06 2013
Übersetzen jenseits von Europa
Übersetzt von Birgit Mennel
Was bedeutet es, die beiden Begriffe „Europa“ und „Übersetzung“ zusammenzubringen, wie im Titel des Projekts „Europa als Raum in Übersetzung“? Zunächst viel mehr als das, was der allgemeine Menschenverstand oder auch, wie wir zeigen werden, ein historisch spezifischer, politisch befangener, kulturell spezifischer und ideologisch geformter hegemonialer Geist sowohl unter Übersetzung als auch unter Europa versteht. Nehmen wir für den Anfang den ebenfalls im Titel angesprochenen Begriff „Raum“: Wenn wir sagen, Europa ist „ein Raum in Übersetzung“, meinen wir dann tatsächlich, dass Europa ein bereits gegebener Raum ist, zum Beispiel im Sinne eines politischen Raums, in dem viele Übersetzungen – das heißt, sprachliche Übersetzungen – stattfinden? Oder sind wir einen Schritt weitergegangen und setzen voraus, dass es wohl vor allem Übersetzung war, die Europa zu einem gemeinsamen Raum gemacht hat, wobei wir Übersetzung in einem viel weiteren Sinn als rein sprachlich verstehen? Die zweite Option steht offensichtlich in Konflikt mit der historischen Erzählung über die Ursprünge Europas – wenn wir an Europa nicht in einem geographischen, kulturellen oder mythologischen, sondern vielmehr in einem politischen Sinn denken, das heißt konkret, wenn wir an die Europäische Union denken.
Im Dienst von Eros?
Ihrer „offiziellen“ Geschichte zufolge hat die Europäische Union zwei Ursprünge. Der erste ist ein sehr moralistischer: Nach dem Trauma des 2. Weltkriegs entschlossen sich die Europäer_innen dazu, sich zu vereinigen, weil sie glaubten, dass eine politische Integration den Kontinent vor der Wiederkehr von Gewalt und Kriegen schützen werde. Der zweite Ursprung ist fast schon zynisch und widerlegt den ersten: Gemäß diesem Verständnis entstand Europa während der 1950er aus rein ökonomischen Interessen. Was Europa politisch zusammenführt, ist der gemeinsame Markt, nicht das Ideal des ewigen Friedens.
Trotz ihrer inneren Widersprüche schafft die Theorie – oder sollten wir eher sagen: der Mythos? – der beiden Ursprünge der europäischen Integration das allgemeine liberaldemokratische Rahmenwerk für das übliche Verständnis der Rolle der Übersetzung in diesem Prozess, und bietet auch eine klar vorab bestimmte politische Bühne, auf der diese Rolle zur Aufführung kommt. Die Rolle der Übersetzung ist selbstverständlich positiv. Übersetzung scheint auf der guten Seite der Geschichte stattzufinden: Sie hilft Menschen, sich zu integrieren, verhindert Konflikte und Kriege, fördert das Wohlergehen und wirkt sich insgesamt begünstigend auf das menschliche Gedeihen aus. Die Europäer_innen wollen sich integrieren, aber auf dem Weg zu diesem Ziel taucht ein Hindernis auf: ihnen fehlt eine gemeinsame Sprache. Zum Glück ist da Übersetzung, die sie bei ihrer gegenseitigen Verständigung unterstützt. Dieser Zugang stimmt vollkommen mit einem naiven, allgemein verbreiteten Verständnis überein, das Übersetzung als ein neutrales, rein sprachliches Werkzeug zur Verbindung von Menschen versteht, die von Natur aus durch Sprachdifferenzen getrennt sind. Und er entspricht auch praxisorientierten Übersetzungstheorien, die in der wissenschaftlichen Ausbildung von Dolmetscher_innen und Übersetzer_innen gelehrt und umgesetzt werden. So gesehen erscheint Übersetzung als eine Sprachpraxis, die a priori durch ihre positive Teleologie bestimmt ist. Unabhängig davon, wo und wie sie zum Einsatz kommt, wird sich Übersetzung immer nutzbringend auf eine gegebene Situation auswirken, wenn sie korrekt durchgeführt wird (das heißt, wenn sie sich nach dem Prinzip der Treue richtet). So also wird imaginiert, dass Übersetzung immer schon im Dienst eines freudianischen Eros steht, dass ihr allgemeines Ziel, im Gegensatz zum destruktiven Ziel des Thanatos, darin besteht, Leute aneinander zu binden, Leben zu schaffen, Produktivität und Konstruktion zu fördern. Diese intrinsisch positive Bedeutung der Übersetzung ist selbst ein Effekt davon, dass sie als ein rein sprachliches Phänomen, bzw. konkreter als ein bloß sprachliches Werkzeug der Mitteilung verstanden wird. Übersetzung erscheint so als eine kognitiv objektive, politisch unvoreingenommene, sozial neutrale, ökonomisch produktive, kulturell stimulierende und moralisch unschuldige Sprachpraxis. Dieses Verständnis der Übersetzung wird insbesondere durch das allgemein übliche Bild gestärkt, dass di_e Übersetzer_in oder Dolmetscher_in irgendwo im Dazwischen ihren Platz hat: hier zwischen zwei Politiker_innen, die miteinander sprechen, dort zwischen den Produzent_innen und Konsument_innen eines Produkts, und schließlich ganz allgemein zwischen eine_r Autor_in, die einen Text in einer Sprache geschrieben hat, und ihren Leser_innen, die ihn in einer anderen lesen, also zwischen der Literatur oder Philosophie einer Kultur und ihren Rezipient_innen in einer anderen. – Kurz, di_e Übersetzer_in steht, zwischen zwei Sprachen und/oder zwei Kulturen, die immer schon verschieden, das heißt, auf „natürliche“ Weise von einander getrennt sind, ehe eine Übersetzung stattfindet, die ihnen hilft, sich miteinander zu verbinden und einander mitzuteilen.
Wie natürlich und selbstverständlich dieses Bild de_r Übersetzer_in sowie dieses Verständnis von Übersetzung uns heute auch scheinen mögen, es handelt sich doch um historisch spezifische Bilder mit ideologischer Rahmung. In der Vergangenheit begriff die Übersetzungstheorie diese Sprachpraxis zudem auf eine ganz andere Weise. Für deutsche romantische Philosophen sowie Sprach- und Literaturtheoretiker ist Übersetzung alles andere als sozial neutral und politisch unbefangen. Bei Wilhelm von Humboldt, zum Beispiel, hat sie immer eine sozial formierende Funktion; konkret spielt sie eine entscheidende Rolle bei dem, was er die Bildung[1] (Erziehung, Ausbildung, Aufbau, Schaffung) einer Nation nennt. Und genau aufgrund dieser Funktion kann Übersetzung selbst nicht moralisch neutral sein. Wenn di_e Übersetzer_in bei der Übersetzung fremder Texte nicht durch dieses Interesse geleitet wird, also durch die Idee der Bildung ihrer Nation, kann ihre Übersetzung, zum Gegenteil einer patriotischen Errungenschaft werden. Auf diese Weise macht sich di_e Übersetzer_in eines destruktiven Umgangs mit der Sprache und der Kultur ihrer Nation schuldig, und setzt damit deren eigentliches Wesen, oder wie wir heute sagen würden, deren Identität, aufs Spiel. Deutsche romantische Übersetzungstheoretiker unterschieden in einer eindeutig politischen Weise zwischen verschiedenen Methoden literarischer Übersetzung. Sie machten einen Unterschied zwischen der sogenannten deutschen Übersetzungsschule und der französischen Schule, deren Ziel zu dieser Zeit – der Zeit der Napoleonischen Kriege – in der Herausbildung einer patriotischen Haltung bestand. Die Idee eine_r Übersetzer_in, die sich im Zwischenraum von Originaltext und seiner Übersetzung positioniert, die also zu zwei verschiedenen Sprachen, Kulturen oder Nationen eine gleichermaßen distanzierte Position einnimmt, war auch Schleiermacher fremd. In der Übersetzung gibt es für ihn keinen Raum für Neutralität und Äquidistanz. Di_e Übersetzer_in lässt entweder die Leser_innen in Ruhe und bewegt di_e Autor_in auf sie zu, indem sie den Originaltext so klingen lässt, als wäre er in der Sprache der Übersetzung geschrieben. Oder sie lässt di_e Autor_in in Ruhe und führt die Leser_innen durch eine Verfremdung der Übersetzungssprache zu ihr hin.[2] Die letztere, die sogenannte wörtliche (Wort für Wort) Methode, die Schleiermacher bevorzugte, galt als „deutsch“. Sie gab dem „foreignizing“ den Vorzug vor der Domestizierung der Übersetzungssprache, das heißt, sie begrüßte das Fremde (W. v. Humboldt) als einen kulturellen Wert, der zur Sprache und Kultur de_r Übersetzer_in hinzutrat. Kurz, sie war teleologisch in die Politik des Aufbaus der Nation eingeschrieben. Darum galt die „deutsche“ Methode auch als „nationalistisch“. Und ob sie nun nationalistisch war oder nicht, es handelte sich um eine reflektierte politische Stellungnahme mit konkreten sozialen und kulturellen Konsequenzen.
Übersetzung als Mittelweg
Das Bild de_r Übersetzer_in als einer Mittelsperson scheint nicht weniger eine politische Stellungnahme zu sein. Und es handelt sich in der Tat um eine Stellungnahme gegen nationalistische Politiken.[3] Sie projiziert auf di_e Übersetzer_in, die in der Mitte zwischen Sprachen und Kulturen verortet ist, eine beträchtliche politische Handlungsmacht, deren emanzipatorische, nicht nationalistische Effekte aus der Vermischung sprachlicher und kultureller Identitäten entstehen und subnationale, interkulturelle Gemeinschaften fördern. Gerade durch die Einführung eines dritten Terminus demontiert sie auch die binäre Struktur der traditionellen Übersetzungstheorien und deren angeblichen intrinsisch nationalistischen Charakter. Doch zugleich entspricht dieses Übersetzungskonzept in seiner politischen Bedeutung perfekt der herrschenden Ideologie unseres Zeitalters, das die westliche liberale Demokratie als letzte Stufe der politischen Geschichte der Menschheit versteht. Sie verweist auf ihren postpolitischen, und konkreter noch, ihren postkonfliktuellen Charakter. Heute scheint es für eine_n liberale_n Demokrat_in keinen besseren Platz zu geben als in der Mitte, die von allen radikalen, exklusiven Äußerungen gleich weit entfernt ist, immer auf Distanz zu den sogenannten Extremen, weder rechts noch links, immer neutral und objektiv in allen Urteilen. Die abstrakte Idee einer mittleren Position als einem geeigneten Platz für eine authentische demokratische Haltung scheint automatisch Toleranz sowie einen friedfertigen Umgang mit politischen Kontroversen und Konflikten zu gewährleisten. So verstanden ähnelt die Figur de_r Übersetzer_in der Statue der Justitia mit Waage und Augenbinde – aber ohne Schwert. So wird die Fähigkeit symbolisiert, entgegengesetzte Argumente richtig abzuwägen, um so ohne Vorurteil oder Bevorzugung einen fairen und gerechten Urteilsspruch zu fällen: eine Verkörperung von Wahrheit, Unvoreingenommenheit, Gleichheit, Fairness und zugleich völliger Unschuld, da auf keinerlei Gewalt zurückgegriffen werden muss, nicht einmal auf die Bestrafung, die zur Durchsetzung eines unanfechtbaren Rechtsgrundsatzes verhängt wird.[4]
Ein_e Übersetzer_in in der Mitte ist immer ein_e gute_ Übersetzer_in. Selbst wenn ihre Übersetzungen schlecht sind, werden sie immer gute politische Konsequenzen nach sich ziehen – für die liberale Demokratie selbstverständlich. Außerdem evoziert diese Figur, wenn auch implizit, eine weitere Identifikation, eine soziale Identifikation mit der wachsenden globalen Mittelschicht, die automatisch als das Klassensubstrat liberaler Demokratie wahrgenommen wird.[5] Wo, wenn nicht in der Mitte, kann ein_e Übersetzer_in sozial stehen, wenn sie für globale Demokratie eintritt?
Die Vision einer Übersetzung, die wesentlich in der Mitte zwischen verschiedenen Sprache und/oder Kulturen stattfindet und diese Mitte kulturell generiert, beabsichtigt mit ihrer Kritik, binäre Übersetzungstheorien zu unterminieren, indem sie diese beschuldigt, Nationalismen ideologisch zu stützen. Doch mit dem schmutzigen Bad des Binarismus schüttet sie auch ein Kind aus, nämlich den antagonistischen Charakter des Politischen. Übersetzung wird selbst zu einer politischen Handlungsmacht, die – durch Vermischung, Dekonstruktion oder Hybridisierung sprachlicher und kultureller Identitäten –, automatisch emanzipatorische Effekte produziert. Dieses Übersetzungskonzept klammert den konfliktuellen Begriff von Politik aus, der auch Gewalt, Terror oder Kriege beinhaltet (also eigentlich recht übliche Formen politischen Lebens – und Todes – in der heutigen Welt) und den „unschuldige“ Subjekte nicht teilen können. Dieses konfliktuelle Politikverständnis wird implizit auf das Außen der sogenannten westlichen demokratischen Welt projiziert, als Zeichen einer historischen und kulturellen Verspätung, die automatisch verschwinden wird, wenn der Aufholprozess zu westlichen Normen und Standards erst erfolgreich zu Ende gebracht ist – wobei diese Normen selbstverständlich gleichbedeutend mit universellen Werten sind.[6] Folgerichtig wird dieses Außen auch von dem ausgeschlossen, was heute ideologisch als der europäische politische Raum wahrgenommen wird. Wohin und wie auch immer wir daher Übersetzung in den europäischen Raum einführen, sie wird stets auf der guten Seite landen. In anderen Worten, jede Übersetzung in der EU ist eine eu-Übersetzung im Sinne des griechischen Präfixes „εὖ“ („gut“).
Jede_r möchte ein Original sein
Diese Perspektive kommt auch in der konkreten Übersetzungspraxis in der Europäischen Union deutlich zum Ausdruck. In seinem schönen Buch zu Übersetzung Was macht der Fisch in meinem Ohr?[7] argumentiert Bellos, dass die Sprachpolitik der EU eine revolutionäre Wende erkennen lässt: „Anders als alle früheren Imperien, Gemeinschaften, Verträge und internationalen Organisationen spricht die EU weder eine einzige Sprache noch eine endliche Anzahl von Sprachen. Sie spricht in allen Sprachen, die sie braucht, welche auch immer das sein mögen.“[8] In anderen Worten, alle Sprachen der EU – im Moment gibt es 23 davon – sind als offizielle Sprachen der EU anerkannt. Es geht hier um das Prinzip der Gleichheit zwischen den Sprachen, die in der EU institutionell anerkannt wurden. Bellos sieht darin eine historische Bewegung, die auf einem klaren politischen Willen beruht, neue Sprachpraxen zum Ergebnis hat und neue Sprachphänomene erzeugt. Als Beispiel einer solchen neuen Praxis dient ihm der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. Dieser hat eine einzige Arbeitssprache, nämlich Französisch. Alle vom Gericht verwendeten Dokumente werden daher entweder auf Französisch verfasst oder ins Französische übersetzt. Die Fälle werden indes in der Sprache eines bestimmten Mitgliedsstaats vor Gericht gebracht, sodass die Sprache des jeweiligen Staates zur Sprache des Falls wird. Gleichwohl werden die Rechtsmeinungen des EuGH erst dann veröffentlicht und wirksam, wenn sie in alle 23 offiziellen Sprachen der Union übersetzt sind. Man könnte daher annehmen, dass es eine Menge Arbeit für Übersetzer_innen am EuGH gibt. Falsch! Der EuGH beschäftigt an sich keine Übersetzer_innen. Die Sprachexpert_innen in dieser Institution sind auch Anwält_innen, die Zugang zu vertraulichem Material haben, die denselben Verfahrensregeln unterliegen wie Anwält_innen und deren Meinungen auch in die Entwürfe einfließen. Es gibt also keine klare Grenze zwischen dem Verfassen eines Gesetzes und seiner Übersetzung. Das bedeutet aber auch, dass keine Gesetzesfassung Übersetzung genannt werden kann, da alle Fassungen Originale sind. Bellos lässt ein_e Forscher_in zu Wort kommen, die diese Sprachpraxis untersucht hat: „Die einzigartigen situationsbedingten Faktoren in der Herstellung Europäischer Rechtsprechung haben zu einer Hybridisierung von Gesetz und Sprache geführt.“ David Bellos glaubt, dass in diesem besonderen Fall „die Bedeutung und Grammatik von 23 Sprachen in einer ganz eigenen EuGH-Sprachkultur verschmolzen sind, einer Sprachkultur sui generis, in Saussures Worten, oder ‚Eurosprech‘ in gewöhnlicher Sprache.“[9]
Wenn es in der EU um Übersetzung geht, ist der Fall des EuGH nichts Außergewöhnliches. Selbstverständlich gibt es in den Institutionen der Europäischen Union eine Menge Übersetzungen, doch zu behaupten, dass deren administrative Abteilungen eine Art Raum in Übersetzung erzeugen, wäre zumindest offiziell … eine politisch inkorrekte Erklärung. Den grundlegenden Sprachregeln der EU zufolge findet in ihren administrativen Institutionen keinerlei Übersetzung statt.
Die Sprachregel, um die es hier geht, wurde ursprünglich im Artikel 248 des Vertrags von Rom 1957 festgelegt. Dieser lautet folgendermaßen: „Dieser Vertrag ist in einer Urschrift in deutscher, französischer, italienischer und niederländischer Sprache abgefasst, wobei jeder Wortlaut gleichermaßen verbindlich ist […].“[10]
Mit jeder der folgenden Erweiterungen der EU wurden neue Sprachen hinzugefügt, die alle gleichermaßen verbindlich sind. Und doch finden sich in dem riesigen Haufen von Dokumenten und Texten, die von der EU produziert werden, keine Übersetzungen. Alle Texte sind, um das Zitat nochmals zu bemühen, eine „Urschrift in deutscher, französischer, italienischer […] Sprache.“ Alles ist also das Original. Es gibt keinerlei Übersetzungen. Ist das nicht merkwürdig?
Unter dieser Oberfläche, die nur Originale zulässt, findet sich jedoch eine gewaltige Übersetzungsmaschinerie der EU, die sogenannte GD Übersetzung (Generaldirektion Übersetzung), der interne Übersetzungsdienst der Europäischen Kommission, in dem derzeit nahezu 1800 Linguist_innen und 600 Personen als Unterstützungspersonal beschäftigt werden. Tatsächlich sind also alle Sprachen der EU in unterschiedliche Formen und Ebenen der Übersetzungspraxis involviert.
Wenn dem so ist, warum dann diese Diskrepanz zwischen der Realität einer allgegenwärtigen Übersetzungspraxis einerseits und der offiziellen Leugnung dieser Übersetzungsrealität andererseits, also konkret dem offiziellen Beharren auf Originalität und Authentizität aller Produkte eben dieser Übersetzungspraxis? Warum diese Nichtanerkennung von Übersetzung, die Nichtanerkennung des eigentlichen Ursprungs aller offiziellen Dokumente der EU in der Übersetzung? Warum schämt sich die EU so sehr für ihre Übersetzungspraxis und ist so erpicht darauf, sich der exklusiven Originalität und Authentizität ihrer Worte zu rühmen? Und schließlich: Warum über Europa als Raum in Übersetzung sprechen, wenn es sich vielmehr um den Raum einer verleugneten Übersetzung handelt?
Wo Bellos eine revolutionäre Wende ausfindig gemacht zu haben glaubt, treffen wir auf nichts anderes als auf eine Fortsetzung desselben Musters – des traditionellen linguistischen Konzepts von Übersetzung, das perfekt der Konstruktion und Reproduktion politischer Gemeinschaften dient, die auf Souveränität basieren.
Übersetzung: die Muttersprache des Souveräns
Für einen Souverän ist es wesentlich, dass er nur eine einzige Sprache spricht. Während sein Wort immer in irgendeine andere Sprache übersetzt werden kann, kann er selbst niemals eine Übersetzung sein. Darum muss, wie im Fall der EU, seine Behauptung von Originalität und Authentizität notwendigerweise die Übersetzungspraxis verleugnen, die seine Machtausübung tatsächlich erst möglich macht. Und darum kann auch kein Versuch, sich Europa als Raum in Übersetzung vorzustellen, diesen Widerspruch vermeiden: Nicht nur Übersetzung ist in der EU eine notwendige Vorbedingung ihrer politischen Kommunalität; auch die Leugnung dieser Übersetzung ist eine Vorbedingung derselben politischen Kommunalität. In anderen Worten, so wie Europa heute politisch konzipiert ist, kann es nicht behaupten, gleichzeitig ein gemeinsamer politischer Raum und ein Raum in Übersetzung zu sein.
Bellos scheint völlig blind für diesen Widerspruch. Im vollständigen Bewusstsein der politischen Ursache, die sich hinter der Regel sprachlicher Parität in den Verträgen von Rom verbirgt – „sie wurde von Politiker_innen aus eminent politischen Gründen erdacht“ – betont er explizit den progressiven oder sogar revolutionären Charakter dieser politischen Ursache: Die Regel sprachlicher Parität „ging aus der Notwendigkeit hervor, alle Beteiligten an diesem kühnen neuen Vorhaben fühlen zu lassen, dass ihnen der gleiche Respekt entgegengebracht und dieselben Rechte zugestanden werden.“[11]
Er will also, dass wir die historische und politische Entwicklung als eine Bewegung politischer Gemeinschaften vom Monolingualismus zum Pluri- oder Multilingualismus verstehen. Das Argument lautet folgendermaßen: Während ein Souverän ehemals nur eine Sprache zu sprechen pflegte, spricht er in der EU nunmehr viele Sprachen. Darüber hinaus bevorzugt er keine dieser Sprachen: alle Sprachen und daher alle nationalen Gemeinschaften sollen gleich behandelt werden. Ist das kein Fortschritt?
Aber die eigentliche Frage lautet, ob der Souverän und seine Untertanen dieselbe Sprache sprechen. In einer demokratischen politischen Gemeinschaft, in der das Volk der Souverän ist, scheint dies offensichtlich. Aber dem ist nicht so.
Wie allgemein bekannt ist, wird der Raum der Artikulation und Reproduktion einer souveränen Macht in einer demokratischen Gemeinschaft öffentlicher Raum genannt. Doch selbst wenn dieser öffentliche Raum als monolingual im Sinne einer einzigen offiziellen, nationalen Sprache verstanden wird, kann er nicht als ein sprachlich und politisch kontinuierlicher Raum wahrgenommen werden. Er ist vielmehr in zwei Räume geteilt: ein Raum der Sprache, die als eigentliche Sprache der Gemeinschaft bezeichnet werden kann, die tatsächlich die Sprache des Staates ist, das heißt, der staatlichen Institutionen wie etwa der Legislativinstitutionen, und ein sprachlich inhomogener und intransparenter Raum einer politischen Pluralität, in dem partikulare religiöse Gruppen oder andere Weltanschauungsgruppen* sowie unterschiedliche ethnische, sexuelle, kulturelle, Klassenminderheiten etc. ihre Positionen artikulieren. Während der Staat verpflichtet ist, die Bürger_innen in einer für alle verständlichen Sprache zu adressieren, hat gleichzeitig jede Gruppe oder Minderheit das Recht, sich im öffentlichen Raum der Sprache ihrer besonderen Interessen zu bedienen, die nicht notwendigerweise allen verständlich ist. Es geht um eine Teilung innerhalb eines angeblich homogenen Sprachraums, die der demokratischen Ordnung strukturell eingeschrieben ist. Auf der einen Seite ermöglicht sie die freie demokratische Teilhabe aller Bürger_innen, während sie auf der anderen Seite den neutralen, objektiven und säkularen Charakter des Staates sicherstellt. Was jedoch hält eine solche politische Gemeinschaft zusammen und was reguliert das Verhältnis zwischen diesen beiden Sphären? Was macht es möglich, dass die Bürger_innen zur Öffentlichkeit frei in ihren spezifischen Sprachen sprechen und gleichzeitig vom Staat unabhängig von ihren Besonderheiten als Gleiche angesprochen werden können? Es ist – ausdrücklich! – Übersetzung.
Nehmen wir zum Beispiel John Rawls „Übersetzungsvorbehalt“ oder Jürgen Habermas’ Neuinterpretation dieses demokratischen Instruments, das eingeführt wurde, um den demokratischen Charakter eines säkularen Staates zu garantieren, der durch die wachsenden religiösen Ansprüche auf den öffentlichen Raum herausgefordert wurde.[12] Beide Theoretiker berücksichtigen das Recht religiöser Gemeinschaften, an öffentlichen Diskussionen mit ihren spezifischen religiösen Argumenten und Ansprüchen teilzunehmen, sehen aber als Voraussetzung dafür, dass diese in die säkulare Sprache des Staates übersetzt werden. Von dieser Sprache wird angenommen, dass alle Bürger_innen sie verstehen.[13] Die Rolle der Übersetzung in diesem Konzept einer demokratischen öffentlichen Sphäre ist zweideutig. Sie überbrückt nicht nur die Differenz zwischen den monolingualen institutionellen Bereichen und der multilingualen Sphäre der Zivilgesellschaft, sondern – und das ist wichtiger – sie trennt diese beiden Teile, kontrolliert die Grenze und filtert fortwährend den Austausch moralischer, kultureller, sozialer und politischer Inhalte zwischen ihnen. Was schließlich als eine einzige Sprache des Souveräns wahrgenommen wird, oder was wir auch die Muttersprache des Staates nennen können, ist eine Art universalistisches Extrakt der Sprache der Gemeinschaft – die nunmehr gereinigt erscheint und deren Besonderheiten herausgefiltert wurden, sodass all jene Begriffsinhalte verschwunden sind, die partikuläre Interessen zum Ausdruck bringen. Über diese Sprache könnten wir sagen, dass sie buchstäblich das Produkt einer Übersetzung ist, die in diesem Fall ein Synonym für Filterung und Reinigung darstellt.
Wenn wir das bedenken, dann gibt es wohl keinen Grund, die EU als ein historisch neues Modell der post-monolingualen Gemeinschaft abzufeiern, als entscheidenden Schritt vorwärts in Richtung transnationaler Demokratie, Toleranz, Gleichheit etc. Wie multilingual, multinational oder multikulturell sie auch immer sein mag, die EU scheint das alte Modell zu wiederholen: ein Souverän, eine Sprache! Die politische Logik ihrer Kommunalität ist von einer einzigen Sprache abhängig, von der eigentlichen, institutionellen Sprache der Gemeinschaft, die von einer Übersetzung geformt wird, die Reinigung, Filterung und Grenzziehung bedeutet. Es ist hier nicht wirklich wichtig, ob diese Sprache immer noch die Form einer standardisierten Nationalsprache hat oder bereits zu einem „Hybrid aus Gesetz und Sprache“ wurde, also zu dem, was Bellos „Eurosprech“ nennt, zu einer Sprache, die ausschließlich aus Übersetzungsprozessen besteht. Ihre politische Funktion bleibt in beiden Fällen dieselbe, ebenso wie das politische Konzept der Kommunalität, das von ihr artikuliert und reproduziert wird.
Übersetzung als Erweiterung und Einhegung
Bevor wir uns jedoch diesem Problem widmen, wollen wir uns ein weiteres Beispiel der Übersetzungspraxis der EU in Erinnerung rufen, das einen wesentlichen Beitrag zur Schaffung eines „Vereinigten Europas“ leistet und von Bellos völlig ignoriert wird. Diese Praxis findet nicht im institutionellen Kern der Union statt, sondern vielmehr an ihrem äußeren Rand, und stellt einen der wichtigsten Mechanismen im sogenannten Erweiterungsprozess der EU dar. Betrachten wir einen konkreten Fall[14]: 1990, kurz nach den ersten demokratischen Wahlen in Kroatien, das damals noch ein Teil der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawiens war, wurden Übersetzer_innen plötzlich sehr aktiv. Die vom Kommunismus befreite Gesellschaft brauchte eine neue demokratische Gesetzgebung und fand diese in bereits existierenden westlichen Gesetzbüchern. Der Rest war Übersetzung. So wurden die österreichischen Gesetze, die den Status und die Funktionsweise des Wiener Burgtheaters regelten, aus dem Deutschen übersetzt – um auf das kroatische Nationaltheater in Zagreb angewendet zu werden. Diese Übersetzungen ersetzten schlicht und einfach die bereits existierenden „sozialistischen“ Gesetze. Auf der Symbolebene fand der ganze Prozess der sogenannten post-kommunistischen Transformation und der darauf folgenden Osterweiterung der EU auf diese Art statt: Demokratie ersetzte den „kommunistischen Totalitarismus“ mittels Übersetzung, die als historischer Prozess im Sinne von Demokratie, Toleranz, Menschenrechten usw. verstanden und legitimiert wurde.
Aber was geschah in diesem konkreten Fall tatsächlich? Zunächst veränderten sich die Eigentumsverhältnisse: das kroatische Nationaltheater wurde nationalisiert (!?). Ja, Sie haben richtig gelesen, erst damals wurde es wirklich Staatseigentum, was es vorher nicht gewesen war. Im sozialistischen System war es in der Tat ein sogenanntes gesellschaftliches Eigentum, eine Form des Eigentums, die weder staatlich noch privat ist. Ferner wurde die Theaterleitung – di_e sogenannte Theaterintendant_in – nunmehr direkt vom Staat bestellt. Früher war es der Arbeiter_innenrat des Theaters, der letztlich das Recht hatte, die Leitung zu bestimmen. Auch die Leute, die im Theater arbeiteten, die Schauspieler_innen, das Personal usw. wurden zu Staatsangestellten, was sie vorher nicht gewesen waren.
Springen wir nun in die durch die europäische Krise geprägte Gegenwart. Eine der weniger prominenten Ausdrucksformen der Krise findet sich dieser Tage in Italien: die Besetzungen der Theater in Rom (Teatro Valle, Nuovo Cinema Palazzo), in Venedig (Marinoni), in Catania (Teatro Coppola), in Palermo, Neapel etc. Im Grunde üben die Protestierenden in diesen Fällen nicht nur Kritik daran, wie der Staat die Theater und die Kultur im Allgemeinen verwaltet, insbesondere in Bezug auf die partikularen (privaten) Interessen, die sich gegenüber der öffentlichen Kulturpolitik immer durchsetzen. Sie sind auch kritisch in Bezug auf eine Idee von Kultur insgesamt, die von Gesetzes wegen entweder als privates oder öffentliches Gut bestimmt wird. Sie sprechen offen von einer Alternative im Sinne eines „Gemeinguts“ und bestehen auf ihrer Teilhabe an der Leitung ihrer Theater.
Ihre Kritik und ihre Forderungen erinnern uns an die politischen, institutionellen und historischen Spuren eben dieser Alternative, die vor mehr als zwanzig Jahren durch die oben erwähnten Übersetzungen ausradiert wurden. Diese Übersetzungen dienten der Demontage eines existierenden Selbstverwaltungssystems und der Auslöschung seiner institutionell verankerten Gesellschafts- und Eigentumsrechte, die zuvor als historischer Müll denunziert wurden. Außerdem sollten sie eine besondere historische Erfahrung zum Schweigen bringen, die Erfahrung sozialer Kämpfe für Gemeingüter. Auch das sollte berücksichtigt werden, wenn wir über Europa als Raum in Übersetzung sprechen. Europa ist nicht, wie Bellos uns glauben machen will, ein Raum, der von Zeit zu Zeit voller Begeisterung eine Reihe neuer Sprachen begrüßt und diese nach dem Prinzip der Gleichheit in seine Übersetzungsmaschinerie inkludiert. Vielmehr handelt es sich um einen Raum, der durch Übersetzungen als Mittel politischer Herrschaft, sozialer Zerstörung, Enteignung und erzwungenen historischen Vergessens konstruiert wird. Und auch das ist Europa: eine Kommunalität, die nicht sprechen kann, da sie von Übersetzungen nicht nur zum Schweigen gebracht, sondern auch eingehegt wurde. „Einhegung“ war in seiner ursprünglichen Bedeutung der Name für jenen Prozess, durch den gemeinsam verwaltetes Eigentum in Privateigentum umgewandelt wurde.
Eine aussichtslose Übersetzung
Es ist wenig erstaunlich, dass manche sagen, die Kommunalität Europas sei aus einer linguistischen Perspektive ein Produkt einer Übersetzungspraxis. Doch diese Übersetzungspraxis basiert auf einem sehr spezifischen Verständnis von Übersetzung, das bestimmte ideologische Vorgaben und sehr spezielle politische Effekte impliziert. Es geht um ein traditionelles Verständnis von Übersetzung, das im Regime homolingualer Adressierung[15] begründet ist, einem Regime, das auf der Annahme von zwei unterschiedlichen Sprachen beruht, die als transparente, homogene Entitäten vor dem Akt der Übersetzung existieren. Es reduziert die Übersetzungssituation folglich auf eine einzige Differenz, nämlich die einer Fremdsprache, die als geschlossener, homogener und nach innen transparenter Raum erscheint. Und dieser Raum wird automatisch mit einem gleichermaßen geschlossenen, autonomen Raum von Gesellschaft. Ökonomie, politischem Leben und Kultur gleichgesetzt. Diese Perspektive stimmt nicht nur völlig mit der politischen Realität des gegenwärtigen internationalen Systems überein, der sogenannten Westfälischen Ordnung, in der die Welt als eine Anhäufung souveräner Nationalstaaten erscheint, sondern sie ist darüber hinaus performativ in deren Reproduktion involviert.
Es geht hier also nicht nur um eine politische Bedeutung sprachlicher Übersetzung, sondern vielmehr um die politische Logik eines spezifischen Verständnisses von sprachlicher Übersetzung, konkret um die politische Logik der homolingualen Adressierung, die – performativ! – in diesem Verständnis von Übersetzung impliziert ist. Denn wir sollten eines nicht vergessen: ein Modus der Adressierung hat immer konstitutive Auswirkungen auf seine Subjekte wie auch auf seine Objekte.
Auf die Übersetzungspraxen angewandt, die im heutigen Europa umgesetzt und konzeptualisiert werden, bedeutet das Folgendes: Übersetzung ist alles andere als ein steter Beitrag zu einer zunehmenden Integration eines politisch bereits vereinigten Europa; oft vollbringt sie das Gegenteil. Sie zieht Grenzen, sowohl innerhalb der EU als auch an ihren äußeren Rändern, an denen sie ideologisch alle Arten von politischen und kulturellen Inhalten ausfiltert und damit das sogenannte Europäer_innentum hervorbringt und reinigt. Sie regiert die Erweiterungsprozesse, indem sie das europäische politische Gebäude als einen homogenen, transparenten, zeitgemäßen „guten“ Innenraum einhegt, und gleichzeitig den schmutzigen Job von Exklusionen übernimmt, indem sie kontinuierlich das „schlechte“, obskure, unverständliche, verspätete Außen von Europa wieder erschafft, ein Außen, das viel zu unterschiedlich ist, um es zu integrieren. Schließlich lässt die Übersetzung eine offene, konfliktuelle, widersprüchliche, unvorhersehbare, kurz eine politische Herausforderung als historisch bereits vollendet erscheinen und ihre eigene Rolle darin als intrinsisch positiv und unschuldig.
Sofern die Idee von Übersetzung ideologisch auf das Regime der homolingualen Adressierung beschränkt bleibt und blind ist für ihre im Wesentlichen sozialen und politischen Bedeutungen und Effekte, wird sie neue Formen einer demokratisch politischen Kommunalität eher zum Schweigen bringen als konstruieren. Statt eine Lösung der gegenwärtigen europäischen Krise zu erleichtern, trägt sie damit zu ihrer weiteren Vertiefung bei.
[1] [A.d.Ü] Mit Asterisk versehene Worte sind Deutsch im Original.
[2] Ich verwende hier bewusst den Begriff „Verfremdung“ anstelle des geläufigeren und in diesem konkreten Fall angebrachteren Konzepts des „foreignizing“. Der zweite Begriff leitet sich aus einer korrekten Übersetzung des deutschen „das Fremde*“ ab – das Humboldt zufolge eine Eigenschaft ist, die in Übersetzungen deutlich spürbar sein sollte, da sie zeigt, dass die Einführung eines kostbaren kulturellen Inhalts aus dem Ausland die Zielsprache und -kultur qualitativ verbessern, also die Nation de_r Übersetzer_in kultivieren kann. Das Konzept „Verfremdung“ basiert im Gegensatz dazu auf einem Begriff des russischen Formalismus, dem „fremd machen“ (priyom ostraneniya), das nach Wiktor Schklowsky (in seinem berühmten Essay „Kunst als Verfahren“) das Wesen aller Kunst ist, sowie auf dem Brecht’schen Verfremdungseffekt* (der früher üblicherweise als Effekt der Distanzierung oder der Entfremdung übersetzt wurde, heute jedoch unter dem genaueren Begriff „Verfremdungseffekt“ bekannt ist). „Das Fremde“ ist nicht einfach eine wertvolle kulturelle Eigenschaft, die dem Aufbau der Nation nützt, es ist vielmehr ein dekonstruktives Element sowohl in der Sprache als auch in der Kultur, das die Fremdheit dessen anzeigt, was als das authentisch Eigene betrachtet wird. Es ist ein „Instrument der Kritik“, das das Gefühl der Zugehörigkeit radikal destabilisiert und als Bruch in einer geschlossenen, totalisierten und homogenen Entität gespürt wird.
[3] Für ausführlichere Erläuterungen zu diesem Konzept vgl. Anthony Pym, „Schleiermacher and the Problem of Blendlinge“, in: Translation and Literature, Jg. 4, Nr. 1, S. 5–30, abgerufen am 20. 04. 2013 auf: http://usuaris.tinet.cat/apym/on-line/intercultures/blendlinge.pdf.
[4] Zur Verbindung von Übersetzung und „juridischer Ideologie“ vgl. Rastko Močnik, „Translation in the Field of Ideological Struggle“, in: transversal: under translation, http://translate.eipcp.net/transversal/0606/mocnik/de.
[5] Es wird geschätzt, dass heute mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung der Mittelschicht angehört.
[6] Ausführlicher dazu, wie das Konzept von Übersetzung, insbesondere in ihrer kulturellen Bedeutung, sogar im Dienst der gegenwärtigen imperialen Herrschaft ideologisch eingesetzt werden kann, vgl. Močnik, ibid.
[7] David Bellos, Was macht der Fisch in meinem Ohr?: Sprache, Übersetzen und die Bedeutung von allem, übers. v. Silvia Morawetz, Köln: Eichborn Verlag 2013. Die Übersetzung hier folgt der englischen Version, da dieses Buch von keiner Bibliothek in Wien angekauft wurde und es daher nicht möglich war, die Zitate der autorisierten Übersetzung zu entnehmen [A.d.Ü.].
[8] Ibid., S. 237.
[9] Ibid., S. 248.
[10] Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 25. März 1957, http://www.hdg.de/lemo/html/dokumente/DieZuspitzungDesKaltenKrieges_vertragEWGVertrag/.
[11] David Bellos, Is that a Fish in Your Ear?, op. cit, S. 238 f.
[12] Vgl. John Rawls, „The idea of public reason revisited“, in: The University of Chicago Law Review, Jg. 64, Nr. 3, 1997, S. 765–807, und Jürgen Habermas, „Religion in der Öffentlichkeit. Kognitive Voraussetzungen für den ‚öffentlichen Vernunftgebrauch’ religiöser und säkularer Bürger“, in: J. Habermas, Zwischen Naturalismus und Religion, Frankfurt/M.: Suhrkamp 2005, S. 119–155.
[13] Wenngleich sich Rawls und Habermas bei der Frage nicht einig sind, wer diese Übersetzung machen soll und wo diese genau stattfinden soll.
[14] In diesen Prozess war ich als Übersetzer direkt involviert.
[15] „Das Regime homolingualer Adressierung wird von Naoki Sakai folgendermaßen definiert: „[W]ir müssen einen Text nicht darum in einen anderen übersetzen (oder dolmetschen), weil zwei verschiedene Spracheinheiten gegeben sind; vielmehr artikuliert Übersetzung Sprachen, sodass wir aufgrund einer bestimmte Repräsentation von Übersetzung die beiden Einheiten von zu übersetzenden und übersetzten Sprachen als autonome und in sich geschlossene Entitäten postulieren können,.“ Naoki Sakai, Translation & Subjectivity. On „Japan“ and Cultural Nationalism, Minneapolis/London: University of Minnesota Press 1997, S. 2