliches Leben. Er oder sie glaubt an seine oder ihre Rolle
in der Geschichte. In gewisser Weise sind PolitikerInnen vom Glauben an die Sprache
wie auch von ihrem Verständnis dieser Welt geblendet. Sie werden dadurch zu
sichtbaren AkteurInnen dramatischer Auftritte und berühmten AutorInnen
wichtiger Gesetzgebungen. Im Gegensatz hierzu steht der handelnde Klandestin,
der Aktivist oder der Künstler, der sich, sie oder er in eine Lage der nicht
gewährleisteten Sichtbarkeit positioniert. Dies bedeutet nicht, dass er oder
sie darum weiß, dass so etwas wie Sichtbarkeit nicht existiert, dies bedeutet
nur, dass die Strategie, an eine mögliche Sichtbarkeit zu glauben vermieden
wird. Wenn ich aus dem Stehgreif entscheide, ein Projekt auf dem
Parlamentsgelände im Zentrum Londons zu planen, wird die Planung selbst
unsichtbar bleiben, während aber das Ergebnis für alle wahrnehmbar sein wird.
Ein Plantageprojekt (vor allem Cannabis) wird selbstverständlich nicht lange
andauern. Solch eine Aktion setzt voraus, dass der handelnde Klandestin sich
mehr für die Aktion selbst interessiert und für die unmittelbare Schockwirkung,
als sichtbare und beständige Gesetze zu etablieren. Dies zeigt, dass er oder
sie weiß, dass Sprache nichts Zuverlässiges oder Beständiges ist; diese
absolute Sichtbarkeit ist nicht notwendigerweise effektiv. Infolgedessen ist es
eine Tatsache, dass der handelnde Klandestin allenfalls auf ein lokales
Straßenpublikum hoffen kann oder darauf, auf der ersten Seite Schlagzeilen zu
machen, das heißt, dass ihm gestattet ist, zu provozieren oder an einer kurzen
öffentlichen Diskussion teilzunehmen, aus dem er oder sie sich ausgeschlossen
fühlt. Was der heimlich tuende Stratege zudem besagt, ist, dass Sprache in
einer performativen Dimension bleiben kann, entsprechend der Phase der Äußerungen
oder des Protestes, ohne zwingend ein Archiv zu konstituieren. Er oder sie sagt
uns, dass Sprache in einem permanenten Zustand des Ausschlusses, des
Ausgesetztseins oder der Festschreibung verbleiben kann, ohne in die Fallen der
Kommodifizierung, der Institutionalisierung oder der festgeschriebenen Gesetzgebung
zu tappen. Schließlich befinden wir uns heute in einer
Postproduktionsgesellschaft, in der wir nicht länger so tun müssen, als ob wir
etwas Neues herstellen könnten. Heute wissen wir, dass wir all das neu
formulieren oder wiederholen müssen, was bereits hergestellt wurde und im
Archiv vorhanden ist, und dass diese Spaltungen Aktionen des Schaffens selbst
sind. Ich schlage daher vor, sich das Ziel dieser Strategien anzuschauen, im
Zwielicht, als Versuch, den Kampf im Stadium des Kampfes zu erhalten. Dabei ist
die Strategie zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren in dem Moment zu
belassen, wo es sich dem anderen offen legt. (der andere hier im zeitlichen
Sinne verstanden). Dies führt mich zu dem zweiten Ziel des zeitlichen Fokus:
Die Tatsache anzuerkennen, dass die wahre Absicht dieser Strategien der (Un-)
Sichtbarkeit nicht darin besteht eine ideale Welt zu erreichen, sondern die
Welt als eine reale zu gestalten. Um eine politische Strategie durch eine
zeitliche und nicht räumliche Achse zu artikulieren (strikt einem
hegelianischen oder marxistischen Modell folgend) bedeutet aus heutiger Sicht
einen großen Rückschlag der gesamten linkspolitischen Arbeit seit dem Fall der
Mauer und dem, was wir das Ende der großen Erzählungen nennen. Es ist nicht
mehr möglich, irgendeine Form des politischen Ideals in der Zukunft zu
verorten. Es ist zudem nicht mehr möglich, die Idee des Politischen auf der
Basis des Endzeitversprechens oder des Zukunftsversprechens oder des
Parusieversprechens aller zu übertragen. Wenn man sich dieses Rückschlages
bewusst ist, der uns seit den 1990ern plagt, hat man folglich keine Wahl, außer
die Beziehung zwischen dem Politischen und der Zeit zu überdenken. Hier ist
nicht der Ort, um die anthropologischen und ontologischen Feinheiten dieser
partikulären Beziehung im Detail zu untersuchen. Das einzige, was ich an dieser
Stelle vorschlagen kann, ist den Fokus auf das dringende Thema des Rückschlages
zu richten und folgende Frage zu stellen: Welche politische Praxis kann in
einer Situation vorgeschlagen werden, in der es in der Zukunft kein Ideal mehr
gibt? Vielleicht ist die einzige Antwort auf diese Frage der Vorschlag, das
Zukunftsideal (Gerechtigkeit, Freiheit, Gleichheit, Proletariat, absolutes
Wissen) von seinem Immer-gerade-erst-zu-Kommenden wiederherzustellen und es
zentral in allen menschlichen peripheren Handlungen zu platzieren. In anderen
Worten, und in einer Umkehrung der hegelianischen und marxistischen Logik,
liegt die Idee, das Ideal als das sich überall und zu allen Zeiten Ereignende
wahrzunehmen, direkt im Moment des Handelns (jedoch ist dieses Handeln bestimmt
und somit auch das Resultat). Das Ideal, hier verstanden als die einzig
mögliche Umsetzung der Welt oder die einzige Umsetzung, die der Welt bekannt
ist, befindet sich nicht mehr irgendwo schlafend in der Zukunft, sondern es
wirkt konkret ein oder lässt sich in jeder menschlichen Handlung im Hier und
Jetzt verorten. Um ein Beispiel zu geben: Gleichheit ist nicht mehr ein Ziel,
das erreicht werden müsste, sondern wird zur Voraussetzung, welche permanent zu
verifizieren ist. So gedacht, sind alle Formen der politischen Prognose,
Projektion, Hoffung, etc. (und ich berücksichtige hier auch die Hoffungen von
jemandem wie Osama Bin Laden), was in der Vergangenheit auf die zu kommende
Zeit angewandt, verwendet, ausgedehnt wurde, folglich sich den Ereignissen im
Hier und Jetzt auszusetzen, in allen Fällen zu einem Zeitpunkt, der kein
anderer Zeitpunkt ist als der gegenwärtige Zeitpunkt. Politischer Aktivismus
wird daher nicht zur Folge von politischen oder sozialen Zielen, sondern der
Maßstab von Identität selbst, eine, die nicht von dem Kommenden abhängig ist,
sondern von den Ereignissen der heutigen Welt, d.h., von dem, was hier und
jetzt passiert, in welcher Form auch immer es sich äußert, ob Hungersnot,
Kriege, korporative Habgier oder religiösen Fanatismus. Von dieser Seite her
gesehen kann man durchaus sagen, dass es nie einen besseren Augenblick geben
wird, es kann nur einen Akt der Differenzierung geben, einen Akt, der einen
Unterschied machen wird, daher also ein Maßstab für Identität ist, d.h. ein Akt
des politischen Werdens (das auch ein Akt der kreativen Zerstörung sein kann).
Das wahre Ziel dieser Strategien der (Un)Sichtbarkeit ist daher nicht, eine
neue Weltordnung vorzuschlagen, sondern an dem zu partizipieren, was Jean-Luc
Nancy unter der endlosen Schaffung der Welt versteht.[1]
Das Word Schaffung wird von Nancy verstanden als Wachstum ohne Vernunft von
Raum und Zeit, also als das, was wir Welt nennen. Konsequenterweise ist die
Welt weder die internationale Gemeinschaft noch die Menschheit an sich, es ist
die polymorphe Verräumlichung unserer Existenz, das heterogene Ausgesetztsein
unseres Zusammenseins. Um an der unendlichen Schaffung der Welt zu
partizipieren ist daher nicht eine Welt als positivistische Erkenntnis oder als
programmatische Vernunft vorauszusetzen, sondern eine Welt, die sich selbst
denkt. In anderen Worten, dies bedeutet nicht den Sinn der Welt vorauszusetzen,
sondern die Welt als Sinn. Frei vom Zwang eines in der Zukunft liegenden
Ideals, ist politisches Engagement deshalb ein kreativer Akt, der dem zu
Kommenden Form gibt, der multiple erscheinenden, gegensätzlichen Welt, an der
AktivistInnen, PolitikerInnen, KünstlerInnen und PhilosophInnen
unerschütterlich arbeiten. Dieser kreative Akt besteht darin, uns als Subjekte
ohne Objekte und vor allem ohne Objektivität zu erkennen. Dieser kreative Akt
ohne Erscheinung findet jedes Mal statt, sobald ein Mensch, er oder sie, sich
engagiert, in einer passiven oder aktiven, konstruktiven oder destruktiven Art,
in der allgemeinen Erfindung der Welt, d.h. in der Schaffung einer Welt, die
sich selbst der Darstellbarkeit entzieht, was keinen Sinn mehr hat, sondern
seinen Sinn im Prozess des Sinn-Machens findet.[2]
Daher ist es angebracht, die politische Strategie von der räumlichen Ökonomie
des Antagonismus und der Agonie zu verwandeln in eine zeitliche Ökonomie des
Handelns, wo der politische Aktivist nicht in einem sterilen
selbstreferenziellen Zirkel arbeitet, verfechtet und kämpft, sondern in und für
den Beginn des Schaffens als solchen. In anderen Worten, es gibt nur einen
Kampf, nämlich den, den Kampf aufrecht zu halten, so dass kein nach dem Kampf
erreicht wird, sondern, wie Nancy anmerkt, die unersättliche und unendlich
endliche Aufgabe, welche der Anfang der Handlung der Welt als Welt ist.[3]
Der zweite Ausgangspunkt besteht darin, sich
eine romantische Annäherung an diese Strategien der (Un-) Sichtbarkeit zu erlauben, sie zu erkennen und zu erhalten. Ich benutze
hier das Wort Romantik nicht im wörtlichen Sinne (das ist alles, was von
exzessiver Passion bis hin zu grenzenlosem Idealismus geht), sondern in seiner
ursprünglichen Bedeutung, die sich in der Atheaneum-Periode von Friedrich
Schlegel in Jena, im Deutschland am Ende des achtzehnten Jahrhunderts,
entwickelte. Bevor ich diese These untersuche, sind einige Vorraussetzungen zu
klären. Die Tragweite der frühen romantischen Periode zu beleuchten bedeutet
nicht, an den etwas heiklen politischen Forderungen einer radikalen Demokratie
zu haften, die von Friedrich Schlegel vorangestellt wurden. Schnelle,
praktische politische Lösungen epochaler Ereignisse (im Falle Schlegels die
Französische Revolution) sind in gewisser Weise das notwendige Korrelat für
jegliches Denken des Politischen und können nicht angefochten werden (denken
sie zum Beispiel an Georges Batailles falschen Gebrauch des Marshall Plans in
„The Accursed Share“). Ziel ist also nicht, die Ungereimtheiten der
verschlungenen Wege von Schlegels Leben und Werk zu analysieren oder die von
ihm vorgeschlagenen praktischen Lösungen, sondern die politische Verpflichtung
zu dieser anderen Seite der Aufklärung zu verdeutlichen, die sich in der frühen
Athenaeum-Theorie niederschlägt. Des Weiteren ist die Idee der Romantik als
irrationale Gegenbewegung zum Projekt des Rationalismus zu reklamieren, wie er
durch die Aufklärung gefordert wurde. Die Idee der Romantik, wie sie von
Friedrich Schlegel formuliert wurde, sollte nicht gemäß Habermas gesehen
werden, d.h., als antagonistisch zum Rationalismus und zum Fortschritt, als eine
Struktur, in welcher die Irrationalität dachte, dass das Prisma der
Zersplitterung alle politischen Strategien beinhalte. Und zuletzt, sei die
Kakophonie der postmodernistischen und poststrukturalistischen Argumentation
nicht zu ignorieren, zu vermeiden oder zu verwerfen. Ganz im Gegenteil, die
Idee, ganz im Sinne von Deleuze oder Derrida, ist dieses Erbe zu erhöhen oder
zu intensivieren, um dann fortzuschreiten zu dem, was auch immer als Nächstes
kommen mag. In anderen Worten, ich schlage weder vor, zurückzukehren, noch
schlage ich eine idealisierte und ästhetisierte Welt (das mythische Ideal in
Zentrum der Romantik) vor, sondern ich befürworte den Imperativ dessen zu
erkennen, das die fundamentale Struktur unserer Existenz in dieser Welt
konstituiert, wie es in der Aufklärung und ganz besonders in den metaphysischen
(und/oder literarischen) Theorien gedacht wurde, die durch Schlegel in der
frühen deutschen romantischen Periode entwickelt wurde. Meine These lautet,
dass, wenn es zu der metaphysischen und politischen Dimension unserer Moderne
kommt, wir immer noch zur Aufklärung und ganz besonders zur romantischen
Periode gehören; eine Periode, die uns definiert durch die Logik der (Re-) Petition und der (Re-)
Iteration. Und gerade deswegen haben Deleuze, Derrida und Lévinas, um nur drei
Beispiele zu nennen, alle versucht, Hegels Ende der Geschichte zu übertreffen,
indem sie Begriffe wie Multiplizität, Différance und die Irreduzibilität des
Antlitz anboten. Und einmal abgesehen von diesen außergewöhnlichen
Repetitionen, sind die Aufklärung und die spezifisch romantische Periode auf
seltsame Weise noch in uns präsent. Indes ist vieles an Repetition und Reiteration
eine Bewegung in Richtung der Möglichkeit von etwas anderem; indes, vieles an
Mimesis bedingt einen Bruch und eine Differenzierung von sich selbst, wir sind
noch immer von der zeitlichen und metaphysischen Ordnung abhängig, die während
der Aufklärung imaginiert wurde. Der Kern dieses Vermächtnisses, das die
fundamentierende Struktur unserer Moderne charakterisiert und so oft in Kunst,
Philosophie und Politik zu sehen ist, ist das Dementi unserer Zeit. Diese
Verneinung ist keine Tabula Rasa im negativen Sinne, sondern die Struktur der
Negativität selbst, d.h., die Gestaltung der Welt ist im Hier und Jetzt der
gewöhnlichen Grenzüberschreitung. In anderen Worten, die Verneinung ist nicht
überflüssiger Nihilismus oder leere Wiederkehr, sondern die immer währende
Suche nach dem bzw. die Herstellung dessen, was uns schon-immer-und-ohnehin
beeinflusst (der Idealismus von Hegel,
der Kommunismus von Marx, der absolute Deterritorialisierung bei Deleuze, die
absolute „hospitality“ bei Derrida oder die radikale Ordnung bei Lévinas, um
nur einige wohl bekannte Beispiele zu nennen). In gewisser Weise haben wir nie die
Welt des Subjektes, des Seins oder des Absoluten verlassen, selbst wenn es als
Ereignis, als Spur oder Immanenz bezeichnet wird, und dies lediglich, weil
unser Ausgangspunkt immer eine radikale und nicht endende Kritik an der
Gegenwart ist, eine Kritik als die Bewegung einer Erfahrung, offen für die
Zukunft und das Kommende. Um es zu präzisieren, in welchem Umfang auch immer
wir verfolgt werden von der Différance, durch rhizomatische Strukturen, durch
Multiplizität und durch Gemeinschaften und kollektive Praktiken, so werden wir
auch durch die Tatsache, dass es eine Krise gibt, verfolgt; dass irgendetwas
getan werden muss, hier, unmittelbar. In einem anderen Kontext und um dem Thema
eine andere Wendung zu geben, unabhängig davon, welchen Text wir lesen oder
welche Position wir beziehen, wird es immer das, was uns ohnehin beeinflusst,
ein neuer Text oder eine neue Meinung, eine neue (Er-) Findung oder (Re-)
Iteration (nennen sie es Nancy, Agamben oder Badiou) sein, das unmittelbar
operativ wird; in anderen Worten, dies zwingt uns, unsere Gegenwart zu negieren
und neu zu erfinden. Heutzutage, wenn es um die Zeitlichkeit der Politik geht,
ist diese Negation, welche auch ein Akt der ReSchaffung als Selbst-Event nicht
nur in der Sprache der Politik und der multinationalen Unternehmen und ihrem stets wachsenden Begehren, die
Welt zu besitzen, sondern auch in der Rethorik der Anti-Globalisierungsbewegung
und im Besonderen von „grassroots“ - Revolutionen und NetzaktivistInnen. Diese
Negierung geht einher mit dem Gefühl, dass nie ausreichend Zeit vorhanden ist;
dass man immer hinterher ist, dass Märkte und Länder erobert werden müssen
oder, dass politische Aktionen sofort stattfinden müssen, so dass die Welt
gerettet werden kann. Dieses Gefühl der Dringlichkeit ist, im Gegensatz zu dem
was Reinhart Koselleck behauptet, nichts, was durch die Beschleunigung der Zeit
geschuldet wäre[4]. Dieses
Gefühl der Dringlichkeit ist eine ganz simple und sehr humane Reaktion, nämlich
sich der Erkenntnis über den Beginn unserer eigenen Räumlichkeit zu verweigern.
Es ist genau diese Verweigerung, die uns das Gefühl vermittelt, immer hinterher
zu sein. Hier ist nicht der Ort, den ontologischen Grund dieser Verweigerung
gerade im Kontext von Heidegger zu erforschen. Es genügt hier, zu erwähnen,
dass die Verweigerung eine entscheidende politische Dimension hat. Die
Konsequenz daraus ist, dass in dieser Welt, in der die Zukunft endlich von
allen Formen der Zukunftsvisionen bereinigt wurde, die Tatsache, dass wir
unsere Zeit kreieren, eine neue Wendung genommen hat: die Erhöhung des Performativen
der Welt über die Errungenschaften der Welt. Heute haben wir keine Zeit, um
komplexe Zukunftsvisionen zu entwerfen, es ist nur Zeit vorhanden, um in der
Welt zu agieren. Dieser Sinn für die fehlende Zeit ist ein Akt des Schaffens
par excellence, dadurch, dass keine Zeit dafür vorhanden ist, sich ein Ideal
vorzustellen, können wir nur beim Voranschreiten schaffen. In der Tat,
gleichgültig wo man sich in dem großen Schwarm der Möglichkeiten und Ausweglosigkeiten
befindet, die unsere zeitgenössische Welt konstituieren, so ist man
notwendigerweise immer in einer Position der Produktivität und der Ausgabe, am
Rande des Abgrundes der Dekonstruktion, in der Aussparung der deleuzianischen
Falte, im Zentrum der Entstehung von Investition und Sprache. In anderen
Worten, wir sind immer noch an dem Punkt, die Krise verstehen oder lösen zu
müssen, uns für oder gegen hegemoniale Strukturen zu engagieren, alles
innerhalb des einfachen Prozesses der Erfindung von Protokollen (ethische oder
andere), die dazu dienen, Konzepte im Feld des Wahrnehmbaren zu aktualisieren.
Die Tatsache, dass wir immer noch zur Aufklärung gehören und im Besonderen zur
Romantik, bedeutet nicht, dass wir nicht im Umfeld der Aporie dieser Epoche arbeiten
können. In ähnlicher Weise bedeutet die Tatsache, dass unsere Zukunft von
jeglicher Form des Gestaltbaren bereinigt wurde, nicht, dass es keine Zukunft
mehr gäbe. Mit der Intensivierung unseres Erbes und durch die Anerkennung der
Negierungsprozesse und der Schaffung, erlauben wir tatsächlich alle
Möglichkeiten der Fortbewegung in eine Zukunft, wie auch immer diese aussehen
wird. In anderen Worten, durch das Bewusstsein der Negationsprozesse und der
Schaffung oder Mimesis und Re-Iteration, die unser Sein in der Welt
strukturieren, öffnen wir uns für die Möglichkeit von etwas anderem, das in
einer Weise den Prozess übernimmt und sich selbst aufrecht erhält, in einer
Weise, die es ermöglicht, die Handlung der Welt als performativ wahrzunehmen
und nicht als Projektion oder Vollendung. Der Schlüssel zu dieser
Konkretisierung ist die notwendige zeitliche Fragmentierung unseres
Verhältnisses zur Zeit und bedeutet im
besonderen, die Zukunft zu akzeptieren. Dies ist in der Tat befreit von der
Singularität der Gestaltung, oder offen für das Zukünftige oder den anderen. Es
ist nicht mehr einzig oder authentisch, sondern eine Öffnung, durch die
Kommendes nur als unzusammenhängende Fragmente und unhaltbare Gegensätze in
Wogen, Schimmern und Bögen des Lichtes erscheint. War es nicht Schlegel selbst,
der insistierte, dass Dinge immer in kleinen zusammenhangslosen Wellen erscheinen,
dass Dinge zu mangelhaft sind, um ein Ganzes zu ergeben oder diese nur einen
nicht zufrieden stellenden Zweck erfüllten? Wie die frühe romantische Periode
uns gelehrt hat und wie Nancy in seiner eigenen Analyse über diese Epoche klar
herausgestellt hat, ist, dass das, was kommen wird immer fragmentarisch
verbleiben wird[5]. Die
Konsequenz aus diesem unvermeidlich fragmentarisch Kommenden ist, dass
politische Gesten bzw. die Antworten (poetisch oder politisch) an eine
unbekannte und unzusammenhängende Zukunft zwangsläufig als fragmentarische
Folge (ironisch) strukturiert werden müssen, die kein anderes Ziel haben, als
weiter mit dem Prozess des Negierung/Erfindung fortzufahren, der unsere Modernität
charakterisiert. In anderen Worten, es gibt keine Möglichkeiten, dem Hin und
Her der Fragmentierung zu entfliehen oder auszuweichen. Fragmentierung, so wie
es Schlegel verstanden haben wollte, ist das, was der Vernunft, oder
Zielsetzung fehlt und vervollständigt sich in der Unvollständigkeit seiner eigenen
Unendlichkeit. Fragmentierung also, hindert uns nicht nur vor der
Konstituierung jegliche Art rationaler oder uniformer Welt, sondern es hilft
uns auch, gegen hegemoniale Strukturen und DiktatorInnen aller Welt zu kämpfen,
zu keinem anderen Zweck, als die Welt unhaltbar zur Welt werden zu lassen. Dies
bedeutet nicht, dass Fragmentierung, oder eine fragmentierte Welt die einzige
Lösung für eine Welt darstellt, die von einem exzessiven Kapitalismus und
Fundamentalismus dominiert wird. Dies bedeutet nur, dass Fragmentierung
dasjenige konstituiert, was unser Handeln in der Welt auf eine bestimmte Art
und Weise antreibt; es ist jenes, das uns den Kampf um Gerechtigkeit,
Gleichheit und Freiheit erlaubt, auch wenn (und weil) wir nicht eine einzige
Definition dieser Wörter bestimmen können. Fragmentierung, eine Welt entleert
von Objekten, Zielen, ontologischen Determinationen oder theologischen
Endzielen, ist gewissermaßen unsere gnadenvolle Rettung oder die Perpetuierung
des jüngsten Gerichts, um eine benjaminische Terminologie einzubringen. Diese
vergessene Fragmentierung wurde lange vor Hegels Mythos des Fortschritts
gedacht, es ist das, was hier oder dort operativ ist, aber immer im Jetzt, in
unzusammenhängenden Fragmenten (sichtbar oder unsichtbar), nie wirklich
erreicht, nie wirklich entschlossen oder frei. Nun liegt zwangsläufig das
Hauptproblem der schlegelschen Idee der Fragmentierung darin, dass es als
Wiederholung oder Re-Internierung verstanden werden könnte. Die alte Prämisse
von der Ausbreitung, der Differenz und des Werdens wurde in den letzten vierzig
Jahren ganz und gar als Ablösung des Endes der Geschichte durch Hegel und Marx
gedacht. Wie auch immer, dies ist bloß eine Erscheinung, denn schlegelsche
Fragmentierung postuliert nicht die Frage des Ursprungs oder des Ziels, Öffnung
oder Schließung, da dieses vbereits schon-immer-und-ohnehin fragmentiert und de- territorialisiert erscheint.
Fragmentierung, in der Weise wie Schlegel es vor Hegel verstanden hat, ist eine
Totalität, die sich selbst in ihrer eigenen Unvollständigkeit Rechnung trägt.
Man kann nur in und durch eine permanente Fragmentierung leben. Dies bedeutet
nicht, dass wir uns im Sinne von Deleuze nur von Chaos zu Chaos bewegen,
sondern, dass wir allein durch Fragmentierung als das erhaltende Prinzip unser
eigenen (und der Welten) Laufbahn getragen werden können. Dies führt uns weder
in einen psychotischen oder chaotischen Zustand der absoluten Instabilität oder
permanenten zivilen Unruhe, noch führt es uns zum Abgrund der absoluten
Unbestimmbarkeit oder der permanenten Beeinträchtigung des Geschehens; jedoch
mit unserem einzigen Imperativ, d.h., dasjenige, welches den Erhalt der Fragmentierung
als Fragmentierung oder dasjenige, welches die Welt als Welt aufrechterhält.
Dieses Aufrechterhalten, das nicht die Bewahrung noch die Sicherung, aber das
kreative Fortsetzen des Kampfes impliziert, noch das Prinzip der Gestaltung,
d.h., die Projektion eines Idealbildes einer auch in Zukunft aufrechterhaltenen
Welt, würde im Gegenzug die Mittel oder die Methode zur Verfügung stellen, die
Welt aufrechtzuerhalten. Ganz im Gegenteil, innerhalb einer von gestalterischer
Zukunft entleerten Zeitlichkeit, kann dieses Aufrechterhaltende nur eine
Fiktion sein. Der Begriff Fiktion (oder Literatur), welche zur Zeit des
Athenaeum sich im Zentrum aller metaphysischen und poetischen Theorien befand,
ist hier im griechischem Sinne der schlegelschen Auffassung als modernisierend,
Form gebend und modellierend zu verstehen. Unser Imperativ, die Welt
aufrechtzuerhalten, ist daher ein Imperativ zur Verwirklichung (d.h., der
Fiktion) unseres eigenen Gemeinschaftsgrades. Fragmentierung kann nur als eine
Fiktion aufrechterhalten werden. In anderen Worten, die fragmentierte Version
des Politischen liegt in der Fiktionalität, welche selbst Form gebend wirkt,
und in der Unentschiedenheit, welche hier und dort kreative Hindernisse
hegemonialer Strukturen (oder das Eindringen in) erlaubt, so dass die
Aufrechterhaltung der Welt als Welt garantiert ist. Es gibt keinen weiteren
Imperativ für diese Strategien des Unsichtbaren. Denn nur mit einer
fiktionalen, und nicht gestalteten, Idee dessen, wie wir uns selbst als wir
oder als Welt, in der wir handeln, wahrnehmen, können wir die Handlungen der
Welt formen und gestalten.
Bei diesem Essay handelt es sich um eine
überarbeitete Fassung eines Vortrags, vorgetragen auf der Konferenz „Strategies
of (In)visibility)“, Camden Arts Center, London, 3. bis 4. Februar 2005. Das
Motto der Konferenz wurde ursprünglich von Anna Harding entworfen. Es wurde anschließend durch Celia
Jameson verändert und umstrukturiert. Ich möchte gerne den folgenden Personen
für ihre Anregungen und ihr Engagement für diesen einführenden Textes danken: Gavin
Butt, Celia Jameson, Susan Kelly, Stephen Nock and Gerald Raunig.
[1] Jean-Luc Nancy, La creation du monde ou la mondialisation, Galile, Paris, 2002, S. 53.
[2] Siehe Ignaas Devischs Analyse zu Nancys Verständnis des Begriffes “Welt” in: Being mondaine: Jean-Luc Nancys Enumerations of the World, in : Cultural Values, Band 6, Nr. 4, 2002, S. 383-394. Und darüber, wie die Welt Sinn durch sich selbst generiert, siehe: Jean-Luc Nancy, The Compearance: From Existence of Communism to the Community of Existence, in Political Theory, 1992, Band 20, Nr. 3, S. 371-98.
[3] Nancy 2002, S. 64.
[4] Das Problem mit Kosselecks Idee einer beschleunigenden Zeit kann unter einer einzigen Fragestellung subsumiert werden, die aber nicht zu beantworten ist: Wie kann eine sich selbst bescheunigende Zeitlichkeit, ohne sich außerhalb dieser Zeitlichkeit zu begeben die Geschwindigkeit wahrnehmen in der sie sich bewegt? Siehe in: Reinhart Koselleck, Futures Past: On the Semantics of Historical Time, translated by Keith Tribe, Columbia University Press, New York, 2004.
[5] Philippe Lacoue-Labarthe & Jean-Luc Nancy, L’absolute litteraire: Theorie de la litterature du romantisme allemand, Seuil, Paris, 1978, p. 423.