11 2018
8M – Der große feministische Streik
Vorwort
NiUnaMenos, NonUnaDiMeno, NotOneLess, nicht Eine weniger, nicht ein Mord an Frauen* mehr. Es reicht.
Die ersten Proteste von NiUnaMenos, damals ein Zusammenhang von Journalist*innen, Aktivist*innen und Künstler*innen in Argentinien, fanden am 26. März 2015 in Recoleta in Buenos Aires statt, nachdem Daiana García dort zehn Tage zuvor tot in einem Müllsack gefunden wurde. Der Name NiUnaMenos erinnert an die mexikanische Poetin und Menschenrechtsaktivistin Susana Chávez, die 1995 erstmals den Slogan „Ni una mujer menos, ni una muerta más“ („Nicht eine Frau weniger, nicht eine Tote mehr“) gegen die Vielzahl von Frauenmorden, von Femiziden in der mexikanischen Grenzstadt Ciudad Juárez verwendet hat. Auch sie wurde 2011, mit 36 Jahren, in ihrer Heimatstadt ermordet.
Wenige Wochen nach der ersten Protestaktion von NiUnaMenos fanden am 3. Juni 2015 erneut eindrucksvolle Märsche in Argentiniens größten Städten statt. Allein in Buenos Aires gingen 200.000 Menschen auf die Straße.[1] In Solidarität mit den massiven Mobilisierungen in Argentinien fanden am gleichen Tag auch Märsche und Kundgebungen gegen Gewalt gegen Frauen* in Uruguay, Chile und Mexiko statt.[2] Die Bewegung wurde viral und transnational. Zugleich richteten sich die Proteste nicht mehr nur gegen Frauenmorde. Sie wurden thematisch breiter und umfassten alle Formen geschlechtsspezifischer Gewalt und Diskriminierung. Sie richteten sich gegen heteronormative Zweigeschlechtlichkeit, Sexismus, Trans- und Homophobie und forderten die Legalisierung von Abtreibung sowie Rechte für Sexarbeiter*innen und Trans*gender Personen. Ein weiterer Slogan tauchte auf: #Vivas NosQueremos („Wir wollen uns lebend/ig“).
Für den 19. Oktober 2016 rief NiUnaMenos in Argentinien zum ersten feministischen Massenstreik auf.[3] Anlass gab die Ermordung der 16-jährigen Lucía Pérez, die von einer Gruppe von Männern brutal vergewaltigt und aufgespießt in der argentinischen Küstenstadt Mar del Plata gefunden wurde.[4] In der Öffentlichkeit wurde der Mord entpolitisierend als Drogengewalt oder als monströse Einzeltat verhandelt. NiUnaMenos setzte den Streik als politisches Instrument dagegen und wechselte die Kampf- und Analysestrategie: Quer zu allen Formen der Viktimisierung stellt der Streik Gewalt gegen Frauen* in einen breiten ökonomischen und sozio-politischen Kontext. Zugleich geht das Instrument des Streiks, wenn Frauen* überall dort streiken, wo sie arbeiten und tätig sind, weit über das klassisch gewerkschaftliche Verständnis von Streik hinaus. Es schließt die in keiner Gewerkschaft organisierten Arbeiter*innen der informellen Ökonomie ebenso ein wie die Sorgearbeiter*innen in den Ökonomien der privaten Haushalte und verweist auf die darin eingeschriebenen Ausbeutungs- und Gewaltverhältnisse. Männer, die Gewalt gegen Frauen* verüben, sind nicht als Einzelfälle zu betrachten, nicht einfach als Psychopathen. Vielmehr geht es darum, die sozio-politischen und ökonomischen Verhältnisse, die diese Gewalt hervorrufen, begünstigen und bagatellisieren, zu verstehen und zu bekämpfen. Der Streik der unzählbar Vielen setzt viel mehr aus als einfach nur Lohnarbeit.
Die Verharmlosung und Entpolitisierung des Mordes an Lucía Pérez und generell von Gewalt gegen Frauen*, die wiederkehrende Darstellung dieser Gewalt als „Beziehungstat“, „Tat aus Leidenschaft“, „Familientragödie“ oder „häusliche Gewalt“ ließ den Funken über die Grenzen springen. Sie führte zu feministischen Streiks, solidarischen Protesten und Demonstrationen auch in anderen, vornehmlich lateinamerikanischen Ländern: erneut in Chile, Uruguay, Peru und Mexiko, nun aber auch in Bolivien, El Salvador, Guatemala, Paraguay und unter dem gemeinsamen Motto des Kampfes NiUnaMenos ebenfalls in Spanien.[5] „Tocan a una, tocan a todas“ („Rühren sie eine an, rühren sie alle an.“). An die Seite der Trauer trat die Demonstration einer enormen kollektiven Kraft auf den Straßen, die Kraft des transnationalen feministischen Massenstreiks. Neue feministische Allianzen, heterogene Konfluenzen, ein mannigfaltiger Feminismus der Multituden. Vielfalt führte hier entgegen der Ideologie der traditionell national organisierten (gewerkschaftlichen) Arbeitskämpfe nicht zur Schwäche der Bewegungen, sondern zu ihrer Stärkung und transnationalen Ausdehnung.
Nach dem US-amerikanischen Women’s March in Washington am 21. Januar 2017 gegen die sexistischen, homo- und transphoben Äußerungen des gerade inaugurierten US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump sollte auch diese Bewegung einen breiteren Fokus entsprechend den lateinamerikanischen Vorbildern erhalten. Der Aufruf „Women of America: we’re going to strike“, der Anfang Februar 2017 veröffentlicht wurde, mobilisierte für einen großen Streik des „feminism for the 99%“.[6] Dieser Slogan bezog sich nicht nur auf die US-amerikanischen Occupy-Bewegungen der Jahre 2011 und 2012, sondern wollte auch darauf aufmerksam machen, dass der Angriff auf Frauen* und alle Arbeitenden bereits mit der Herausbildung von Neoliberalismus, Finanzialisierung und unternehmensorientierter Globalisierung in extremer Weise zugenommen hatte, vor allem auch für Women of Color, arbeitslose und migrantische Frauen. Die neue internationale feministische Bewegung sollte deshalb „anti-rassistisch, anti-imperialistisch, anti-heterosexistisch und anti-neoliberal“ auf einmal sein. Gewalt gegen Frauen* ist nicht zu trennen von der „Gewalt des Marktes, von Schulden, kapitalistischen Eigentumsverhältnissen und vom Staat; von der Gewalt diskriminierender Politiken gegen Lesben, trans* und queere Frauen*; von der Gewalt staatlicher Kriminalisierung von Migrationsbewegungen; von der Gewalt der massenhaften Einsperrung und der institutionellen Gewalt gegen Frauen durch Abtreibungsverbote und fehlenden Zugang zu kostenloser Gesundheitsversorgung und kostenloser Abtreibung.“[7] Unter dem Motto „A Day Without Women“ gingen am 8. März 2017 in den USA zwei Millionen Menschen auf die Straße.[8]
Bereits im Herbst und Winter 2016/2017 wurde weltweit an vielen Orten deutlich, dass der 8. März 2017 kein gewöhnliches Ritual zum Internationalen Frauentag sein würde. Die transnationale Bewegungswelle breitete sich in vielen Regionen der Erde weiter aus. Die NiUnaMenos-Bewegungen waren nicht nur Inspiration, sondern mit den Millionen von Frauen (und auch Männern) entscheidender Teil des ersten weltweiten Frauenstreiks am 8. März 2017.[9]
Diese Streiks und Märsche waren keineswegs nur ein spontaner Aufschrei über einzelne extreme Fälle sexueller Gewalt, die als letztlich nicht politische Ereignisse abgetan werden. Es war erst nach monate- und jahrelangen Organisierungen möglich, dass in Argentinien zwei große Frauenstreiks in weniger als einem Jahr organisiert werden konnten. Viele dieser Organsierungen entstanden in und aus freundschaftlich-informellen Zusammenhängen, andere bestanden formell seit vielen Jahren und Jahrzehnten. Entscheidend für die Organisierung der neuen Frauenbewegung in Argentinien waren die Zusammenhänge des seit über dreißig Jahren stattfindenden jährlichen dreitägigen Encuentro National de Mujeres (Nationale Frauenkonferenz), an dem Anfang Oktober 2016 in Rosario mehr als 70.000 Frauen auch aus anderen Ländern des Kontinents teilnahmen und in dessen Kontext der Femizid an Lucía Pérez bekannt wurde. Bereits 2003 nahmen die piqueteras, die Frauen aus der antikapitalistischen Arbeitslosenbewegung daran teil, die sich über Nachbarschaftsversammlungen und Aktionen gegen neoliberale Ausbeutung organisierten.[10] Ebenso gehören die Praxen und Strategien der Mütter der Plaza de Mayo, der wichtigsten Menschrechtsorganisation Argentiniens zur Genealogie der neuen Frauenbewegung.[11] Ausgehend von diesen historischen Linien gelang es im Laufe des Jahres 2016, die feministischen Bewegungen über „Single-Issue-Bewegungen“ hinaus zu entwickeln und transnationale kontinentale Allianzen gegen neoliberale Ausbeutung und Extraktivismus im Allgemeinen zu bilden. Mit dem feministischen Impetus entstand eine weltweite Bewegungswelle gegen kapitalistische und sozio-politische Herrschaftsverhältnisse, gegen ökonomische, soziale, politische und juristische Ungerechtigkeit.[12]
Die gegenwärtigen feministischen Kämpfe sind nicht nur vielheitlich und mannigfaltig in ihrer geopolitischen Ausdehnung und transversalen Ausrichtung, sie ziehen auch Linien durch die Zeit. Wie im auf vielen Demos gesungenen Lied: „Somos las nietas de todas las brujas que no pudieron quemar, pero es el momento de alzar nuestra voz y gritarle al mundo ¡NI UNA MAS!“ („Wir sind die Enkelinnen all der Hexen, die sie nicht verbrennen konnten, aber es ist Zeit unsere Stimme zu erheben und in die Welt zu schreien NICHT EINE MEHR!“).[13] Die diskontinuierlichen Zeitlinien der Verweigerung und des Bruchs aktualisieren auch die besondere Streiktheorie von Rosa Luxemburg am Beginn des 20. Jahrhunderts, in der der Massenstreik als eine revolutionäre Kraft vorgestellt wird, die ihre Richtung und die Bewegung ändert, aber nicht aufhört, sondern immer wieder ansetzt, dauerhaft von Neuem beginnt[14] – wie etwa auch beim Frauenstreik 1975 in Island, als 90% der Frauen vierundzwanzig Stunden lang im Kampf für gleichen Lohn ihre Arbeit niederlegten. Fünfundzwanzig Jahre später, im Jahr 2000, entstand die erste internationale Kampagne für einen weltweiten Frauenstreik, in dem alle Sorgearbeiten ausgesetzt werden sollten, um Lohn für Hausarbeit zu erkämpfen; statt ins Militär sollte in Sorge investiert werden.[15] Erst weitere siebzehn Jahre später, 2017, gelang ein Frauenstreik in sechzig Ländern.
Dieser gelungene weltweite Streik sollte in Spanien, wo Hunderttausende, vor allem junge Frauen auf die Straße gingen, allerdings nur einen Auftakt für den um ein Vielfaches größeren feministischen Streik vom März 2018 sein. Die feministische Welle setzte sich auch hier aus vielen Konfluenzen zusammen, die auf Praxen und Organisierungen der 2000er Jahre zurückgehen, auf die ersten Kampagnen für einen weltweiten Frauenstreik und auch auf die aktivistisch-theoretischen Überlegungen des Madrider Kollektivs Precarias a la deriva von 2002/2003, die zu einem antikapitalistischen Sorgestreik aufriefen – einer neuen Form des politischen Streiks, der sich „auf all jene Praxen bezieht, die den uneingeschränkt politischen Charakter der Sorge freilegen, [...] die Nachhaltigkeit des gemeinsamen Lebens ins Zentrum rücken, die kapitalistische Akkumulationslogik in ihrem Kern herausfordern“[16].
Bereits im Herbst 2017 fingen immer mehr Frauen* an immer mehr Orten in Spanien, in immer mehr Nachbarschaften, in immer mehr Versammlungen an, sich zur Vorbereitung des feministischen Streiks zu treffen und auszutauschen. In regelmäßigen regionalen und landesweiten Treffen wurden Strategien und Aufgaben besprochen und verteilt. Spenden wurden gesammelt, überall waren Plakate und Flyer zu finden, die Presse berichtete ausgedehnt über diese immer größer, immer allgegenwärtiger werdende Welle einer neuen feministischen Bewegung, die so viele zu erfassen schien. Schüler*innen planten die Stilllegung ihres Unterrichts, ganze Universitäten streikten. Die Organisierung fand in engem Austausch mit Aktivist*innen in Argentinien und vielen anderen Ländern statt. Es gab eine breite Allianz mit vielen Organisationen und Gewerkschaften. Und trotz alledem war es nicht vorherzusehen, wie viele wirklich mitmachen würden; wie viele für mindestens zwei Stunden, wenn nicht den ganzen Tag ihre Arbeit niederlegen und auf die Straße gehen würden. Und dann wurden es bis zum Mittag des 8. März 2018 immer mehr, über eine Million in Madrid. Sechs Millionen Frauen (und auch Männer) beteiligten sich in über 300 Städten in ganz Spanien an diesem größten Streik nicht nur in der Geschichte des Landes, sondern in ganz Europa.[17]
Im europäischen, auch im deutschsprachigen Raum häufen sich die Anzeichen für eine ähnliche Welle. Geschlechtsspezifische Ausbeutungs- und Gewaltverhältnisse sowie die strukturelle Abwertung von Sorge sind nicht auf den „globalen Süden“, und auch nicht auf den Süden und Osten Europas begrenzt. Gewalt gegen Frauen in hierarchischen, patriarchalen und machistischen Geschlechterverhältnissen ist keine Frage der Entwicklung, sie lässt sich nicht als ein außereuropäisches oder ein Problem von Anderen projizieren. Sie ist Effekt und Symptom von Herrschaftsverhältnissen, die grundlegend sind für kapitalistische und bürgerliche Gesellschaften. In Deutschland geschieht jeden Tag eine Tötung oder versuchte Tötung einer Frau durch ihren Partner. Laut der polizeilichen Kriminalstatistik wurden 2016 149 Frauen durch ihren Ehemann oder Expartner umgebracht, 208 Frauen überlebten den Tötungsversuch mit lebensbedrohlichen Verletzungen. Offiziell werden diese Femizide noch immer als „Beziehungstaten“ benannt, die Statistik erfasst nur Tötungen im Rahmen von Beziehungen, die Medien sprechen oft noch weiter entpolitisierend von „Familientragödien“. Es fehlen genauere Statistiken über Körperverletzungen und Vergewaltigungen mit Todesfolge außerhalb des häuslichen Bereichs, und es fehlen offizielle Daten über Morde an und Gewalt gegen Trans*frauen oder mehrfach diskriminierte Frauen*.[18] Im deutschsprachigen Raum werden Femizide von Politik und Medien nicht als Ausdruck struktureller geschlechtshierarchischer Machtgefüge diskutiert, Morde an Frauen* gelten allenthalben als Probleme bestimmter Schichten oder anderer Nationalitäten. Auch in Österreich fehlen genauere Statistiken, obwohl seit langem klar ist, dass Gewalt gegen einzelne Frauen* in der Regel aus dem Nahfeld begangen wird und nicht von Fremden. Soweit es Statistiken gibt, hat es in Österreich von 2012-2015 mehr Femizide in Beziehungskontexten gegeben als in Spanien.[19]
Im Oktober 2018 gibt es deutliche Anzeichen für eine viel stärkere Organisierung und Mobilisierung als in den Jahren zuvor.[20] An vielen Orten ist bereits von Vorbereitungen zum ersten bundesweiten Treffen Anfang November in Göttingen zu hören, um am
8. März 2019 auch aus Deutschland einen viralen feministischen Streik sich ereignen zu lassen.[21] Immer wieder wird an den letzten großen Frauenstreik in Deutschland am 8. März 1994 erinnert. Schon damals wurde mit einem erweiterten Streik- und Arbeitsverständnis operiert, und schon damals richtete sich der Streik gegen den Abbau von Sozialleistungen, zunehmende Armut und Umweltzerstörung.[22]
Von der Gewalt gegen Frauen* als Ausdruck struktureller Gewalt auszugehen, von der strukturellen Abwertung von Sorge und Reproduktion, von ökonomischen und sozio-politischen Herrschaftsverhältnissen der Diskriminierung, Ausgrenzung und Abschiebung, bedeutet, die aktuellen feministischen Kämpfe, die Allianzen so vieler Bewegungen und Initiativen umfassen, immer als intersektionale und transversale Kämpfe zu verstehen. Das ist der Gewinn des Streiks als politisches transnationales feministisches Instrument, das für eine Multitude an Akteur*innen offen ist, nicht allein für Frauen*, sondern etwa auch für prekäre und migrantische Arbeitende. Die transnationale feministische Streikwelle richtet sich gegen Rassismus, gegen geschlossene Grenzen und ausschließende Natio-nalismen, gegen militaristische, rechtsextreme und rechtspopulistische Maskulinismen, gegen neoliberale kapitalistische Ausbeutungsverhältnisse und gegen den „Anti-Genderismus“, der nicht zuletzt auch stark vom Vatikan und der katholischen Kirche betrieben wird.[23] Es sind riesige Demonstrationen, an denen Millionen teilnehmen und die weltweit eine ungeheure neue feministische und queere Kraft entfalten, eine gewaltige Welle, die alles überschwemmen kann.
Rubia Salgado schreibt in ihrer Rede, die sie gegen die neoliberale, rechtsextreme und rechtspopulistische österreichische Regierung bei der neuerlichen Donnerstagsdemo Anfang Oktober 2018 auf dem Wiener Ballhausplatz gehalten hat:
Und ich und wir dort, wo wir uns täglich bewegen, wir Queer Feminist_innen, Migrant_innen und Geflüchtete, denen es gelungen ist, hier lebendig anzukommen, trotz der täglichen Schmerzen, die unseren Alltag markieren, trotz Anspuckungen im Bus, trotz Beschimpfungen, trotz Schikanen, trotz Abschiebungen, trotz reduzierter Mindestsicherung, trotz Angst, trotz verschimmelter Wohnungen, trotz Rassismus auf der Straße, auf Ämtern, in Krankenhäusern und Schulen, trotz rassistischer, mörderischer Migrationspolitik, trotz Pessimismus des Verstandes bewegen wir uns im Optimismus des Willens, bewegen wir uns in der Konfrontation, im Kampf um ein besseres Leben für alle, hier, überall und jetzt.
Ja, Optimismus!
Sie werden uns nicht zum Schweigen bringen, sie werden uns nicht zerstören. Sie sind verzweifelt, weil wir machtvoll sind, weil die Konformität nicht so verbreitet ist, wie sie sich wünschen oder vorstellen hätten können, weil unsere Welten lustvoller und machtvoller als ihre enge Welt der konservativen und reaktionären Werte sind, weil Politiken der Ausgrenzung, der Demütigung, der Ausbeutung über uns stolpern müssen. Wir lassen sie unsere Errungenschaften nicht zerstören.[24]
Berlin, im Oktober 2018
aus:
8M - Der große feministische Streik
Konstellationen des 8. März
Verónica Gago, Raquel Gutiérrez Aguilar, Susana Draper, Mariana Menéndez Díaz, Marina Montanelli, Marie Bardet / Suely Rolnik
Aus dem Spanischen von Michael Grieder und Gerald Raunig
Mit einem Vorwort von Isabell Lorey
transversal texts, November 2018
https://transversal.at/books/8m
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[1] Neuerlichen Anlass für die Proteste gab die Ermordung der 14-jährigen Chiara Paez, die schwanger war, brutal geschlagen und lebendig vergraben, kurze Zeit später tot unter dem Haus ihres 16-jährigen Freundes gefunden wurde.
[2] In Peru mobilisierte die Initiative NiUnaMenos am 13. August 2016 zum größten Marsch in der Geschichte Perus. Allein in Lima kamen 150.000 Menschen gegen Gewalt gegen Frauen und gegen die zugunsten der Täter entscheidende Justiz zusammen (https://larepublica.pe/sociedad/963798-la-mas-grande-de-la-historia).
[3] Der Streik bestand in einer einstündigen Pause von Arbeit und Studien, die Streikenden waren an diesem „Schwarzen Mittwoch“ („Miércoles negro“) in Trauer gekleidet.
[4] Die argentinische Anthropologin Rita Segato verwies auf das durch die Pfählung aufgerufene koloniale Imaginäre, die Aktualisierung kolonialer Gewalt, auch weil die Tat am Vorabend des Kolumbus-Tages stattfand. Das kollektive Unbewusste wird an Frauenkörpern exorziert, so Verónica Gago („Argentina’s Life-and-Death Women’s Movement“. Interview, in: Jacobin, 7. März 2017, https://www.jacobinmag.com/2017/03/argentina-ni-una-menos-femicides-women-strike/).
[5] Eine Woche später dann auch in Brasilien. – In Polen hatte nach anhaltenden starken Protesten vor allem von Frauen das Parlament am 6. Oktober 2016 den von einer ultra-konservativen Bürgerinitiative eingebrachten Antrag auf weitere Verschärfung des ohnehin strengsten europäischen Abtreibungsparagraphen mit großer Mehrheit abgelehnt. Die konservative PiS-Regierung hatte sich zunächst hinter den Antrag gestellt, doch aufgrund der Proteste ihre Position geändert.
[6] Vgl. den im Guardian veröffentlichten Aufruf „Women of America: we’re going on strike. Join us so Trump will see our power“ von Linda Martín Alcoff, Cinzia Arruzza, Tithi Bhattacharya, Nancy Fraser, Barbara Ransby, Keeanga-Yamahtta Taylor, Rasmea Yousef Odeh und Angela Davis (https://www.theguardian.com/commentisfree/2017/feb/06/women-strike-trump-resistance-power).
[7] Ebd.
[8] Zu weiteren weltweiten Aktionen und Demonstrationen siehe https://www.theguardian.com/world/2017/mar/08/international-womens-day-women-close-schools-occupy-farms-and-go-on-strike.
[9] In der Türkei fanden 2017 und 2018 am 8. März mit vielen tausend Teilnehmenden die größten nicht regierungstreuen Demonstrationen seit einigen Jahren statt. In Irland protestierten am Internationalen Frauenstreiktag – inspiriert von den großen Protesten in Polen im Oktober 2016 – unter dem Motto „Strike 4 Repeal“ in vielen Städten Zehntausende für die Abschaffung des rigiden Abtreibungsparagraphen, der Abtreibung unter fast allen Umständen verbot. Nach weiteren Potesten auch am 8. März 2018 und zudem massiv vorangetrieben durch das Referendum am 25. Mai 2018 wird der Paragraph so reformiert, dass Abtreibung in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen legal ist. Seit Oktober 2016 hält in Südkorea – ebenfalls durch den Erfolg der polnischen Frauen* inspiriert – der massive „Schwarze Protest“ für die Abschaffung des Abtreibungsgesetzes und für reproduktive Selbstbestimmung an.
[10] Vgl. Gago, „Argentina’s Life-and-Death Women’s Movement”.
[11] Seit 1977 kämpfen die Mütter von Opfern der Militärdiktatur gegen den Terrorismus des Staates.
[12] Zu den Genealogien der feministischen Streikbewegung in Italien und den vielfältigen Allianzen gegen Gewalt und Femizide, die am 26. November 2016 in Rom mit 200.000 Teilnehmenden zum größten Marsch seit Jahren führten, siehe Paola Rudan: „The Strike that Made a Difference“, in: Critical Times, Nr. 1 (2018), S. 241-246 (siehe dort auch weitere Texte zum transnationalen feministischen Streik). Am nächsten Tag versammelten sich mehr als 2.000 Menschen, um darüber zu diskutieren, wie die Proteste weitergehen sollten. Am 8. März 2017 nahmen in Italien mehr als sechzig Städte am weltweiten Frauenstreik teil. Und wie NiUnaMenos weitete auch die italienische Initiative Non Una di Meno die Proteste zu solchen gegen die gesamte neoliberale Ordnung aus.
[13] Eines der inspirierenden Bücher hierzu ist Silvia Federici: Caliban und die Hexe. Frauen, der Körper und die ursprüngliche Akkumulation, Wien: Mandelbaum 2012.
[14] Vgl. Rosa Luxemburg: „Massenstreik, Partei und Gewerkschaften“ [1906], in: Dies.: Politische Schriften, Frankfurt a.M.: Athenäum 1986, S.135-228.
[15] Frauen aus mindestens neun Ländern beteiligten sich an der Organisation: aus Spanien, Italien, Irland, Indien, Peru, Haiti, den USA und Guyana.
[16] Precarias a la deriva: Was ist dein Streik? Militante Streifzüge durch die Kreisläufe der Prekarität, Wien u.a.: transversal texts 2014, S. 109.
[17] Obwohl sich die konservativen Parteien, der regierende Partido Popular und die rechtsliberalen Ciudadanos, gegen den Streik aussprachen, befanden 82% der Spanier*innen in einer repräsentativen Umfrage, dass es gute Gründe zu streiken gäbe.
[18] Die EU fordert detaillierte Statistiken ein, eine Forderung allerdings, der viele Länder, darunter Deutschland und Österreich, nicht vollumfänglich nachkommen.
[19] Der Standard vom 8 April 2018: „Mehr Morde an Frauen in Familien“.
[20] Siehe unter anderem auch die Ausgabe der Zeitschrift LuXemburg vom September 2018 mit dem Schwerpunkt „Am fröhlichsten im Sturm – Feminismus“. Pdf online unter https://www.zeitschrift-luxemburg.de/
[21] Alle aktuellen Infos unter frauenstreik.org.
[22] Genauer hierzu siehe Gisela Notz: „Wir wollen Brot und Rosen“, in: Ada Magazin, 23. September 2018, https://adamag.de/frauenstreik-1994-wir-wollten-brot-und-rosen.
[23] Vgl. „Fünf Warnungen von Papst Franziskus zur Gender-Ideologie“ von 2015-2016, aufgelistet von der Catholic News Agengy (CNA) am 2. Dezember 2016, https://de.catholicnewsagency.com/story/funf-warnungen-von-papst-franziskus-zur-gender-ideologie-1391; siehe auch Sabine Hark und Paula-Irene Villa (Hg.): Anti-Genderismus. Sexualität und Geschlecht als Schauplätze aktueller politischer Auseinandersetzungen, Bielefeld: transcript 2015.
[24] Rubia Salgado: „Willst du Samba“, 4. Oktober 2018, online in mehreren Sprachen siehe https://transversal.at/blog/willst-du-samba.