01 2004
Die inszenierte (Un)Sichtbarkeit
Übersetzung: Larissa Buchholz
Als ich den Abstract für die Konferenz Strategies of (In)visibility las, reagierte ich zunächst mit einem gewissen Unbehagen. Ich möchte versuchen, die Gründe dafür zu erläutern. Es hatte nichts mit den Inhalten oder mit dem Stil des Abstracts selbst zu tun, aber mit einer Art Echo, einem irrationalen Déjà-Vu aus der Vergangenheit. Ich konnte einen Reflex der Zurückweisung des Haupttitels der Veranstaltung kaum unterdrücken. Dieses anfängliche Unbehagen brachte mich dazu, die Zurückhaltung gegenüber der Diskussion von politischen Fragen und der politischen Implikationen von künstlerischen Praktiken zu reflektieren. Es wurde mir klar, dass die Zurück- oder Abweisung in erster Linie auf mein Heranwachsen in einem kommunistischen Land zurückging.
Mit diesem Essay möchte ich zeigen, dass die Abscheu, politische Fragen im Kontext von post-sozialistischen Ländern mit einem Ein-Parteien System zu diskutieren, einen Beitrag zur Debatte über (Un)Sichtbarkeit leistet. Der Grund, warum ich diese viszerale Zurückweisung, welche das Abjekte streift, für bedeutsam halte, besteht nicht nur einfach darin, dass ich in einem solchen System geboren und ausgebildet wurde. Es hat auch damit zu tun, dass die KünstlerInnen, deren Arbeit ich später diskutieren werde, ihre Produktion unter ähnlichen Umständen begonnen haben. Genauer gesagt wird mein Beitrag von jener Kunst handeln, die in einer Übergangsperiode hergestellt wurde, nämlich in der Zeit des Wandels von sozialistischen zu post-sozialistischen Gesellschaften in den Ländern von Ex-Jugoslawien. Ich werde versuchen, ein wenig Licht auf diese Periode zu werfen, indem ich zuerst nicht eine Unterscheidung zwischen Kunst, Aktivismus und den protagonistischen Strategien der (Un)Sichtbarkeit treffe, sondern die zwischen einer Kunst, die über das Politische handelt und einer Kunst, die in den Bereich des Politischen eintritt und darin funktioniert. Selbst aktivistische Projekte können in Wirklichkeit an Diskussionen über das Politische teilhaben, ohne das Politische zu transformieren und umgekehrt können Kunstprojekte Eingang in die politische Sphäre Eingang finden und diese transformieren.
Das Politische sichtbar machen
Statt die Arbeit von KünstlerInnen zu diskutieren, welche die Anonymität aus Furcht vor dem Erfolg ihrer Aktivitäten wählen, da sie z. B. das Unsichtbare sichtbar machen, wie es Titel und Abstract des Symposiums nahe legen, habe ich mich dafür entschieden, das Problem des Sichtbar-Machens des Politischen als solchen zu behandeln. Das ist etwas, was die Kunst, die sich mit politischen Fragen beschäftigt, die Kunst, die aus dem Inneren des Politischen heraus agiert und der Aktivismus als gemeinsamen Ausgangspunkt haben. Aus dieser Perspektive erscheint die Differenzierung zwischen reiner und engagierter Kunst weniger relevant. Dabei beziehe ich mich auf die aktuellen Diskussionen über die Politik des Ästhetischen im Kontext der Schriften von Jacques Ranciere.[1] Um das Phänomen des Rückzugs vom Politischen zu klären, das ich erfahren habe, möchte ich aufdecken, woher diese Abscheu vor dem Politischen kommt. Dafür ist es erforderlich, in die 1980er Jahre zurückzugehen und sich auf die heute nicht mehr existente kulturelle und politische Geographie von Ex-Jugoslawien zu beziehen.
Zunächst möchte ich erwähnen, dass der ursprüngliche theoretische Kontext des Begriffes des Abjekten von Julia Kristeva in ihrem Buch The Powers of Horror definiert wurde. Sie schreibt: "Discomfort, unease, dizziness, stemming from an ambiguity that through the violence of a revolt against, demarcates a space out of which signs and objects arise."[2] Die Effekte des Abjekten können für Kristeva jedoch nur zur Konstitution der eigenen Kultur führen: "The abject is the border, not me, not that not nothing either. A something that cannot be recognised as thing, a weight of meaningless, on the edge of non-existence and hallucination, of reality that if I acknowledge it annihilates me. There, abject and abjection are my safeguards; the primers of my culture."[3] Das politisch Abjekte in den ex-kommunistischen Ländern war definitiv der Leitfaden für die eigene Kultur, für das eigene Gefühl des Unbehagens an der politischen Kultur. Es handelte sich um die einzige Alternative, sodass beides nicht vermischt werden durfte. Im Falle der Vermischung von Politik und Kultur hätte dies nur zum Ekel geführt, so wie bei der Verletzung der Tabus gegenüber der Mischung von Nahrung, über die Kristeva schreibt.
Ich bin nicht sicher, ob Kristeva der Idee der Herauslösung des Abjekten aus seinem ursprünglichen Kontext und der Anwendung dieses Konzepts auf einen politischen Kontext zustimmen würde. Die Tatsache, dass sie niemals ein Buch schrieb, das ausdrücklich von ihrer bulgarischen Vergangenheit handelt, bringt einen auf den Gedanken, dass dies möglicherweise ein Ergebnis einer ähnlichen Zurückweisung der Erfahrung des Politischen in ihrer Jugend an der Grenze zum Abjekten war. (Sie thematisierte das Politische jedoch in Strangers to Ourselves und als sie über die politische Denkerin Hannah Arendt schrieb).
Dies ist eine der möglichen Antworten auf die Frage, warum KünstlerInnen im Osten noch immer nicht die Möglichkeiten aufgegriffen haben, die durch aktivistische künstlerische Praktiken eröffnet werden. In den späten 80er und frühen 90er Jahren gab es kaum Kunst in Osteuropa, welche sich nicht mit den politischen Fragen der Auflösung der kommunistischen Länder befasst hätte. In dieser Zeit wurde das Politische sichtbar (im Gegensatz zu den klandestinen künstlerischen Praktiken aus den früheren Perioden, als selbst abstrakter Kunst eine bestimmte politische Bedeutung zukam). Dieses Wiederauftauchen des Interesses am Politischen bedeutet jedoch nicht, dass man sagen könnte, dass diese KünstlerInnen AktivistInnen wären. Obwohl es nun einige KünstlerInnen und künstlerische Gruppen gibt, die gerade begonnen haben, sich der Agitation und dem Aktivismus zuzuwenden, ist die Zahl aktivistischer Gruppen doch insgesamt ungleich größer (während der Wahlen in Mazedonien im Jahre 2003 gab es 160 NGOs, die sich alle einer Assoziation anschlossen, welche die Koalition von zwei Parteien unterstützte, die Wahlen gewann und bis heute das Land regiert).
Positionierungen
In den 1980er Jahren gab es in Ex-Jugoslawien für Intellektuelle, KünstlerInnen, SchriftstellerInnen und andere Professionelle, die vom kommunistischen Parteiprogramm nicht überzeugt waren, kaum Wahlmöglichkeiten hinsichtlich politischer Positionen. Es konnten jedoch drei Hauptoptionen unterschieden werden. Alle waren notwendigerweise inoffiziell, illegal oder oppositionell. Es war möglich, sich vollkommen von der einzigen offiziellen politischen Partei zu distanzieren und sich heimlich des Status der Nicht-Zugehörigkeit zu rühmen (es sei denn, der Zufall ließ die Mitgliedskarte aus der eigenen Brieftasche fallen). Obwohl in den 80er Jahren (speziell 1981, nach dem Tod von Tito, Jugoslawiens Führungsfigur) einige der SchriftstellerInnen, die Mitglieder der kommunistischen Partei waren, journalistische Kommentare mit Titeln verfassten wie "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns", war es möglich und sogar populär, intellektuell aktiv, und dennoch nicht Mitglied zu sein. Darüber hinaus wurden Parteimitglieder in den jenseits der Partei angesiedelten intellektuellen Gemeinschaften verachtet und gezwungen, unter sich zu bleiben und untereinander zu verkehren. Die zweite Möglichkeit war die Domäne der Mutigsten. Man konnte nationalistischen Bewegungen angehören, zunächst heimlich, aber sehr bald öffentlich. Die Nationalisten waren bereits in den 80er Jahren öffentlich sicht- und hörbar, aber ihre Aktivitäten waren nicht legalisiert. Sehr bald, in den späten 90er Jahren, führten die verschiedenen nationalistischen Oppositionen in den verschiedenen Republiken die Aufteilung von Jugoslawien herbei und lösten ethnische Konflikte aus, die in höchst grausame lokale Kriege mündeten. Diese beiden Positionen waren jedoch nicht voneinander isoliert. Es war möglich, Mitglied der kommunistischen Partei und dennoch Nationalist zu sein, oder sich mit einer apolitischen Vergangenheit zu brüsten und dennoch heimlich der Partei anzugehören. Letzteres war die ambivalenteste der möglichen Positionen - Mitgliedschaft in der kommunistischen Partei, aber in der Öffentlichkeit nicht aktiv, dazu zu gehören, ohne dabei zu sein. Sich des einfachen Zugangs zur Macht zu bedienen (garantiert waren nicht nur kleine Privilegien, sondern die Mitgliedschaft war auch für jede Position in der Universität oder im Management erforderlich) und sie dennoch zu kritisieren war eine Art von simulierter Opposition und wurde als schlimmste Form von Heuchelei betrachtet. Obwohl sie aus heutiger Perspektive als eine Pseudo-Opposition erscheint, war sie weder unschuldig noch sicher. Wurde ein heimliches Mitglied aufgedeckt, gab es keine Rückkehr in den eigenen intellektuellen Kontext und die Ambivalenz wurde von beiden getäuschten Seiten geahndet.
Diese populäre Position war vielleicht die komfortabelste, aber sie konnte nicht von langer Dauer sein. Ich möchte behaupten, dass diese Verschränkung verschiedener politischer Positionen sich noch heute in allen Ländern findet, die sich nach der Auflösung von Jugoslawien herausbildeten, eine Verschränkung, die Probleme für das Engagement in der Sphäre der Politik mit sich bringt. Die Parteien veränderten ihren Namen und tauschten ihre Führer aus, Mitglieder wechselten von einer Partei zu einer anderen und tun dies auch heute noch. Die Nicht-Regierungsorganisationen sind stark in diese chaotische Möchtegern-Demokratie involviert. Vieles veränderte sich nach den kriegerischen Konflikten und das Bedürfnis, die eigene Einstellung zum Politischen in Frage zu stellen und eine neue Position zu beziehen, bildete sich unvermeidlich nach den Konflikten heraus. Die politische Ambivalenz der Vergangenheit vermischte sich mit dem politischen Erwachen in der Gegenwart und mündete in eine sehr spezifische politische Szene.
Veränderung der Sprachen
Heute ist es nicht nur im Osten nahezu unmöglich geworden, das Rechte und das Linke, das Demokratische und das Konservative, das Nationalistische und das Fundamentalistische zu unterscheiden. Diese Verschränkung von politischen Positionen reflektiert sich auch unmittelbar in der Kunstszene. Wie können wir von KünstlerInnen und AktivistInnen, die sich mit politischen Themen befassen, erwarten, konsequent in der Behandlung von etwas zu sein, das selbst nicht konsequent ist? Wenn die politische Arena ihre Sprache verändert, werden KünstlerInnen unvermeidlich darauf reagieren, umso mehr, wenn sie in einem politischen Rahmen funktionieren. Sie haben ihre Sprache zu ändern, was nicht notwendigerweise heißt, dass sie mimetisch agieren müssen. Das Beispiel der slowenischen Künstlergruppe IRWIN, ein Teil der NSK Bewegung, die sich 1983 herausbildete und sich später in NSK Staat umbenannte, ist das beste Beispiel für ein solches Bedürfnis, die Sprache der Kunst und ihr Verhältnis zur Realität zu verändern.
In diesem Kontext möchte ich den Fall des bekanntesten Intellektuellen von Ex-Jugoslawien aufgreifen, Slavoj Zizek, ein slowenischer Philosoph, der in der frühen Phase seiner Karriere einen ähnlichen politischen Kontext durchlief (und dessen Name mit den Aktivitäten von NSK und Laibach verbunden ist, dem Musikgruppenflügel von NSK). 1976 veröffentlichte er sein Buch Sign, Signifier, Letter sowohl in Slowenisch als auch in Kroatisch. Mit diesem Buch brachte er die erste seriöse Rezeption der Psychoanalyse in Jugoslawien in Gang. Auf der Grundlage dieses Buches war es jedoch unmöglich, die politische Anwendung der Psychoanalyse in den späteren Texten von Zizek vorherzusagen. Das Buch umfasst eine sehr komplexe Lektüre von Lacan. Es verbindet die Psychoanalyse und die Borromäischen Knoten bzw. Verflechtungen zwischen den Ordnungen des Realen, des Imaginären und des Symbolischen mit zeitgenössischen philosophischen Interpretationen von Hegel und Kant. Es fehlen jedoch jegliche Referenzen auf konkrete Ereignisse und Personen aus dem Alltagsleben in Jugoslawien und auch die psychoanalytischen Spiele mit politischen oder sozialen Themen. Es zeichnet sich auch noch nicht jener Schreibstil ab, der Zizek später in das Blickfeld der internationalen intellektuellen Szene rückte.
In einigen Texten könnte man das psychoanalytische Konzept des Gesetzes des Vaters auch als Referenz auf die politische Figur von Tito lesen. Dies wurde jedoch bewusst im Untergrund dieser Texte gehalten. Erst in den späten 80er und frühen 90er Jahren begann Zizek mit der Arbeit an seinen berühmten Essays über den Film. Dann nahm er seinen kulturellen Kreuzzug auf und konzentrierte sich stattdessen auf einen vollständig philosophischen Diskurs. Interessanterweise wurde er zur gleichen Zeit, 1990, zum offiziellen Präsidentschaftskandidaten der Liberal Demokratischen Partei für die Republik von Slowenien. Der berühmte Essay Why are Laibach and NSK not Fascists?, den Zizek 1993 über die slowenische Musikgruppe Laibach und das Phänomen des Künstlerkollektivs NSK verfasste, war der erste Text, der versuchte, das Phänomen NSK zu erklären, das 1984 seinen Anfang nahm, als drei Gruppen, die sich 1983 herausgebildet hatten (die Musikband Laibach, das fünfköpfige Künstlerkollektiv IRWIN und das Theater Gledalizce Sestre Scipion Nasice), unter dem gleichen Namen NSK (Neue Slowenische Kunst) zusammenkamen.[4]
Was eine Gemeinschaft am tiefsten verbindet ist nicht so sehr die Identifikation mit einem Gesetz, welches ihren normalen Alltag reguliert, sondern eher die Identifikation mit einer spezifischen Form der Überschreitung, der Suspendierung des Gesetzes (im psychoanalytischen Sinn, verbunden mit einer bestimmten Form von Freude). Er führt als Beispiel die heimliche Freude von Mitgliedern des Ku Klux Klan am Quälen ihrer schwarzen Opfer an.[5] Ich denke, dass eine ähnliche Freude in Ex-Jugoslawien unter solchen Intellektuellen und KünstlerInnen vorzufinden war, die es nicht akzeptierten, in das politische Leben des Landes involviert zu werden, was eine schuldbeladene Solidarität herbeiführte, ausgelöst durch die gemeinsame Beteiligung an der Überschreitung der kommunistischen Regeln.
Dieses unbehagliche Gefühl wird genährt von der Annahme, es handle sich bei ironischer Distanz automatisch um eine subversive Einstellung. Was wäre, wenn die herrschende Einstellung des zeitgenössischen "postideologischen" Universums auf nichts anderes als auf eine zynische Distanz gegenüber öffentlichen Werten hinausliefe, wenn diese Distanz, weit davon entfernt, eine Bedrohung für das System darzustellen, die höchste Form des Konformismus bezeichnete, da das normale Funktionieren des Systems zynische Distanz erfordert? In diesem Sinn erscheint die Strategie von Laibach in einem neuen Licht: sie "frustriert" das System (die herrschende Ideologie) insofern, als sie nicht dessen ironische Imitation darstellt, sondern eine Über-Identifikation mit diesem – indem sie die obszöne Über-Ich Unterseite des Systems ans Licht bringt, suspendiert die Über-Identifikation seine Effizienz.[6] Unter Rückgriff auf Althussers Modell des ideologischen Staatsapparates verkündete Zizek eine Interpretation von Laibach und NSK, die eine Art Ausgangspunkt für jede Lektüre der Praxis dieses Phänomens geblieben ist.
Inszenierte gefährliche Verbindungen
Zizek sieht richtig (es gibt viele Diskrepanzen und Widersprüche in seinem Text und in späteren Texten über verschiedene Projekte von NSK und über Performances von Laibach), dass es weder für den Staat noch für intellektuelle and künstlerische Projekte wirklich um Fragen von Leben und Tod gegangen ist. Sie wurden oftmals als harmlos eingestuft oder von der kommunistischen Partei einfach übersehen. Die Geschichte des Poster Skandals am Tag der Jugend von 1986/87 führte die Fragilität des Anspruchs auf Gefahr und Bedrohung für Kunst vor Augen, die in die Sphäre der Politik eintritt, als die Design Gruppe Neuer Kollektivismus, über eine seltsame Abfolge von Ereignissen, eine echte Konfusion zwischen Kunstwelt und politischer Welt herbeiführte. Zu dem Skandal kam es, als das Plakat der Gruppe Neuer Kollektivismus, das beim nationalen Wettbewerb den ersten Preis gewonnen hatte und bereits für den Tag der Jugend verteilt wurde (Titos offizieller Geburtstag, der in ganz Jugoslawien immer am 25. Mai gefeiert wurde), von den Autoritäten eingezogen wurde. Sie hatten den Hinweis erhalten, dass das Plakat auf die Nähe zwischen sozialistischem Realismus und Nazi-Kunst verwies (es handelte sich bei dem Plakat um eine Neuauflage eines Nazi-Plakats von Richard Klein aus dem Jahre 1930, ein offensichtlicher, aber von der Jury nicht erkannter Sachverhalt). Im Anschluss an den Skandal, der den Kommunismus indirekt mit dem Faschismus in Verbindung gebracht hatte, wurde das alljährliche Ritual der Feier von Titos Geburtstag abgeschafft. Es wurde jedoch niemand inhaftiert oder gefoltert, zumindest wenn man die endlosen Interviews mit den Mitgliedern von Laibach im staatlichen Fernsehen oder in den Magazinen ausklammert, in denen die JournalistInnen sich darin wiederholten, ähnliche Fragen zu stellen, wie die, welcher jede/r im Kopf hatte: Aber seid ihr Faschisten, seid ihr echte Faschisten?[7]
Deshalb ist die Unsichtbarkeit als eine bewusste künstlerische Praxis von Anfang an etwas Paradoxes – sie kann keine Strategie sein, die von KünstlerInnen zum Schutz ihrer Integrität oder für die Abschirmung ihrer Ideen gegenüber den Zentren der Macht forciert wird. Im Gegensatz zu einigen riskanten Kunstaktionen und –konzepten, die reale Gefahren für ihre AutorInnen mit sich bringen, gibt es oftmals eine Art heimlicher Agenda unter KünstlerInnen oder Möchtegern AktivistInnen: sie ist nicht selten heuchlerisch kalkuliert und zielt darauf ab, die auf Neugier und Erwartung beruhende Energie von Betrachtern auszubeuten.
Ich möchte kritisch über bestimmte KünstlerInnen und speziell über einige künstlerische Gruppen reflektieren, die mit diesen Strategien liebäugeln, um die begehrte Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Sobald sie bereit sind, die klandestinen Identitäten ihrer individuellen Mitglieder zu enthüllen, die zuvor unter der Entschuldigung einer hypothetischen Gefahr verdeckt gehalten wurden, legen sie ihre Strategien offen und erlauben es, deren Rafinesse in Frage zu stellen. Dieses Paradox kann am Fall des slowenischen Kunstkollektivs IRWIN von Beginn ihrer Karriere an erforscht werden, oder am Fall von Zampa di Leone (nach wie vor unbekannte/r AutorIn/nen einer künstlerischen Website aus Serbien und Montenegro). Es handelt sich dabei um einige der wichtigsten Beispiele einer solchen Investition in Unsichtbarkeit im Sinne eines Prozesses, der zu einem unvermeidlich raschen Erfolg führt.
Zampa di Leones Comics-Website Im Arsch des Balkan 2000-2005 verspottet KünstlerInnen und Projekte, darunter bekannte wie die der erfolgreichen Gruppe IRWIN, oder KünstlerInnen wie Tanja Ostojic, Milica Tomic und Uros Djuric bzw. KuratorInnen wie Marina Grzinic und Branko Dimitrijevic. Sie zielt auf eine kulturelle Kritik der Repräsentation der Kunstszene des Balkan in einem westlichen Kunstkontext. Ihre Zeichnungen und ihre Sprache bemühen sich um eine Art subversiven Aktivismus, es lässt sich jedoch eine gewisse Ambiguität in der Haltung erkennen, die Zampa di Leone gegenüber dem Aktivismus einnimmt. Obwohl sie schreiben, dass Im Arsch des Balkan "von dem Phänomen des kulturellen Aktivismus und der künstlerischen Praktiken in der Region des Westbalkan und in Europa in der letzten halben Dekade handelt"[8], wird ihr ironischer Zugang gegenüber dem Aktivismus in anderen Texten deutlich. Dem klandestinen Autor zufolge erfüllt die Website ihre Mission mit jeder Veränderung der lokalen Situation. Der Begriff des Wandels ist in jedem Fall eng mit dem des Aktivismus verbunden. Es ist offensichtlich, dass nicht das Politische generell Zielscheibe dieses Projekts darstellt, sondern die Kunstpolitik der Kunstszene Serbiens und des Balkans.
Es stellt sich die Frage, ob die Anonymität von KünstlerInnen wirklich notwendig ist und worin die Gefahr besteht, die das Projekt oder die dahinter stehenden KünstlerInnen bedrohen würde. Offensichtlich kann in diesem Fall nur eine einzige Gefahr ausgemacht werden, nämlich die, dass das Projekt nicht in die Art von Ausstellungen aufgenommen wird, die in den Comics vehement kritisiert wurden. Sollten wir den KünstlerInnen Glauben schenken, dass es bereits 10.000 Besucher der Website gab: wahrscheinlich hatte keine der kritisierten Ausstellungen ein dermaßen großes Publikum. Jede Art von Urteil oder Rechtfertigung der Effekte dieser ambivalenten Strategie ist schwierig und problematisch.
Diese ausagierte Dissidentenschaft unter KünstlerInnen stellt ein wohlbekanntes Phänomen in Osteuropa dar. Es verdankt sich den komplexen kulturellen Bedingungen in den kommunistischen und post-kommunistischen Perioden, in denen es schwierig war, zwischen realer und inszenierter Gefahr zu unterscheiden. Die bekannte Aussage von Ranciere, dass es sich bei politischer Kunst immer um eine spezifische Aushandlung nicht zwischen Politik und Kunst, sondern zwischen den zwei Politiken des Ästhetischen handelt – oder die Deleuzianische Behauptung, dass ein wichtiges Merkmal der kleinen Literaturen darin besteht, dass alles in ihnen politisch ist, zählte zur besten Erfahrung unter KünstlerInnen in Osteuropa. Ob abstrakt oder realistisch, jede Kunst von nicht-kommunistischen KünstlerInnen konnte als gegen das kommunistische Regime gerichtet interpretiert werden, eine Interpretation, die sehr ähnlich klingt wie "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns".
Paradoxerweise setzten sich die Probleme mit dem Politischen nach der Auflösung des Kommunismus fort. Nun kommen die Protagonisten der Politisierung der Kunst jedoch aus dem Westen. Während der ersten Übergangsjahre war für Kunst aus dem Osten nur politische Kunst akzeptabel. Im Moment, da es so aussieht, dass politisch engagierte Kunst nun für die lokale Kunstszene leichter zu akzeptieren ist, gewinnt aktivistische Kunst an Prominenz in internationalen Kunstzirkeln. Die Transformationen der Sprache der Kunst veränderten sich nicht nur im Bereich der Sprache im Allgemeinen, sondern auch im Verhältnis von Sprache und Realität. Nach wie vor ist es schwierig, eine klare Unterscheidung zwischen den Oppositionen zu treffen – der Sprache der Kunst über das Politische und der Sprache der Kunst, die innerhalb des Politischen agiert. Die Paradoxien, die aus lokalen Bedingungen resultieren, verwischen diese grundlegende Differenz. Erst in jüngerer Zeit haben einige KünstlerInnen in Slowenien, Apolonija Custeric und Tadej Pogacar und in Kroatien, Andreja Kujunic und die Gruppe Platforma, oder Tanja Ostojic begonnen, im Bereich des Politischen zu arbeiten. Auf diese Weise haben sie die Sprache der Kunst erneut verändert und das alte abjekte Gefühl überwunden, das sich aus der Einbindung in die Sphäre des Politischen ergab.
Vor dem Hintergrund der einfachen Erzählung von Modernität und Postmodernität oder der klaren Opposition von reiner und engagierter Kunst, müssen wir die ursprüngliche und andauernde Spannung zwischen diesen beiden Politiken der Ästhetik erkennen, welche die Formen der Sichtbarkeit und Verständlichkeit mit sich bringen, die Kunst für uns als solche identifizierbar machen - diese beiden Politiken, welche letztlich zu ihrer eigenen Selbst-Unterdrückung führen: Es ist diese Spannung, welche das scheinbar einfache Projekt einer politischen oder "kritischen" Kunst untermauern und irgendwie auch unterminieren, welche der Politik dient, indem sie das Bewusstsein über Herrschaftsformen wach hält und auf diese Weise Energien des Widerstands oder der Rebellion stärkt. Dieses einfache Projekt wurde von Anfang an in der Spannung zwischen zwei entgegen gesetzten Formen der Politik aufgenommen: Kunst, die sich selbst unterdrückt, um Leben zu werden und Kunst, die Politik unter der Bedingung betreibt, überhaupt keine Politik zu machen.
[1] Vgl. Jacques Ranciere: The Politics of Aesthetics. http://theater.kein.org/node/view/99
[2] Julia Kristeva, Powers of Horror- An Essay on Abjection. New York: Columbia University Press. 1982, p. 10.
[3] Ebd. S. 2.
[4] Slavoj Zizek, "Why are Laibach and NSK not Fascists?" Ursprünglich veröffentlicht in M'ARS (Ljubljana: Moderna Galerija), Jg. 3/4. http://www.nskstate.com/appendix/articles/ whyarelaibach.php
[6] Ibid.
[7]
Ein Beispiel für eine solche Frage, die doppeldeutig
beantwortet wird, stammt aus dem Interview, das
Laibach dem slowenischen Magazin Mladina
gegeben hat. Mladina:
Meine letzte Frage: Seid ihr Faschisten oder nicht?
Laibach: Ist das nicht offensichtlich? http://www.ljudmila.org/embassy/3a/exc/l3.htm. Das provokativste
Interview ist nach wie vor das aus dem Jahr 1983
für das staatliche Fernsehprogramm, bei dem die
Mitglieder von Laibach in Uniformen auftraten. http://www.nskstate.com/laibach/interviews/
laibach-interviews.php